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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

288–290

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Busch, A. S. Bernd

Titel/Untertitel:

Zwischen Berufung und Beruf. Ein Beitrag zur Stellung des Pfarrers in unserer Zeit.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1995. 320 S. 8°. Kart. DM 36,­. ISBN 3-374-01610-3.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Es fehlt nicht an Arbeiten über den Pfarrerberuf, aber die Betroffenen wurden kaum an den Forschungen beteiligt, meint der Vf. dieses Buches, das aus einer Münchener Dissertation (Gutachter Ch. Bäumler und T. Rendtorff) entstand. 54 narrative Interviews mit Pfarrern und (9) Pfarrerinnen ergaben Material zur pastoralen Berufsrolle. Acht der Interviews wurden in schriftdeutscher Form gedruckt. Diesem empirischen Teil gehen rollentheoretische, ekklesiologische und kirchenrechtliche Überlegungen voran.

Als Grundaufgabe des Pfarrers bestimmt Busch mit der CA den Dienst am Wort, zu dem außer der Predigt und der Darreichung der Sakramente die Seelsorge gehört. Unterricht und Verwaltung zählen nicht dazu, was für die Frage nach Prioritäten und möglicher Entlastung wichtig ist. Wie die Konzeption des Predigtamtes aus der CA in heutige kirchliche Ordnungen aufgenommen wurde, überprüft der Vf. als bayerischer Pfarrer an den in seiner Landeskirche gültigen Ordnungen. Er kritisiert, daß das Amt als göttliche Stiftung und der Pfarrer als Hirte verstanden wird. Darin liegt die Gefahr, sich vom allgemeinen Priestertum zu entfernen und "in einen durch die Reformation überwundenen Klerikalismus zurückzufallen" (41). Der Vf. weist auf den Widerspruch hin, daß der Kirchenvorstand nach der Kirchengemeindeordnung als allzuständiges Organ gilt, während praktisch eine Monarchie des vorsitzenden Pfarrers vorgezeichnet ist. Andererseits läßt die Ordnung mehr Spielraum für das allgemeine Priestertum als praktisch genutzt wird. Hier und an anderen Stellen erscheinen wichtige Teilantworten auf die Frage, warum die jahrzehntelangen Reformdiskussionen so wenig Änderungen gebracht haben.

Die Reformdiskussion auf Kirchenleitungsebene wird anhand von Voten der EKD (1989) und der Arnoldshainer Konferenz (1988) kritisch gewürdigt. Das EKD-Papier erkennt das "Überlastungssyndrom" als pastoraltheologisches Problem ersten Ranges, hält aber an einem überfordernden Idealbild fest, statt Prioritäten zu setzen. Das Arnoldshainer Votum sucht Hilfe in geistlicher Konzentration und ­ ganz im Sinne des Vf.s ­ in der Verbindung mit dem allgemeinen Priestertum.

Aus der Reformdiskussion kirchlicher Erneuerungsbewegungen werden die Impulse der Missio Dei, der charismatischen Bewegung und des missionarischen Gemeindeaufbaus aufgenommen, ferner die Thesen der VELKD von 1967 und besonders positiv die von Ernst Lange. Die neueren kirchensoziologischen Forschungen werden ausgewertet, wobei außer den EKD-Befragungen und den Arbeiten von A. Feige besonders die Untersuchungen zur Arbeitszeit der Pfarrer wichtig sind. Für gesichert hält Busch "daß die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eines Pfarrers bei 63 Stunden und mehr pro Sieben-Tage-Woche liegt" (130). Verglichen mit der Arbeitszeit freier Berufe ist das nicht abnorm und nicht der Grund für das "Überlastungssyndrom", das eher qualitativer Art ist.

In der Sicht gegenwärtiger Praktischer Theologie wird das Thema an den Beispielen von M. Josuttis, des HPTh (Berlin) und Ch. Bäumlers behandelt. An Josuttis richtet sich die Frage, "ob man theologisch in der Nachfolge der Jesustradition den Pfarrerberuf aus der Religionsgeschichte und -psychologie hinreichend begründen kann" und ob der Pfarrer vorrangig zum Bürgen für das Heilige erklärt werden kann. Der vom Rez. verfaßte Teil im HPTh (Berlin) wird als "klassische Grundlegung zum Pfarrerberuf" gewürdigt, die zeigt, daß "eine traditionelle, sich eng an die reformatorischen Lehren anschließende Theorie von Amt und Gemeinde kritisch auf bestehende Gemeinden und ihre Ämter anzuwenden ist" (151 f.) Bäumlers "Kommunikative Gemeindepraxis" entspricht "am ehesten dem allgemeinen Priestertum und der Kommunikation des Evangeliums" (158).

Die narrativen Interviews erfolgten mit der Vorgabe, einen Rat für Theologiestudierende, eine Vision von Kirche und ein Votum zur Kirchenleitung einzuflechten. Wer sich für den Pfarrerberuf interessiert, wird die Texte gern und mit Gewinn lesen. Der Informationswert dürfte für die Rezipienten unterschiedlich sein, vielleicht am höchsten für Studierende, denen die Texte helfen, ihre eigenen Leitmotive zu finden und sich auf ihre Rolle vorzubereiten. Die verbreitete Rede von der Krise des Pfarramtes, mit der auch dieses Buch beginnt, wird durch die Interviews, aufs Ganze gesehen, nicht bestätigt. Natürlich kommen viele Probleme zur Sprache, aber verglichen mit den Schwierigkeiten früherer Generationen spiegeln die Interviews keine Situation wider, die die heutige Lage der evangelischen Pfarrerschaft als besonders krisenhaft erscheinen läßt.

Im Schlußteil zieht der Vf. Konsequenzen aus den Befunden, wobei er das umfangreiche Material der ungedruckten Dissertation mit auswertet. Mit Recht weist er zurück, daß diejenigen, die Pfarrer ausbilden und anstellen, die Pfarrer für die Pfarrerkirche verantwortlich machen. Wie aus der Pfarrerkirche eine Kirche des Priestertums aller Gläubigen werden kann, läßt sich freilich nicht durch die qualitative Sozialforschung klären. Die Auftragsgebundenheit aller Ämter erfordert die "Dauerreflexion über Ziele, Aufgaben und Grade der Professionalität" (309). Als Rollenbild für den Pfarrerberuf schlägt B. das Bild vom "begeisterten Wegbegleiter" vor (310). Er hält es nicht für sinnvoll, eine gesonderte Pastoraltheologie zu entwickeln, sondern schlägt vor, Fragen der beruflichen Praxis in der Praktischen Theologie zu verhandeln, die alle Christen betreffenden Themen der Pastoraltheologie aber der Ethik vorzubehalten.

Die Frage, warum so viele Reformvorschläge mit dem Ziel, das Priestertum aller Gläubigen zur Geltung zu bringen, wenig bewirkt haben, wird durch die Interviews nicht beantwortet. Der Vf. meint, daß die Ansätze der Reformation durch das von den Kirchenleitungen fortgeführte landesherrliche Kirchenregiment blockiert wurden. Daran ist Richtiges, aber es genügt nicht, den Schwarzen Peter von den Pfarrern an die Landeskirchenämter weiterzugeben. In dem historischen Problem, daß die Ansätze zum allgemeinen Priestertum bereits in der Reformationszeit abgeschwächt wurden, steckt vermutlich eine Brisanz, die das Mark volkskirchlicher Existenz berührt. Auf die praktische Frage, welche Schritte von der Pastorenkirche zu einer Kirche des Priestertums aller Gläubigen führen können, gibt das Buch keine über bisherige Vorschläge hinausgehende Antwort. Wegweisend ist der auf interessante Weise praktizierte Hinweis, nicht nur über die Betroffenen, sondern mit ihnen zu reden.

Dem Vf. ist dafür zu danken, daß er diese Mühe als Gemeindepfarrer auf sich nahm. Zu den Betroffenen gehören natürlich auch die Gemeindeglieder. Hier öffnet sich ein weites Feld für weitere Forschungen.