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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

981–983

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kreuzhof, Rainer

Titel/Untertitel:

Wirtschaft, Moral und christliche Lebenspraxis. Eine Herausforderung der postsäkularen Gesellschaft.

Verlag:

Paderborn: Schöningh 2007. 260 S. gr.8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-76341-9.

Rezensent:

Nils Ole Oermann

In seinem Werk geht Rainer Kreuzhof von einer wachsenden Divergenz zwischen wirtschaftlichem Handeln und christlichem Le­bensvollzug aus. Auf dieser Grundlage stellt er die Ausgangsfragen: Wie können religiöse Überzeugungen aus der vermeintlichen Ni­sche der »reinen Privatsache« in den ökonomischen Mainstream einfließen (11)? Wie lassen sich wirtschaftlicher Erfolg und christlicher Lebensvollzug unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Einklang bringen? Und wie können »Wirtschaftswissenschaft, Philosophie und Theologie so kooperieren, dass christliche Anliegen wieder zur Sprache gebracht werden können« (15)?
Vor dem Hintergrund dieser Fragen erwartet der Leser eine wirtschaftsethische Untersuchung mit ausgeprägten theologischen Bezügen: Was genau sind »christliche Anliegen« in der Auseinandersetzung mit Ökonomie? Diese Erwartungshaltung erfüllt K. be­wusst nicht: Statt darzulegen, wie er »Theologie als Kirchliche Glaubenswissenschaft« (16) überhaupt versteht, kontrastiert er zur Beantwortung seiner Ausgangsfragen konkret die Eigentumslehre eines Thomas von Aquin mit der Harmonielehre von Adam Smith. Auf dieser Grundlage versucht K., aktuelle Entwürfe der ökonomischen Unternehmensethik mit denen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu verbinden, um so mikroökonomisch zu einer neuen Wirtschaftsontologie aus christlicher Sicht zu kommen, die für K. ihre konfessionellen Wurzeln eindeutig in der katholischen Soziallehre hat.
K.s Darstellungen zur aktuellen wirtschaftsethischen Diskussionslage sind dabei gelungen und lesenswert. Eine nicht unerhebliche Fehleinschätzung unterläuft ihm, wenn er auf Grund der in­vis­ible hand-doctrine bei Adam Smith behauptet, dass bereits mit Smith das Gottes- und Menschenbild von Theologie und Ökonomie auseinanderdriftet (69). Denn gerade das Gottesbild des deistisch geprägten schottischen Moralphilosophen Smith ist in seinem Werk Wealth of Nations noch wesentlich einfacher mit theologischen Deutungsmodellen in Einklang zu bringen, als das danach bei dessen Nachfolgern wie David Ricardo der Fall ist. Richtig ist hingegen die Beobachtung, dass Adam Smith durch die Herauslösung der Ökonomie aus der Philosophie die Emanzipation dieses Faches und der von der Ökonomie untersuchten Lebenswirklichkeiten ermöglicht. Nur wer diese Smithschen moralphilosophischen Wurzeln der Ökonomie zu würdigen versteht, vermag die Betriebswirtschaftslehre als »Kulturwissenschaft« (70) und nicht nur als angewandte Mathematik zu betreiben und zu begreifen.
Im zweiten Teil seiner Untersuchung überträgt K. dann seine an der katholischen Soziallehre orientierte Analyse auf aktuelle Fragen der Managementlehre und Unternehmensethik. Zu begrüßen ist dabei der Rekurs auf von ihm selbst erhobene empirische Daten, nicht unproblematisch hingegen die Kürze der Darstellung gerade an dieser Stelle und die geringe Anzahl der Befragten, auch wenn die Ergebnisse nur »der Illustration der Situation des Menschen in der Postmoderne« (78) dienen sollen. Es folgen Ausführungen zur Willensbildung in der Unternehmenspolitik, zur Ökonomie als Diskurs und System im Luhmannschen Sinne sowie eine vertiefte Analyse wirtschaftsethischer Aspekte im Rahmen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen.
Sehr innovativ, da in den meisten Wirtschaftsethiken vernachlässigt, ist hierbei die Darstellung der Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre von einer Bewertungslehre hin zu einer Interaktionslehre. Wie etwa kann in der Kostenvergleichsrechnung mit Sachkosten im Verhältnis zu Personalkosten umgegangen werden und mit welchen ethischen Konsequenzen für das Personalmanagement geschieht das? Gerade die Analyse wirtschaftsethischer Aspekte in der Personalführung einer Firma, in der Mitarbeiter aus christlicher Sicht eben mehr sind als eine bloße human resource und in der Arbeit und Beruf bereits initial mit dem Würdebegriff zu tun haben, be­gründet die eigentliche Stärke der Untersuchung (110–25).
Zu kurz kommt hingegen der anfangs angekündigte theologische Bezug des Buches, wobei K. Theologie, christliche Ethik und »christliche Lebenspraxis« oftmals synonym verwendet, ohne die von ihm gewählten Begrifflichkeiten hinreichend zu differenzieren. Was etwa unterscheidet für ihn christliche Ethik von einer allgemeinen Ethik? Und warum werden die Mönchsregel des ora et labora oder christliche Mystik ausgerechnet mit der materialis­tischen Geschichtsauffassung eines Karl Marx kontrastiert? Wie kommt K. zu dieser Auswahl? Dies bleibt offen.
Der zentrale Kritikpunkt richtet sich gegen den Anspruch des Buches, wie er im Titel expliziert wird. Die darin erwähnten Themenbereiche werden im Buch nicht hinreichend vertieft dargestellt oder problematisiert. So kündigt K. bereits im Titel eine Auseinandersetzung mit »christlicher Lebenspraxis« im Verhältnis zur Ökonomie an, gesteht aber erst ganz am Ende seiner Arbeit zu (239), dass er seinen Ansatz exklusiv auf Basis der katholischen Soziallehre entwickelt hat und den notwendigen Transfer auf divergierende theologische Positionen den Orthodoxen und Protestanten selbst überlässt. Entsprechend vergeblich sucht der Leser nach einer Auseinandersetzung mit wirtschaftsethischen Überlegungen eines Max Weber oder Ernst Troeltsch, eines Georg Wünsch oder Arthur Rich.
Und während im Titel allgemein von der »Wirtschaft« die Rede ist, legt K. den Schwerpunkt seiner Analyse ausschließlich auf die Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensethik, während zentrale wirtschaftsethische Probleme doch immer auch eine davon schwerlich trennbare volkswirtschaftliche Komponente haben. Was K. unter einer »postsäkularen« oder austauschbar »postmodernen« (77) Gesellschaft etwa im Unterschied zu einer säkularen, globalen oder pluralen Gesellschaft versteht, bleibt ebenfalls offen. Und wie soll ein Nicht-Christ mit einem Buch umgehen, das ausschließlich nach der »christlichen Lebenspraxis« und ihren Konsequenzen in globalen Märkten fragt – Märkten, die doch derzeit aus Sicht K.s nur sehr wenig von christlicher Ethik geprägt sind.
Bei all diesen kritischen Anfragen hat das Buch seine unbestreitbare Stärke in der Expertise K.s als Betriebswirtschaftler, der auf die intuitive Überzeugungskraft des konfessionell-naturrechtlich ge­prägten Ansatzes rekurriert, auf dem seine gesamte Analyse fußt: der katholischen Soziallehre und ihren Konsequenzen für eine Un­ternehmensethik. K. geht über diesen konfessionellen Kontext je­doch bewusst nicht hinaus und hinterfragt ihn auch nicht. Da­mit werden aber die Wahl des Buchtitels und seine Einleitung frag­würdig. Das, was dann in diesem Werk tatsächlich ge­leistet wird – die Anwendung von Grundpositionen der katho­lischen Sozial­lehre speziell auf die Mikroökonomie – ist hingegen gut ge­lungen.