Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2008

Spalte:

968–970

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard Ludwig

Titel/Untertitel:

Vom Vater gesandt. Impulse einer inkarnatorischen Christologie für Gottesfrage und Menschenbild.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2005. 195 S. gr.8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 3-7917-1957-2.

Rezensent:

Ulrike Link-Wieczorek

Mit diesem Buch will der Bischof von Regensburg, von 1986 bis 2002 Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München, eine Schneise in den pluralen Dschungel gegenwärtiger Weltanschauung schlagen: In unzweifelhafter Eindeutigkeit nämlich soll die universale Relevanz des Kommens Gottes rational gedacht werden können, gerade auch, dass es ausschließlich durch das Nadelöhr Jesus Christus geschah und damit »Heil« bringt für die ganze Welt. Es geht M. darum, dieses Credo als Denkmöglichkeit bzw. gar Denknotwendigkeit zu verteidigen ge­gen skeptisch anmutende theologische Tendenzen, in denen die Offenbarung Gottes in oder durch Jesus eines von vielen »Nadel­öhren« zu werden droht (so versteht er die Tendenz der pluralis­tischen Religionstheologie) oder aber eine vom neuzeitlichen gläubigen Bewusstsein vorgenommene subjektive Interpretation ohne real-ontologischen Gewissheitsanspruch.
Das Buch ist nicht als eine Monographie konstruiert, sondern besteht, wie M. im Vorwort angibt, aus »zusammengeführten Beiträgen«. (9) Mit dem christologischen Thema stehen hier die Offenbarung Gottes (13–22), das »solus Christus« (23–38), die Möglichkeiten von Gotteserfahrung und -erkenntnis (39–53), Zentralität der Christologie und trinitätstheologische Konsequenzen (54–143), Konsequenzen für die Anthropologie (145–158), für die Ekklesiologie der sakramentalen Initiation ins Christusmysterium (160–178) und last but not least für das Verständnis des Priesteramtes (179–195) auf dem Programm. Die ursprünglichen Vorträge sind so kombiniert, dass ein monographischer Eindruck hätte entstehen können, wenn das Verlagslektorat M. mehr gedrängt hätte, wörtliche Wiederholungen ganzer Text-Passagen oder längerer Bibelzitate zu vermeiden (vgl. 27.104 und 133).
M. will eine »Vertiefung der Transzendentalphilosophie« (70) anbieten, in der ein kontingentes historisches Einzelereignis als Offenbarungsereignis Gottes nicht nur geglaubt oder bekannt, sondern gedacht und nun darum für real gehalten werden kann (27.69.57). Es besteht in einem personalistischen Konzept, in dessen Mittelpunkt die unaustauschbare »Begegnung« mit dem Transzendenten im Christusereignis steht, dem Ereignis des »freien Ge­horsams« des Sohnes gegenüber dem Vater im Leben Jesu. Damit sei eine historische Selbstoffenbarung Gottes denkbar, in der »die kontingente Geschichte eines einzelnen Menschen … die Offenbarung des ewigen Gottes« (69) sei. Sie könne als solche erkannt werden, weil der menschliche Geist selbst eine transzendentale Struktur aufweise (45) und in seiner Existenz so verfasst sei, dass er dem Wesen Gottes (in einer analogia entis) korrespondiere (57.90.121), weil Gottes Wirklichkeit nicht in ausgrenzendem Dualismus von der weltlichen zu denken sei (62 ff.) und schließlich weil sich diese Offenbarung »gerade in der personalen Glaubens- und Gehorsamsgeschichte Jesu vermittelt, … also die Selbstoffenbarung Gottes im freien Akt der Selbstidentifikation mit dem menschlichen Offenbarungsträger ein geschichtlich zugängliches Ereignis wird, ohne dass das Menschsein Jesu zu einem passiven Offenbarungsmedium herabgewürdigt wird« (69). Inkarnation ist also ein konkretes Be­gegnungsereignis zwischen Gott und Mensch, das in der Sendung des Sohnes stattfindet (69) und in dem sich Gott selbst der menschlichen Erkenntnisfähigkeit erschließt und insofern »Heil« bringt (73). Das Heil liegt in der Erkenntnis, dass die lebensfördernde Einheit von Gott und Mensch in einer Begegnung erfolgt, die post Christum in der Kirche weiter reale Möglichkeit bleibt, indem den Gläubigen sakramentale Begegnungserfahrung zukommen kann, die sie schließlich in die trinitarische Liebesgemeinschaft Gottes führt (119). Die einzelnen Kapitel des Buches zeichnen eben diese Heils»struktur« in der Ideengestalt der Fortsetzung der Inkarnation als Kirche nach. Diese Nachzeichnung gipfelt in einer deutlich besonderen Würdigung des priesterlichen Dienstes und der hierarchischen Ordo der (römisch-katholischen) Kirche als sakramental-ontologische Repräsentation der Selbsthingabe Jesu (191).
Zweifellos liegen im personalistischen, relationenorientierten Konzept der Inkarnation Elemente, die das Inkarnationsmotiv auch dem gegenwärtigen Denken erschließen helfen können. M. will weg von einem Konzept, das eine »substanzontologische Verwandlung« göttlicher Substanz in menschliche (72.74.131) nahelegt, weg von einem letztlich »objektivistische(n), autoritär be­grün­dete(n) Offenbarungsverständnis (Offenbarungspositivis­mus, -fundamentalismus)« (67), auch weg von einem ohne jede theolo­gische Spezifikation ausschließlich von der historischen Gestalt Jesu ausgehenden »formal-transzendentalistischen Subjektivis­mus« (67). M. will erreichen, dass die dogmatische Rede von den zwei Naturen Christi nicht so verstanden wird, als sei mit diesen das »empirische Selbst Jesu« gemeint (14 f.30) und als sei hier ein menschliches Bewusstsein von einem göttlichen ersetzt zu denken. Das wäre eine apollinaristische Verstrickung, die, was er allerdings unerwähnt lässt, in der Theologiegeschichte lange Zeit als be­sonders orthodox galt. Pluralistische Religionstheologie wie liberale Theologien fürchten sie zu Recht. Es ist schade und tut der Überzeugungskraft seines Buches sicher Abbruch, dass M. ihnen das nicht zuerkennt, weil er generell nicht nach legitimen Anliegen von abgelehnten Positionen fragt und somit auch manche eigene Nähe zum positionell-polemisch Abgelehnten übersieht. Strittig freilich ist, ob der Apollinarismus tatsächlich, wie vor allem von angelsächsischen Vertretern der pluralistischen Religionstheologie behauptet wird, zwangsläufig mit der Inkarnationschristologie verbunden ist. Es ist ein zentrales Anliegen von M.s Buch, dieser Behauptung Argumente entgegenzustellen.
Durchgängig lebt die Argumentation aus einer axiomatischen Gleichsetzung einer Erkenntnistheorie, die sich kantischen Warnungen stellt, mit einem weltanschaulichen Relativismus. Genau darin aber liegt auch ihre verwundbare Flanke. Sie führt M. letztlich dazu, jede Art von Theologie abzulehnen, die in irgendeiner Weise von einer Wahrheit hinter der sprachlichen Gestalt der dogmatischen Konzepte ausgeht. Denn was er den plakativ kritisierten und angeblich rein subjektivistischen Ansätzen entgegenhält, sind letztlich tautologisierende und somit nicht erläuterbare dogmatische Formulierungen, die eine – gott-menschliche – Sprachwelt für sich bilden.
So begegnet er dem Problem der apollinaristischen Gefahr mit dem dogmatisch natürlich richtigen Hinweis auf den Begriff der Hypostase und der hypostatischen Union, »kraft (derer der Mensch Jesus von Nazareth) unmittelbar durch das ewige Wort des Vaters existiert, durch das die menschliche Natur, die der Sohn Gottes in der Inkarnation angenommen hat, in ihr Dasein vermittelt wird« (30). M. scheut sich nicht, in anti-relativistischer Intention seinen thetischen dogmatisierenden Richtigstellungen einen geradezu technischen Charakter zu geben (vgl. z. B. 51 f., zur Hypostase: 75, zu Kreuz und Auferstehung: 77, zur Trinität: 118.133), wie wenn die dogmatischen Begriffe als solche direkt und beschreibend an­wendbar wären auf ein kontingentes historisches Ereignis. Dies geschieht, obwohl M. auch sagt, dass eine »empirische Verifikation des Persongeheimnisses« trotz der grundsätzlichen transzendentalen Offenheit des menschlichen Geistes nicht möglich sei, sondern durch den Heiligen Geist vermittelt werde (127) und dass das Dogma eigentlich die Folge des ursprünglichen gott-menschlichen Begegnungsereignisses und der Entstehung des Glaubens noch vor der Schrift (und eben auch vor dem Dogma) sei (125). Es kann nur die Sorge sein, in den Subjektivismus zu fallen, dass die hier spürbaren impliziten Weichen für eine Stärkung des Credos vor dem Dogma am Ende doch nicht gestellt werden.
Das nun wieder bedeutet, dass der tautologisierenden Selbstbezüglichkeit dogmatischer Rede kaum erfahrungsbezogener Inhalt eingehaucht werden kann. Heil ist Gottesbegegnung, weil nur in der Gottesbegegnung Heil sein kann. Ein wenig aufgebrochen wird die Tautologie lediglich durch die praktische Verortung der Gottesbegegnung in der Kirche. Hier ist aber vom Heil eigentlich nur noch die Rede, indem in sehr spezifischer Weise von Gehorsam und Selbsthingabe gesprochen wird – wohl kaum in Assoziation an den vital-zornigen Mann, der die Basartische im Tempel umwirft und die Händler herausjagt. Vielmehr scheint der »freie Gehorsam« Jesu in der hierarchischen Ordo so weiterzuexistieren, dass hier gottmenschliche Begegnung vornehmlich in Ein- und Unterordnung sakramental repräsentiert und erfahren wird. Vor dem inneren Auge der Leserin baut sich eine hierarchische Abfolge von Gehorsams-Verhältnissen auf, verdichtet im Priester (als »sakra­men­tale[r] Ausdruck des theologischen Wesens der Kirche«, 193) und der »un­umkehrbare[n] Relation Priester – Gemeinde« (188). Für seine Ge­meindearbeit heiße das, dass ihr Erfolg nicht vom persönlichen Einsatz des Ortspfarrers abhängig gesehen werden dürfe (193). (Darf man ergänzen: auch nicht von seinem Scheitern? Wie konkret soll man das verstehen?) Ist die »Gehorsams«-Haltung des Priesters wirklich etwas ontologisch anderes als ein von Gnade umfasstes Chris­tenleben in ernstgenommener Nachfolge? Und muss der Ge­horsams-»Dienst« ausschließlich als ein Dienst des Verzichtens und der Selbstaufgabe verstanden werden? Lauert hier nicht erneut eine apollinaristische Verengung, zu der es kommt, weil dogmatische Spitzenaussagen, die doch durchaus – funktionaler Wahrheitsbegriff hin oder her – im Dienste einer bestimmten, nämlich soteriologischen Aussagefunktion stehen, als eine empirisch-existentielle Lebens- und Amtsanweisung verstanden werden?
Wie also die Inkarnation auf das Leben der Gläubigen inklusive der Amtsträger, auf das Gottes-, Welt- und Kirchenverständnis überhaupt zu beziehen ist, darüber gibt uns dieses Buch noch viel Stoff zum Nachdenken. Der Rezensentin kommt es vor, als könne dabei noch mehr Gewinn aus der Pneumatologie gezogen werden.