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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

984–986

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Garhammer, Erich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ecclesia semper reformanda. Kirchenreform als bleibende Aufgabe.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. 256 S. 8°. Kart. EUR 17,80. ISBN 978-3-429-02788-9.

Rezensent:

Reiner Preul

Der Band dokumentiert die von der Katholisch-Theologischen Fakultät im Wintersemester 2005/06 gehaltene Ringvorlesung, 40 Jahre nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils und 30 Jahre nach dem Ende der Gemeinsamen Synode der Deutschen Bistümer, der sog. Würzburger Synode. Eingeleitet wird das Buch durch einen beide Ereignisse und deren Wirkungsgeschichte vorsichtig würdigenden Festvortrag von Kardinal Lehmann und durch ein Referat des Wiener Pastoraltheologen Paul M. Zulehner, das für eine »kreative« Fortschreibung dessen plädiert, was durch Konzil und Synode angestoßen und eröffnet wurde: »Kirchenumbau« statt »Altbausanierung« (44). Die Würzburger Synodenbeschlüsse stehen den 13 Autoren primär für Reformmöglichkeiten des Deutschen Katholizismus; die Konzilsdokumente – besonders natürlich »Lumen gentium« und die Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« – dienen als Basistexte für grundsätzliche Überlegungen zum Thema »ecclesia semper reformanda«. Dass diese Formel zunächst einmal, wenn auch erst in neuerer Zeit, dem Protestantismus auf den Leib geschrieben wurde und sich hier auch be­sonders klar exemplifizieren lässt, wird leider im ganzen Band außer Acht gelassen.
Der Pastoraltheologe Erich Garhammer verteidigt die Konstitution »Gaudium et spes« gegen ihre Depotenzierung durch die deutschen Bischöfe zu einem bloßen Pastoralschreiben. Sie sei dasjenige Dokument, in dem das Konzil »zu sich selbst gefunden hat und die Prinzipien erörtert, die für die anderen Dokumente gelten. Sie ist das Neue des Konzils, sein ureigener Beitrag zur Dogmengeschichte« (60). Garhammer verschweigt aber nicht, dass Karl Lehmann und Karl Rahner den Text weniger hoch einschätzen (63). – Der Kirchengeschichtler Wolfgang Weiß würdigt den Durchbruch der Würzburger Synode zur »Gemeindetheologie« und schildert u. a. den Streit um die Beschlusskompetenzen der Synode bzw. der Laien. – Die exegetischen Beiträge von Theodor Seidel und Bernhard Heininger führen an ausgewählten Texten aus dem Alten und Neuen Testament die geschichts- und situationsabhängige Wandelbarkeit der Gemeinde- und Kirchenämter vor. »Die universell gedachte prophetische Verfasstheit prägt das Israel der Zukunft, nicht das institutionalisierte Modell der priesterlichen Theokratie.« (92) Auffällig ist freilich, dass Heiningers informativer Aufsatz über die Kirchenbilder im Neuen Testament, der besonders den einschneidenden Wandel von Paulus zu den Pastoralbriefen nachzeichnet und die »johanneische Alternative: Gemeinde ohne (Lehr)- Amt« (121 ff.) hervorhebt, doch mit keinem Wort auf Mt 16,18 und Joh 21,15–17 eingeht. – Dominik Burkard geht den in der Begriffsgeschichte gegebenen erheblichen Bedeutungsunterschieden von »Reform« nach. So galt z. B. seit der Mitte des 13. Jh.s »die Gleichung Reform = Konzil« (141). Auf dieser Linie vertritt dann das Konstanzer Konzil »die Superiorität des allgemeinen Konzils über den Papst. Wenig später erhob das Konzil von Basel diese Aussage sogar in den Rang eines Dogmas« (143). Angesichts der diametral entgegengesetzten Position von Vaticanum I und II stelle sich die Frage, ob die lehrende Kirche »sich selbst wiedersprechen kann« (144). Leider bricht der Gedankengang hier ab! – Stephan Ernst verteidigt die Reformfähigkeit katholischer Morallehre, wie er sie im Vaticanum II angelegt sieht, gegen die Enzyklika Johannes Pauls II. »Veri­tatis splendor«, die der neueren Moraltheologie (A. Auer, F. Böckle, D. Mieth et al.) vorgeworfen hatte, sie hebe den Begriff »in sich schlechter Handlungen« auf und steuere auf eine »relativistische Moralauffassung« (149) zu. Eine in sich schlechte Handlung liegt nach Ernsts Neufassung dann vor, »wenn das in der Handlung angestrebte Gut langfristig und im Ganzen durch die Handlung selbst und durch die zugleich mitverursachten üblen Nebenfolgen gemindert oder sogar zerstört wird« (163).
Mit besonderem Wohlgefallen liest der evangelische Theologe den Beitrag des Fundamentaltheologen Elmar Klinger »Hierarchische Ämter und Laienämter« (169 ff.). Gestützt auf LG 9 zeichnet Klinger den Begriff des Volkes Gottes, weil Kleriker und Laien umgreifend, als ekklesiologische Grundkategorie aus – ähnlich zuvor schon Burkard (146) – und folgert: »Man kann auf dieser Basis nichtkatholische Kirchen Kirche nennen, weil sie Versammlungen des Volkes Gottes sind.« (174) »Dominus Iesus« hingegen »entbehrt jeder Ekklesiologie des Volkes Gottes« (ebd., Anm. 11). Die Volk-Gottes-Lehre, von der aus Klinger seine Ämtertheorie entwirft, werde allerdings »von manchem Würdenträger geradezu be­kämpft« (184); als Beispiel wird anmerkungsweise Josef Ratzinger (mit Veröffentlichungen von 1986) genannt! – Der Kirchenrechtler Heribert Hallermann führt Klingers Ansatz fort: »Christifideles« ist Oberbegriff zu »clerici« und »laici« (196). Der Unterschied zwischen Amt (für die geweihten Kleriker und Ordensleute) und Dienst (für die Laien) ist auf der Linie von LG 31 f. durch den CIC/1983 aufgehoben. Es gibt entsprechend »keine unterschiedlichen Grade an Sendungsteilhabe«, sondern nur »unterschiedliche Formen, in denen diese Teilhabe verwirklicht wird« (198 f.). Das fundiert u. a. die neuen Kirchenämter der Gemeinde- und Pastoralreferenten. Es gelte nun, der »nachkonziliaren Rechtsordnung ... in vollem Umfang zur Geltung zu verhelfen« (208). – Der Beitrag des Religionspädagogen Hans-Georg Ziebertz erklärt und entdramatisiert mit Hilfe der Kognitionswissenschaften das Phänomen des theologisch »inkorrekten Glaubens«, fällt damit aber thematisch etwas aus dem Rahmen. – Francis X. D’Sa, Religions- und Missionswissenschaftler, führt den Zusammenhang zwischen Kirchenreform und Dialog mit den anderen Religionen vor Augen und vertritt u. a. die Thesen, dass es dabei hermeneutisch um Vergleiche zwischen den »Gesamt­horizonten« der verschiedenen Glaubenswelten gehen muss (238) und dass – im Anschluss an Raimon Panikkar – alle Religionen als »verschiedene Farben des einen Regenbogens, der Christus heißt« (247), zu verstehen seien.
Der Epilog aus der Feder des Dekans Gerhard Droesser formuliert einige weithin konsensfähige Einsichten zur Titelformel. Hilfreich wäre hier auch ein bilanzierender Rückblick auf die ganze Vortragsreihe gewesen: Was leistet sie? Und was lässt sie unbe­arbeitet? Das Buch vermittelt einen lebendigen Eindruck von der innerkatholischen Reformdebatte zum Verständnis, zur Gestalt und zur Modernitätsfähigkeit der katholischen Kirche. Es vermeidet aber jede direkte Bezugnahme auf diejenigen konkreten Themen und Veränderungswünsche, die das Bewusstsein reform­freudiger Laien in Bewegung halten und auf die sich die Presse zu stürzen pflegt (Rolle der Frau in der Kirche, Zölibat, katholische Se­xualmoral, Abendmahlsgemeinschaft mit Nichtkatholiken etc.). Vor allem aber lässt es den Leser mit der Frage allein, welche Relevanz denn den vorgetragenen Reformvorstellungen im Verhältnis zum päpstlichen Lehramt zukommt, dem das letzte Wort vorbehalten ist und das bekanntlich einen etwas anderen Kurs steuert.