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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

976–977

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Heimbach-Steins, Marianne [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch unter Mitwirkung v. A. Baumgartner, I. Baumgartner, Th. Bohrmann, G. Drösser, Th. Hausmanninger, J. Frühbauer, H. Köß, M. Vogt u. A. Wohlfahrt. Bd. 2: Konkretionen.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 318 S. gr.8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 3-7917-1924-6.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Der Band befasst sich mit mehreren sozialethischen Einzelthemen. In der Abfolge der Buchkapitel, die konzeptionell freilich nicht un­bedingt einleuchtet, sind dies die folgenden Fragestellungen: De­mokratie/politische Partizipation; Bildung; wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit; globale Entwicklung/Option für die Ar­men; natürliche Ressourcen/intergenerationelle Gerechtigkeit; Konfliktüberwindung/Friedenskultur; Lebensphasen und Le­bens­for­men; Gesundheitssicherung/Solidarität; Medien; Subsidiarität und Partizipation in der Kirche. Die verschiedenen Themenfelder wurden je getrennt von der Herausgeberin und den Autoren behandelt, die der Buchtitel als Mitwirkende auflistet. Das Buch stellt die Fortsetzung eines ersten Bandes zur »Christlichen Sozialethik« dar, der die normativen Prinzipien der katholischen Soziallehre dargestellt hat, namentlich das Person-, Gemeinwohl-, Subsi­diaritäts- und Solidaritätsprinzip sowie Nachhaltigkeit und Ge­rechtigkeit. Der zweite Band belegt, dass sich diese Prinzipien so­zialethisch er­tragreich konkretisieren lassen. Als besonders relevant sehen die Autoren dem Vorwort gemäß (11) die Idee der Beteiligungsgerechtigkeit an, die für alle Einzelkapitel den Schlüssel bilde.
Nun kann der hohe Stellenwert der Beteiligungs- oder Partizipationsidee nur unterstrichen werden – auch aus dem Argumentationshorizont philosophischer oder protestantischer Ethikansätze heraus. Zu bedauern ist, dass das Buch neben der katholischen Tradition nicht stärker philosophische sowie ökumenisch-ethische oder protestantische Hintergründe der Idee einer Beteiligungs- oder einer Befähigungsgerechtigkeit zur Geltung gebracht hat. Zu den protestantischen Ethikern, denen schon früh am Parti­zi­pa­tions­gedanken lag, gehört Arthur Rich, der nur in anderem Zu­sammenhang (107) ganz kurz erwähnt wird. Die Ankündigung, die sozial­ethische Aussagekraft der Beteiligungsgerechtigkeit zu verdeutlichen, wird im Übrigen nicht in allen Kapiteln des Buches gleichmäßig eingelöst.
Insgesamt bieten die Einzelkapitel aber durchgängig relevante Sachinformationen und normative Abwägungen. Exemplarisch sei auf die Gesichtspunkte zur starken und schwachen Nachhal­tigkeit oder auf die Kriterien zur Chancengerechtigkeit sowie öko­lo­gischen Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen hingewiesen (M. Vogt, 143 f.150 ff.). Es liegt auf der Hand, dass ein einführendes Lehrbuch nicht in alle Verzweigungen und Einzelprobleme eindringen kann. Problemexpositionen und Begriffs­differenzierungen gelangen jedoch gut nachvollziehbar zur Sprache. Hierfür ist das Kapitel über die Ethik des Gesundheitswesens (von Th. Bohrmann, 228 ff.) ein Beispiel. Der Band hat Themen aufgegriffen, die kultur- und sozialethisch oft vernachlässigt wurden, etwa Gesundheit/gesundheitliche Versorgung (Th. Bohrmann) oder Bildung (hierzu M. Heimbach-Steins, 50 ff.). Aus gutem Grund werden Gesundheit oder Bildung auch in der Logik von Leistungs- oder Anspruchsrechten bzw. unter dem Blickwinkel von Menschenrechten als Partizipations- und Förderrechten diskutiert. Mit Recht lassen die Autoren des Kapitels über Lebensphasen die traditionelle Sicht hinter sich, Kinder und Jugendliche oder Ältere und Kranke lediglich paternalistisch als Adressaten der Fürsorge zu deuten (vgl. I. Baumgartner/A. Wohlfarth, 209, zum Verständnis älterer und alter Menschen als »Subjekte« und nicht nur als »Objekte«). Für die Betonung der Subjektstellung und der eigenen Rechte von Kindern bildet die UN-Kinderrechtskonvention von 1990 den Anknüpfungspunkt (202). Hiervon sticht ab, dass offizielle katholische Texte den ethischen und rechtlichen Paradigmenwechsel, der die Selbstbestimmungs- und eigenständigen Entscheidungsrechte von Kindern berücksichtigt, bis heute zum Teil noch gar nicht oder nur unzulänglich aufgegriffen haben.
Nun liegt es am Charakter eines katholisch-theologischen Lehrbuchs, häufig auf päpstliche oder kirchenamtliche Verlautbarungen Bezug zu nehmen, selbst wenn dies argumentativ nicht immer ertragreich ist. An verschiedenen Stellen werden gegenüber kirchlichen Verlautbarungen vorsichtig kritische Vorbehalte vorgetragen. Ganz zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die katholische Kirche Nachholbedarf darin hat, Alleinerziehende und wiederverheiratete Geschiedene »als Subjekte und Partner kirchlichen Handelns zu würdigen« (217).
Das Buchkapitel, das auf sozialethische Aspekte des Kirchenverständnisses eingeht (M. Heimbach-Steins, 281 ff.), nennt als gravierendes Problem den Mangel an Transparenz, der beim autoritativen Umgang der römisch-katholischen Kirche mit katholischen Theologen zu beklagen ist (312). Darüber hinaus arbeitet das Kapitel auf, dass das Ideal der Beteiligungsgerechtigkeit innerkirchlich weitgehend uneingelöst ist, und äußert die Hoffnung, dass die moderne Pluralität auch innerkirchlich stärker akzeptiert werden sollte. Die innerkatholischen Problempunkte, die aufgelistet worden sind, ließen sich um Weiteres ergänzen. Zum Beispiel ist an die Defizite bei den Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrechten in kirchlichen Einrichtungen zu erinnern.
Der Band bietet einen guten Einblick in die Binnendiskussion der katholischen Soziallehre und in den katholischen Zugang zu verschiedenen Bereichsethiken. Sinnvoll ist es, dass über die »klassischen« Themen der Sozialethik hinaus das Gesundheits- und das Bildungswesen zur Sprache gebracht wurden. Andere dringend zu erörternde Themen, darunter die Wissenschafts- und Forschungsethik, blieben allerdings ausgeklammert.