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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

290–292

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wieners, J. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch der Telefonseelsorge.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 272 S. m. 5 Abb. (Graphiken) u. 6 Tab. gr.8°. Kart. DM 38,­. ISBN 3-525-62348-8.

Rezensent:

Jürgen Ziemer

40 Jahre sind seit den Anfängen der Telefonseelsorge in Deutschland vergangen. Aus der Initiative Einzelner ist inzwischen eine Institution der großen Kirchen geworden, die mit ihrem nahezu flächendeckenden Beratungsangebot für Menschen in Not aus dem kirchlichen und öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Ein Zeichen ihrer festen Etablierung ist auch, daß nunmehr die Zeit reif war, ein "Handbuch der Telefonseelsorge" zu veröffentlichen. Sein Herausgeber, Jörg Wieners, ist der Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Telefonseelsorge. Die einzelnen Beiträger und Beiträgerinnen des Handbuchs sind nahezu alle direkt in der Telefonseelsorge engagiert. Sie stehen für einen interdisziplinären und ökumenischen Ansatz der Telefonseelsorge von ihren Anfängen her bis heute.

Der Band erfüllt weithin die Erwartungen, die sich an ein Handbuch richten und hat darüber hinaus noch den Vorzug, mit 272 Seiten recht "handlich" zu sein. Das gelang freilich nur, weil der Hg. sich im wesentlichen auf den institutionellen Aspekt von Telefonseelsorge beschränkt hat. Inhaltliche Fragen, Einzelfallanalysen, Überlegungen zu therapeutisch seelsorgerlichen Interventionen u.a. werden nur am Rand berührt. Diese Beschränkung leuchtet ein. Das "Handbuch" will ja kein Ersatz sein für die bisher gebräuchlichen Ausbildungshandbücher von H. Harsch und W. Weber, auch wenn ein solcher Ersatz angesichts vielfach veränderter gegenwärtiger Situation als "dringend notwendig" erachtet wird (28). In dem vorliegenden Band geht es vor allem um "gründliche Information über die wichtigsten Aspekte der Institution" (Vorwort). Das Handbuch kommt damit einerseits einer Rechenschaftspflicht gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit nach, andererseits werden die in der TS tätigen Mitarbeitern und solche, die Telefonseelsorgeinitiativen planen, mit den notwendigen Kenntnissen und Hinweisen versorgt, um sich ein Bild von Arbeitsweise, Organisation und Zielen der TS zu machen. Vor allem erfährt man aus dem Handbuch auch, wo welcher Rat zu holen ist, falls die gegebenen Informationen nicht ausreichen sollten.

Das Handbuch setzt ein mit einem geschichtlichen Rückblick. I. Habenicht beleuchtet die "Anfänge der Telefonseelsorge" (9 ff.) und deren "heutige(s) Selbstverständnis" (20 ff.). Er konstatiert u. a., daß die Klientel der TS heute weniger aus Menschen in "aktuellen Krisen" als eher aus solchen in "chronischen Problemlagen" besteht.

Ein wichtiges Kapitel ist dann der "Gestalt des Ehrenamtes in der Telefonseelsorge" gewidmet (33-77). Es macht ja, theologisch und kirchlich gesehen, die besondere Prägung der TS aus, daß in ihr zum überwiegenden Teil Menschen tätig sind, die diesen Dienst ehrenamtlich versehen. Das ist keinesfalls nur eine Notlösung, sondern gehört zum Wesen dieser Form von Hilfsangebot. Gerade dort, wo es um Krisenhilfe geht, wird Laien u. U. sogar höhere Kompetenz als professionellen Helfern zuerkannt (44). Die Tatsache, daß hier viele Laien engagiert tätig werden, läßt K. P. Jörns am Ende des Bandes erwägen, ob nicht TS auch als "Gemeinde" (199) verstanden werden könne.

Der Ausbildung für die TS (48 ff.) und Supervision (67 ff.) muß besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Beiträge hierzu (von H. Seidlitz und C. Weiß) vermitteln einen guten Einblick in die Konzepte und Methoden. Deutlich wird, daß es dabei keineswegs nur um therapeutische Techniken und reine Wissensvermittlungen geht, sondern auch um Selbsterfahrung, die für den "Erwerb einer beziehungsfördernden Grundhaltung" (56) unverzichtbar ist.

Am Beispiel zweier Einrichtungen werden dann "Arbeitsweise und Gestalt" einer TS-Stelle (79 ff.) dargestellt, incl. der dazugehörenden Aus- und Fortbildungsaktivitäten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein weiteres Kapitel behandelt die überregionale Organisation der TS in Deutschland (91 ff.) und die Selbstdarstellung der TS in der Öffentlichkeit (105 ff.).

In einem Handbuch der TS darf ein Kapitel über das "Medium Telefon" natürlich nicht fehlen. Immer mehr Menschen haben in Deutschland Telefon, inzwischen auch in Ostdeutschland. Freilich: Für die, die "unterhalb der Armutsgrenze zu leben gezwungen sind, sind die Zugangsmöglichkeiten zur TS... äußerst eingeschränkt" (138). Informiert wird über die Besonderheit der "telefonvermittelten Kommunikation" (125 ff.) wie über neuere Entwicklungen der Telefontechnik (140 ff.). Hier wird der Frage des Persönlichkeitsschutzes besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die neue digitale Technik ermöglicht nachträgliche Identifizierbarkeit der Verbindungen. Es ist deshalb eine unbedingte Forderung der TS, "daß Anrufe bei ihr auf jeden Fall aus Einzelverbindungsnachweisen nicht ersichtlich sein dürfen" (148). Unter der Überschrift "Komplementäre Dienste" wird über Einrichtungen in unmittelbarer Nähe der TS-Stellen informiert, zu denen Anrufer vermittelt werden können: "Krisendienste der Telefonseelsorge" (151 ff.) und die Angebote der "Offenen Tür" (161 ff.).

Welche Bedeutung hat nun TS im "Rahmen der psychosozialen Versorgung"? Dieser Frage widmet sich M. Wolfersdorf mit Hilfe aussagekräftigen empirischen Materials. In seiner Sicht erfüllt die TS eine dreifache Aufgabe: "Angebot von Kommunikation", "nachsorgende Funktion" (z. B. bei Daueranrufern und Anrufern mit psychischen Erkrankungen, die schon in psychiatrischer Behandlung waren) und "Krisenintervention" (185). Auch wenn sich die Gewichte bei den Anrufern verschoben haben, scheint doch die "klassische" Aufgabe der Krisenhilfe nach wie vor ein Grundkennzeichen der TS zu sein.

Der letzte Einzelbeitrag des Handbuches ist dem Verhältnis von TS und Kirche gewidmet (189 ff.). K. P. Jörns hebt hervor, wie durch die TS für die Kirche die "Nachtseite der Wirklichkeit" sichtbar wird und er folgert: "Wenn aber die Telefonseelsorge mit ihrem ’Nachtgesicht’ Kirche und Theologie dazu verhelfen soll, die menschliche Wirklichkeit besser wahrzunehmen und theologische Topoi elementarisieren zu können, so bedarf es dazu auch institutioneller Brücken zwischen beiden." (198)

Das Handbuch wird komplettiert durch ein 20seitiges Glossar "Telefonseelsorge in Stichworten", das für sich allein ein kleines Vademecum für TS-Mitarbeiter sein könnte. Es folgt eine Zeittafel, eine Auswahlbiographie, eine Dokumentation wichtiger Grundlagenpapiere, eine Liste der TS-Stellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (incl. der im Aufbau befindlichen) und schließlich ein Sachindex.

Kurzum, man wird mit allem versorgt, was von einer Publikation dieser Art erwartet werden darf. Hg., Autoren und Verlag gebührt Dank für dieses informative Handbuch.