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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

977–980

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Held, Martin, Kubon-Gilke, Gisela, u. Richard Sturm [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Jahrbuch Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik. Bd. 6: Ökonomie und Religion.

Verlag:

Marburg: Me­tropolis 2007. 349 S. 8°. Kart. EUR 26,80. ISBN 978-3-89518-593-9.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber dieses Sammelbandes, das bislang zu wenig beachtete Thema »Ökonomie und Religion« zur Diskussion zu stellen. Dabei sind bereits, wie die Autoren zu Recht betonen, bei Adam Smith oder Max Weber die Grundlagen für eine Aufarbeitung dieser Fragestellung genügend deutlich markiert worden. So belegt Andrea Maurer, dass Weber in seinem Beitrag über den »Geist des Kapitalismus« nicht nur die Soziologie, sondern auch die Ökonomie darauf hingewiesen hat, bei der Erklärung und Analyse wirtschaftlicher Phänomene »nicht nur Interessen und Ressourcen zu berücksichtigen, sondern dafür gerade auch die Wirkung von Ideen und Werten sowie normativer Institutionen in Rechnung zu stellen« (83).
Hinsichtlich der konkreten Frage, inwieweit Religion Wirtschaft präge oder Wirtschaft Religion, sieht Gisela Kubon-Gilke eine »gegenseitige Abhängigkeit von Kultur und Ökonomie«. Deshalb wären eine »Reihe von ceteris-paribus-Annahmen der Standardökonomik« neu zu überdenken (32 f.). Aus Sicht der Religionswissenschaften stimmt Anne Koch einer Interdependenz von Re­ligion und Wirtschaft zu und hofft hier künftig auf produktive Zusammenarbeit der Experten (58).
In Blick auf den Zusammenklang von Ökonomie und Religion bei der Bestimmung eines »Gerechten Preises« zeigt Richard Sturm, dass hier Unterschiede in erster Linie mit unterschiedlichen »Konzeptualisierungsvarianten der Beziehungen von Naturrecht, jus gentium, christlicher Sittlichkeit und positiv-rechtlicher, insti­tutioneller Realität« zusammenhingen (108). Eine andere Verbindung von Ökonomie und Religion sieht Bernhard Emunds hinsichtlich des Arbeitsmarkts bzw. der Massenarbeitslosigkeit. Für ihn ist das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe unter arbeitsgesellschaftlichen Bedingungen »ein ethisches, juristisch nicht einklagbares Recht auf Erwerbsarbeit« (130). Hierfür hätte jeder in der Gesellschaft Verantwortung zu tragen, und er redet sogar von einer »Bringschuld«. Ersatzweise fordert er ein entsprechendes Transfereinkommen (133) und ebenso ein Grundeinkommen sowie eine gesellschaftliche Relativierung der Erwerbsarbeit (134). Völlig offen lässt er dabei die Frage, wer das gegebenenfalls bezahlen soll.
Einen weiteren Schnittpunkt von Ökonomie und Religion greift Hans G. Nutzinger mit der Frage nach der Gerechtigkeit und dem Gebot der Armutsvermeidung auf. Er beschäftigt sich hierbei mit den aus der Bibel zu entwickelnden ethischen Maximen zu wirtschaftlichen Fragen (141). Und als Zentralbegriff sieht er hierzu im Alten Testament die Gerechtigkeit (142), die sich in der Zuwendung zu den Armen ausdrücke. Dazu diskutiert er dann die Frage des Schuldenerlasses (144).
Bezüglich des Neuen Testaments analysiert er kein unmittelbares Interesse an Wirtschaftsfragen (146 f.), wendet sich aber auch gegen eine »Vorzugswürdigkeit« der Armut ge­genüber dem Reichtum (147 f.). Entscheidend für Arme wie Reiche sei, nicht sein Herz an den Reichtum zu hängen statt an Gott (148). Nutzinger zeichnet sodann unterschiedliche Versuche nach, christliche ethische Maximen in der Wirtschaft umzusetzen, und sieht in der Sozialen Markt­wirtschaft eine »anonymisierte« (154) Form christlicher Nächstenliebe, die sich künftig globalen Herausforderungen (zur Armuts vermeidung) zu stellen habe und dabei wich­tige Orientierung leis­ten könne (157).
Entgegen der im Manchester-Liberalismus zerrissenen Verbindung von Ökonomie und Religion weist Walter O. Ötsch nach, dass in einer naturtheologischen Weise für Adam Smith der Glaube an Gott eine zentrale Rolle spiele. Ökonomisches Handeln erscheine in diesem Programm notwendigerweise als moralisches Handeln und der Kapitalismus wesensgemäß als moralisches Wirtschafts­system. Denn Menschen sollten nach Smith versuchen, ihrer »Na­tur« nach zu handeln und sich für die Errichtung »natürlicher« sozialer und ökonomischer Systeme einzusetzen. Auf diese Weise engagierten sie sich am Plan Gottes (175). Ötsch geht hier jedoch nicht auf die im sog. »Adam-Smith-Problem« diskutierten, angeb­lichen welt­anschaulichen Veränderungen bei Smith ein, sondern meint, dass im Gegensatz zum »Smithschen Deismus« im späteren populäreren »Lockeschen Deismus« die Naturtheologie Züge an­nehme, die nachträglich in Materialismus und Atheismus mündeten (175ff.). Dagegen fragt Ötsch, welchen Sinn es mache, über menschliches Handeln zu theoretisieren, ohne sich systematisch auf »Innen-Raum-Aspekte« zu beziehen, wie Smith das noch getan habe (177).
Für Dieter Schmidtchen ist es nun die auf- und anregende Botschaft der Ökonomik der Religion, »dass Religiosität und Rationalkalkül sich nicht ausschließen müssen und homo oeconomicus und homo religiosus miteinander versöhnt werden können« (252). Dabei hält er drei Motive für religiöse Aktivitäten für wesentlich: das Heilsmotiv, das Konsummotiv und das Motiv des sozialen Drucks. Von dieser Logik her analysiert er ökonomisch rational religiöse Gemeinschaften nach dem Zuschnitt eines Clubs oder eines Unternehmens (259 ff.). Auch führt er das Argument an, dass Religion und Kirche das Sozialprodukt steigerten, weil sie »durch Setzung und Überwachung von Verhaltensregeln die Transaktions­kos­ten« senkten (265). Da er meint nachweisen zu können, dass das religiöse Niveau in einer Gesellschaft (was immer das ist) zunehme, wenn der religiöse Markt dereguliert und freier Wettbewerb zugelassen werde, plädiert er für mehr Wettbewerb auf Märkten für religiöse Dienstleistungen (272). Trotz interessanter Denkanstöße bleibt bei ihm jedoch die Dimension des »Glaubensmotivs« (vgl. Schlicht, 279 f.) oder des »Sinnmotivs« (vgl. Erlei, 319 ff.) ausgeblendet. Und wenn er auch die Rechenhaftigkeit eines »Heilsegoismus« sehr scharf beschreibt, so findet sich jedoch kaum Verständnis für eine reformatorische Wirtschaftsethik, deren Hauptquelle Lob und Dank für die von Gott erfahrene Güte ist.
Mit dem in der Ökonomik der Religion propagierten sog. »Jenseits-Konsummotiv« setzt sich Ekkehart Schlicht auseinander. In ihm werden bestimmte Heilserwartungen für das Jenseits vorausgesetzt. Allerdings wendet Schlicht ein, dass das Jenseits-Konsummotiv für sich genommen »mit übertriebenen Heilsversprechen am besten befriedigt werden könnte«. Und unter Konkurrenzbedingungen würde das zu einer »Inflation von Heilsversprechungen« führen. So etwas sei aber nicht zu beobachten (288). Für überzeugender hält er, deshalb aus dem von ihm so genannten »Glaubensmotiv«, unter welchem er eine »Verknüpfung von Sinn­gebungs- und Rechtfertigungsmotiv« versteht (280), das Jenseits-Konsummotiv als einen Spezialfall zu entwickeln (290).
Hinsichtlich der Funktion von Religion in der Gesellschaft steht Wolfgang Pfeuffer die Paradoxie moderner Marktwirtschaften vor Augen, die »in dem Maße den eigennützigen Opportunismus der Beteiligten heraus(fordern), in welchem sie auf der kollektiv nützlichen Vertrauenswürdigkeit der Marktteilnehmer im nicht idiosynkratischen Austausch beruhen« (300). Mit Hilfe eines an das Gefangenendilemma angelehnten spieltheoretischen Modells (295ff.) entwickelt er die These, dass organisierte Religion »durch ihre Signalisierungswirkung zur Stabilität altruistischer Kooperation im wettbewerblich geprägten Umfeld« beitragen könne (315).
Mit solchen Erwägungen sind allerdings der »Kern der Religion« und »ihre religiösen Inhalte« nicht erfasst und so kritisiert Mathias Erlei zu Recht, dass bisher Beiträge zur Religionsökonomik dieses nicht erfassten (320). Dabei seien Menschen bestrebt, nach Sinnzusammenhängen, insbesondere nach dem Sinn ihres endlichen irdischen Lebens zu suchen. Aber offensichtlich sei es ihnen während ihrer Lebenszeit nicht möglich, alle relevanten Informationen darüber zu sammeln und zu verarbeiten. Auf Grund dieser be­grenzten Rationalität müssten sich Menschen hier wie meist sonst auch mit möglichst einfachen und bewährten mentalen Modellen zufriedengeben. Nun sei der Sinn des irdischen Lebens eng verbunden mit seinem Ursprung und Ziel. Das seien aber Größen, die der menschlichen Erfahrung nicht zugänglich seien. Deshalb sei die Sinnfrage untrennbar an das Transzendente und damit an Religion gekoppelt, wenn man sie als Theorie über das Transzendente verstehen könne. Religion sei damit ein wichtiger Bestandteil des individuellen Weltbildes, aus dem die Menschen ihre persönliche Identität ableiteten. Und Identität beeinflusse die Handlungspräferenzen. Insofern habe Religion konsequenterweise Einfluss auf das wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Verhalten von Menschen. Hierbei sei ferner die Heterogenität von Religionen, Identitäten, Präferenzen und damit letztlich auch Heterogenität des Verhaltens der »Homines culturales« zu berück­sichtigen. Zweifellos könnten so die Aspekte Religion, Identitäten, Präferenzen und Heterogenität der ökonomischen Theorie einen signifikant höheren Erklärungsgehalt liefern als die klassische Theorie des streng egoistischen Homo oeconomicus (343 f.).
Der Sammelband wird konsequenterweise und erhellend er­gänzt durch entsprechende Reflexionen zu Ökonomie und Religion im Islam (Helmut Leipold), Hinduismus (Peter Seele) und der japanischen Religions-, Geistes- und Wirtschaftsgeschichte (Gün­ther Distelrath).
Es ist zu wünschen, dass diese vorzüglichen Anregungen und Anstöße zum Thema Ökonomie und Religion eine große Resonanz finden, um viele Defizite in der gegenwärtigen ökonomischen und theologischen Theorie und Praxis zu produktiver Bearbeitung zu führen.