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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

955–957

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Ringshausen, Gerhard

Titel/Untertitel:

Widerstand und christlicher Glaube angesichts des Nationalsozialismus.

Verlag:

Berlin: LIT 2007. X, 511 S. gr.8° = Lüneburger Theologische Beiträge, 3. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-8258-8306-5.

Rezensent:

Hans Otte

Mit diesem Buch zieht der Vf. eine Bilanz seiner langjährigen Beschäftigung mit der Geschichte des Widerstands in der NS-Zeit und speziell in der Kriegszeit. Dabei interessieren ihn besonders die Motive der Widerständler – präziser: ihr handlungsleitendes Verständnis des christlichen Glaubens; in diesen Kontext gehört auch die Frage nach der Bedeutung der Kirche und speziell der Bekennenden Kirche (BK) für das Engagement im Widerstand. Der Vf. beschränkt sich trotz des generellen Titels auf den Protestantismus und die evangelische Kirche; nur für diesen Bereich beansprucht er die notwendige »Sensibilität für die unterschiedlichen Sprachwelten« (21), in denen sich die evangelischen Widerständler bewegten. Kern des Buches sind die Kapitel IV bis XII; sie enthalten biographische Darstellungen einzelner Widerständler und Widerstandsgruppen aus dem bürgerlich-militärischen Widerstand. Den Biographien vorangestellt sind drei Kapitel, die einen Überblick über die Forschungsgeschichte des Widerstands geben (Kapitel I), das Verhältnis der verschiedenen kirchlichen Gruppen zum Widerstand darstellen (Kapitel II) und Dietrich Bonhoeffers Überlegungen zum christlichen und kirchlichen Engagement im Widerstand analysieren (Kapitel III).
Nachdem die Betonung der ethisch-religiösen Dimension des Widerstands, die für die frühen Darstellungen des Widerstands charakteristisch war, durch eine funktionalistisch-politische Deutung abgelöst wurde, hat die Mentalitätsgeschichte der letzten Jahre die Frage nach der Bedeutung des Glaubens neu gestellt, nun ergänzt durch die Frage nach den unterschiedlichen (religiösen) Milieus, die eine Hinwendung zum aktiven Widerstand beförderten oder verhinderten. Um sich an dieser Diskussion sinnvoll zu beteiligen, wählt der Vf. einen biographischen Ansatz, da der Schritt in den Widerstand – wenigstens im Kontext des protestantischen Bürgertums und in der Zeit des Krieges – nur das Ergebnis eines indi­viduellen Entscheidungsprozesses sein konnte. Um es vorneweg ­zu sagen: Das Buch bestätigt die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes: Die Mischung der verschiedenen Motive, Glaubenshaltungen und des jeweiligen sozialen Umfelds wird bei der vom Vf. untersuch- ten Gruppe, den Angehörigen des bürgerlich-militärischen Widerstands, deutlich. Dem Vf. kommt dabei zugute, dass er zu etlichen Familien der Widerständer enge persönliche Kontakte aufgebaut hat, so dass er über das schon bekannte Material hinaus neue Quellen – Tagebücher, Bücher – zur Interpretation nutzen kann.
Grundsätzlich haben von den Angehörigen der radikalen BK nur wenige den Weg zum aktiven Widerstand gefunden, viele der aktiven Widerständler waren eher von volkskirchlichen Positionen der sog. Mitte geprägt, singulär blieb eine Gestalt wie der General und Theologe Friedrich von Rabenau, der theologisch den Deutschen Christen nahe stand. Bekanntlich lehnte die BK den Widerstand – den Umsturz des NS-Regimes – weithin ab. Die Verpflichtung zum leidenden Gehorsam hatte für die führenden Theologen der BK ein größeres Gewicht, hinzu kam die Tradition von Röm 13. So war es im Kontext der protestantischen Theologie in dieser Zeit schwierig, eine Pflicht zum Widerstand theologisch zu begründen. Wie schwierig das war, zeigen die Reflexionen Dietrich Bonhoeffers zu diesem Thema. Damit die Kirche vom Staat klar unterschieden bleibt, darf die Kirche in der Frage eines politischen Widerstands nur indirekt handeln – an dieser Überzeugung hielt Bonhoeffer bis zu seinem Tode fest; dagegen veränderte sich seine Bewertung und Begründung des individuellen Widerstands mehrfach, bis er zu­letzt eine verantwortungsethische Position ausarbeitete, die dem Einzelnen eine Verpflichtung zum Widerstand zuschrieb, ohne ihn von Schuld freisprechen zu können. Verglichen mit Bonhoeffer sind die Überlegungen der meisten Widerständler natürlich konkreter, teilweise schlicht.
Dennoch ist immer wieder erstaunlich und eindrucksvoll, mit welcher Ernsthaftigkeit die Einzelnen um den Schritt in den Wi­derstand rangen – das wird vom Vf. deutlich herausgearbeitet. Es darf ja nicht übersehen werden, dass die meis­ten Widerständler Laien waren, die ihre christliche Glaubensüberzeugung nur teilweise oder sehr formelhaft verbalisierten.
So sind die Kapitel mit den Biographien der Kern des Buches. Vorgestellt werden u. a. Hans-Bernd von Haeften, Ernst von Harnack, Ewald von Kleist-Schmezin, Carl Goerdeler, Helmuth James von Moltke, aber auch Gruppen wie die Brüder Kaiser oder der Kreis um die Witwe des früheren Staatssekretärs Wilhelm Solf. Der Vf. schildert das Beziehungsgeflecht, in dem die Widerständler jeweils lebten und das den Eintritt in den Widerstand ermöglichte, und fragt nach ihrem Glaubensverständnis und dem Verhältnis zur evangelischen Kirche. Berücksichtigt wird auch die Definitionshoheit des NS-Staates: Beispielsweise gehörten zur sog. Teegesellschaft, die sich personell mit dem Solf-Kreis überschnitt, viele, die gar nicht aktiv am Widerstand beteiligt waren, sondern nur ›dissident‹ und ›defätistisch‹ waren; dennoch wurden sie als Angehörige der früheren Elite mit gnadenloser Härte bestraft und galten in den Augen des NS-Regimes als Teil des Widerstands, der den Umsturz plant.
Insgesamt war der Einfluss der BK auf den systemstürzenden Widerstand gering. Nur wenige der Widerständler engagierten sich sich aktiv in der BK; sie achteten sie, doch blieben den meisten von ihnen die theologischen Grundsätze der BK fremd. Sie waren eher vom theologischen Liberalismus und einer ›preußischen Pflichtethik‹ geprägt, für die Gott und das Christentum nur der unausgesprochene Hintergrund der Überlegungen blieb. Auf der Seite der BK blieb bei ihren führenden Theologen – von Dietrich Bonhoeffer abgesehen – die Distanz zum politischen Widerstand. So half den Widerständlern ein positiver Bezug auf die BK kaum weiter, als sie den Schritt in den Widerstand gingen. Allerdings suchten einige, vor allem aus dem Kreisauer Kreis, nach einer besseren Begründung des staatlichen Handelns, um solche Perver­sionen zu verhindern, wie sie sie erlebten. Diese Überlegungen konnten dann zu einem bewussten Christentum führen; bei den Jüngeren, die eher säkular geprägt waren, kam die Neuentdeckung des christlichen Glaubens als einer existentiellen Gewissheit hinzu, der eine Übernahme der Verantwortung ermöglicht.
Insgesamt entfaltet das Buch das breite Panorama des protes­tantischen Widerstands mit seinen unterschiedlichen Optionen. In mehreren Anläufen diskutiert der Vf. die Bedeutung des christlichen Glaubens für das Engagement im Widerstand. Insgesamt ist das Ergebnis ernüchternd: Nur bei wenigen war die christliche Grundüberzeugung für den Schritt in den Widerstand bestimmend; bei den meisten gewann der Glaube erst Relevanz, als die Entscheidung zum Widerstand schon gefallen war und ein Scheitern vor Augen stand.
Bedauerlich ist nur der Titel des Buchs. Der Vf. beschränkt sich auf die protestantisch geprägte bürgerlich-militärische Kerngruppe des Widerstands gegen Hitler; andere Gruppen des Widerstands, etwa der sog. Arbeiterwiderstand, werden gar nicht angesprochen oder kommen nur in den Blick, wenn sie – wie einige katholische Widerständler – Kontakt mit der vom Vf. vorgestellten evangelischen Kerngruppe hatten. Hier hätte ein Untertitel für die notwendige Präzision gesorgt und Irritationen vorgebeugt.