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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

965–968

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jenson, Matt

Titel/Untertitel:

The Gravity of Sin. Augustine, Luther and Barth on homo incurvatus in se.

Verlag:

London-New York: T & T Clark 2006. X, 202 S. gr.8°. Kart. £ 24,99. ISBN 978-05670-3138-9.

Rezensent:

Tom Kleffmann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Knop, Julia: Sünde – Freiheit – Endlichkeit. Christliche Sündentheologie im theologischen Diskurs der Gegenwart. Regensburg: Pustet 2007. 400 S. gr.8° = ratio fidei, 31. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2066-1.


Julia Knops Arbeit zur Sündentheologie wurde im Wintersemester 2005/06 von der katholisch-theologischen Fakultät in Bonn als Dissertation angenommen. Doktorvater war Karl-Heinz Menke. Es handelt sich um eine typologisch strukturierte Darstellung evangelischer und katholischer Sündenlehren im deutschen Sprachraum der letzten 50 Jahre, an die sich der knappe Entwurf einer eigenen Sündenlehre anschließt.
Die Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird die typologische Methodik begründet. Der zweite Teil bietet die Durchführung und orientiert sich dabei an den Sündenlehren Drewermanns, Gestrichs und Rahners. Der dritte Teil zieht systematisch Bilanz und entscheidet sich dann für eine »transzendentalphilosophisch« begründete Sündenlehre im kritischen Anschluss an Rahner, Pröpper und Hoping.
Der erste Teil (22–74) beginnt mit einer Einführung in die Begrifflichkeit. Sinnvollerweise werden dabei auch außertheolo­gische Perspektiven in den Blick genommen. Eine Darstellung des biblischen Befundes fällt jedoch äußerst knapp aus (28–32) und hat keine weitere Funktion. Ausführlich und sehr stringent wird der Interpretationsansatz begründet: Die Sündenlehre soll systematisch von den jeweiligen anthropologischen Grundoptionen her verstanden werden. Dass die sich daraus ergebende Typologie von Sündenlehren unausweichlich schematisch ist, bleibt K. bewusst (vgl. z. B. 56.272).
Der zweite Teil (75–246) beginnt mit dem »fundamentalanthropologischen Typus«. Neben Drewermann als Hauptprotagonist werden hier z. B. noch Eichinger, Teilhard de Chardin und zu Recht auch die meisten hamartiologischen Beiträge der feministischen Theologie verortet. Dass auch Pannenberg ohne Weiteres diesem Typus zugeordnet wird, ist künstlich und zeigt eine Grenze der an sich sinnvollen Typisierung auf. Überhaupt ist die Charakterisierung dieses Typus nicht ganz klar: Sie bestehe darin, empirische »Methoden und Optionen in die dogmatische Arbeit einzubeziehen« (56) bzw. empirisch ansetzende und theologische Anthropologie »korrelativ aufeinander zu beziehen« (61, vgl. 65 f.). Das gilt aber anders ebenso für die anderen genannten Typen. Auch sie behaupten nicht eine »Unabhängigkeit [der Glaubensinhalte] vom erfahrenden Subjekt« (vgl. 252, ferner 282). Letztlich geht es darum, von einer allgemein möglichen Erfahrung der Sünde auszugehen, ohne auf Sünde als Begriff des Gottesverhältnisses zu reflektieren. Sünde wird etwa als »identitäts- und gemeinschaftsstörendes Moment menschlichen Lebens« verstanden (63). Die Darstellung selbst (75– 140) gehorcht hier wie bei den folgenden Typen einem strengen Mus­ter: Zunächst werden die methodischen und hermeneutischen Grundoptionen herausgearbeitet, dann wird der sys­tematische Kon­text dargestellt, um schließlich zu einer systematischen Ana­lyse des betreffenden Sündenbegriffs zu kommen. Diese Analyse orientiert sich jeweils an den sieben »Referenzpunkten« Freiheit, Endlichkeit, Erbsünde, Schuld, Glaube, Identität und Erlösung.
Der »offenbarungstheologische Typus« (141–196) zeichnet sich dadurch aus, dass die theologische Anthropologie und so auch die Hamartiologie vom Gottesverhältnis her konzipiert wird, welches als durch geschichtliche Offenbarung gestiftet verstanden wird. K. sieht hier einen Schwerpunkt evangelischer Hamartiologie (neben Gestrich werden auch Jüngel, Barth, Haas und Kleffmann diskutiert), kann aber katholischerseits auch Pesch, Greshake und von Balthasar zuordnen (vgl. 67). Sünde erscheint hier als Selbstvollzug oder Selbstkonstitution, die das im Glauben wirkliche Gottesverhältnis ersetzt. Problematisch ist, diesen »Typus« weitgehend mit einem christozentrischen Begriff der Sündenerkenntnis bzw. mit dem Ansatz der Sündenerkenntnis von der Vergebung her zu identifizieren, wie er sich eben bei Gestrich, Barth oder Jüngel findet. Die genuin lutherische Option der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird nicht erwähnt – sie wird allerdings im Untersuchungszeitraum auch kaum prominent vertreten.
Der »transzendentalphilosophische Typus« (197–246) wird nach K. schwerpunktmäßig katholischerseits vertreten. Sein Spezifikum liegt darin, die Anthropologie nicht nur von dem Anspruch der Offenbarung Gottes her, sondern gleichursprünglich von den Möglichkeitsbedingungen menschlicher Erkenntnis her zu entwerfen. K. sieht hier eine Integration von offenbarungstheolo­gischem und fundamentalanthropologischem Typ, die es ermöglicht, auch die Sündenlehre vor dem Forum der Vernunft zu rechtfertigen (vgl. 69 f., ferner 41 f.307). Im Mittelpunkt steht der Ansatz Rahners, den Menschen als Subjekt transzendentaler Freiheit zu verstehen und entsprechend Sünde als Perversion dieser Freiheit. Freilich stellt sich die Frage, ob hier nicht vielmehr von einem transzendentaltheologischen Ansatz zu reden ist, wenn Rahner Freiheit ursprünglich im Gottesverhältnis erfüllt und bestimmt sieht (vgl. dazu K. selbst in einem Exkurs 284 und 287 f., m. E. ohne ausreichende Konsequenzen zu ziehen). So scheint die Möglichkeit philosophischer Anknüpfung unter der Bedingung zu stehen, dass die Theologie die Philosophie neu erfindet.
So stringent der Ansatz im zweiten Teil auch durchgeführt wird, so ist doch zum Interpretationsstil kritisch zu bemerken, dass über weite Strecken Zitate ohne große Rücksicht auf den Kontext zusammengetragen und klassifiziert werden und dass sich bisweilen nur pauschal belegte Paraphrasen finden, die die diskutierte Position eher verwaschen. Dennoch sind die Analysen im Ganzen gesehen luzide und lehrreich. Methodisch problematisch ist lediglich der unreflektierte Gebrauch eines Begriffs von Theologie als »Deutung« von Wirklichkeit bzw. Erfahrung (vgl. 14.20.61–66.90 ff.275.284.303.338 und passim). Problematisch ist dieser Begriff, weil er eine ungewollte, nicht ausgeglichene Op­tion für den »fundamentalanthropologischen Typus« von Theologie darstellt. Bedauerlich ist ferner, dass der anthropologische und hamartiologische An­satz Tillichs keinerlei Erwähnung findet. Er wäre dazu angetan gewesen, die Abgrenzung der hamartiologischen Typen zu überdenken.
Zu Beginn des dritten Teils (247–360), in der Bilanz, werden alle drei Typen noch einmal durchgegangen, um in schöner Systematisierung die »hermeneutische Option«, das »kriteriologische Zentrum« und die »hamartiologische Spezifik« zusammenzufassen (247–305). Eine Frage an K. ist, ob sie den Freiheitsbegriff selbst im Blick auf die Konstitution des Subjekts genügend problematisiert, wenn sie den offenbarungstheologischen und den Rahnerschen Typus kontrastiert. Indem Freiheit als Freiheit des Fürsichseins vorausgesetzt wird, bleibt es beim Unverständnis gegenüber dem Gedanken einer sich allererst im Gottesverhältnis realisierenden Freiheit.
Die abschließende hamartiologische Skizze (306–360) scheint, was den vorausgesetzten Freiheitsbegriff (Freiheit als »Vermögen der ... Selbstbindung kraft ihres Unbedingtheitsmomentes«, 309) und die Rolle der Vernunft angeht, die konfessionelle Spezifik zu bestätigen. Wie schon in der Interpretation Rahners (vgl. etwa 232) ist das supralapsarische Subjekt von Freiheit auch das Subjekt der Gnadenannahme. Das Gottesverhältnis erscheint als »Gestaltung des eigenen Daseins von Gott her und auf Gott hin« (309). Die reformatorische Einsicht in die Grundsünde einer verkehrten, ›alle Kräfte‹ umfassenden Selbstkonstitution des Subjekts wird nicht geteilt. Entsprechend geraten die Ausführungen zur Erbsünde: Sie gilt lediglich als Einschränkung der Freiheit zum Gottesverhältnis in­folge verkehrter »Prägung« (vgl. 338–344). Die Befreiung von ihr kann »nicht durch freie (autonom-autarke) Distanzierung allein« (337) erreicht werden. Doch die vorausgesetzte menschliche Freiheit muss dem Heil zustimmen (vgl. 360). Die Rede vom Geist in dem Sinne, dass die Gemeinschaft Christi selber eine neue Subjektivität im Widerspruch zur alten konstituiert, fällt aus. – Interessant und mutig sind die Überlegungen zum geschichtlichen Ur­sprung des Bösen (vgl. 340 f.).
Insgesamt hervorzuheben ist die wohltuende methodische Klarheit und der große Fleiß, mit dem K. das Feld der Hamartiologie beackert. Es handelt sich um eine in allen Teilen lesenswerte und hoch diskussionswürdige Arbeit.
Das Buch von Matt Jenson, Assistant Professor der Biola Universität in La Mirada (Californien) ist weniger lesenswert – jedenfalls in theologisch wissenschaftlicher Perspektive. Die Interpretationen des augustinischen und lutherischen Gedankens von der in­curvatio in se ipsum als Wesen der (Erb-)Sünde sind zwar weitgehend zutreffend, aber im Einzelnen tendenziell schematisch, weitgehend kontextvergessen und jedenfalls im Zusammenhang der seit den 60er Jahren bestehenden deutschsprachigen Diskussion einer relationalen theologischen Anthropologie kaum originell.
Kapitel 1 versucht, auf knapp 40 Seiten Augustins De civitate Dei zum Thema darzustellen. Kapitel 2 beschäftigt sich auf 50 Seiten mit Luthers Römerbriefvorlesung. Es folgt eine Darstellung feministischer Kritik an Luther bzw. am Gedanken der Sünde als Hochmut und incurvatio in se ipsum (Daphne Hampson), die J. zu Recht zurückweist. Kapitel 4 zu Karl Barth (130–187) ist deswegen interessant, weil J. in Interpretation verschiedener Passagen vor allem der KD IV,1 und III,2 zeigen kann, wie Barth die Figur des Umsichselbstkreisens an zentraler Stelle aufnimmt. Hier ist die Darstellung gründlicher und auch umsichtig.
Das Buch ist wissenschaftlich schon deshalb schwer brauchbar, weil sowohl Augustin als auch Luther stets auf Englisch zitiert werden. Bei Zitaten Barths werden immerhin bisweilen der deutsche Wortlaut sowie die Originalbelegstellen der KD beigegeben. Die wichtige deutschsprachige Sekundärliteratur zum Thema wird zur Kenntnis genommen, soweit sie ins Englische übersetzt ist. Positiv fällt ins Gewicht, dass das Buch locker und klar geschrieben ist.