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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

964–965

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Holm, Bo Kristian

Titel/Untertitel:

Gabe und Geben bei Luther. Das Verhältnis zwischen Reziprozität und reformatorischer Rechtfertigungslehre.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2006. XVI, 274 S. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 134. Geb. EUR 84,00. ISBN 978-3-11-018839-4.

Rezensent:

Helmut Hoping

Das Buch des dänischen Theologen Bo Kristian Holm, Associate Professor am Department of Systematic Theology an der Universität Aarhus, ist die überarbeitete und erweiterte Fassung des Hauptteils seiner 2001 vorgelegten Dissertation. In das Buch sind Aufsätze zur Theologie Luthers aus den Jahren 2004 und 2005 eingegangen. Die kulturanthropologisch inspirierte Studie zu Luthers positivem Verständnis der Rechtfertigung orientiert sich am Be­griff der Gabe, der nach Oswald Bayer einen Urbegriff der Theologie und zugleich ein zentraler Begriff der Theologie Luthers darstellt. H. situiert seine Studie in dem von Marcel Mauss mit seinem Buch über die Gabe in archaischen Gesellschaften angestoßenen kulturanthropologischen Gabendiskurs (6–16). Er nimmt dabei auch Bezug auf den Gabendiskurs der französischen Philosophie (Pierre Bordieux, Lévi Strauss) und der »Radical Orthodoxy« (John Milbank). Der Gabendiskurs von Jacques Derrida und Jean-Luc Marion spielt bei H. dagegen keine Rolle, was etwas überrascht, zumal sich Milbank auf Derrida und Marion in seinen gabentheologischen Beiträgen explizit bezieht.
H.s Lutherstudie gliedert sich in neun Kapitel. Im ersten Kapitel erläutert er seinen gabentheologischen Zugang zur Theologie Luthers (1–18). Das zweite Kapitel liefert einen rezeptionsgeschichtlichen Überblick zur Lutherforschung, von Ferdinand Chris­tian Baur über Regin Prenter und Werner Erlert bis hin zu Oswald Bayer und der neueren finnischen sowie deutschen Lutherforschung (19–47). In dem kurzen dritten Kapitel (48–69) gibt H. einen Einblick in Luthers Ringen mit der rechtfertigungstheologischen Ambivalenz der Reziprozität im »Sermo die S. Andreae« (1516) und im »Sermo de duplici iustitia« (1518). Das vierte Kapitel (70–103) untersucht den Schlüsselbegriff der »Selbsthingabe« in Luthers Großem Gala­terbriefkommentar (1519).
Im fünften Kapitel rekonstruiert H. Luthers Verwendung der Reziprozitätsstruktur im Sermo »Von den guten Werken« (1520) und der Hauptschrift »De libertate christiana« (1520). Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Asymmetrie im Verhältnis Gott und Mensch, d. h. die im rechtfertigenden Glauben empfangene Selbsthingabe Christi, für Luther keineswegs eine Reziprozität von Gabe und Gegengabe im Verhältnis von Gott und Mensch ausschließt (104–131). Eine Untersuchung des Bedeutungsfeldes des Begriffs »donum« im »Antilatomus« (1521) bietet das sechste Kapitel. H. kann zeigen, dass für Luther die Gnade als Gabe im Menschen Wirklichkeit wird, so dass der Gnade ein gewisser Vorrang vor der Gabe einzuräumen ist. Als donum, das die menschliche Antwort hervorruft, bezeichnet Luther das, was gegeben wird: Christus, den empfangenen Glauben, die in­nere Gerechtigkeit, den heiligen Geist (132–170).
Das siebte Kapitel untersucht die göttliche Sozialität in der Wartburgpostille von 1522 (171–200). Im achten Kapitel widmet sich H. dem Begriff der Lehre (doctrina) im Großen Katechismus (1529) und im Galaterbriefkommentar. Das Verhältnis von Verkündigung und Ermahnung, Lehre und Paränese bei Luther wird von H. mit Hilfe des Begriffs der Gabe analysiert. Aus der Gabe des Glaubens erwächst die Kraft zur Einhaltung der Gebote, auf die der Christ verpflichtet ist (201–235). Eine Zusammenfassung der Er­gebnisse liefert das neunte Kapitel (236–244). Abgerundet wird die Studie durch ein ausführliches, gegliedertes Literaturverzeichnis (245–260) und ein Register der Bibelstellen sowie der Namen und Begriffe (261–174).
H.s Lutherarbeit liest man, vor allem auf dem Hintergrund der Gemeinsamen Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche zur Rechtfertigungslehre und ihrem Appendix (1999), mit großem Gewinn. Denn sein gabentheologischer Zugang zur Theologie Luthers kann zeigen, dass der Reformator die Rechtfertigung des Sünders nicht nur negativ, sondern auch positiv versteht. Die Rechtfertigung ist nicht allein die Annullierung der Schuld; der Glaube, durch den der Mensch ge­rechtfertigt wird, ist wirksame Gabe Gottes und schließt – als Antwort darauf – eine Aktivität des Menschen ein, gabentheologisch formuliert: Die »Gabe« evoziert die »Gegengabe« (239).
Luthers berechtigte Zurückweisung einer Ökonomie im Verhältnis von Gott und Mensch meint also nicht eine vollständige Passivität des Menschen. Wenn es bei Luther und im Appendix der Gemeinsamen Feststellung zur Rechtfertigungslehre heißt, die Rechtfertigung des Menschen geschehe mere passive, so schließt dies die menschliche Antwort im Glauben und in den daraus resultierenden Werken der Liebe keineswegs aus. So wie H. Luthers Rechtfertigungslehre gabentheologisch rekonstruiert, ist sie auch für den katholischen Theologen akzeptabel.