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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

951–954

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Kuropka, Joachim [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Streitfall Galen. Studien und Dokumente. 2. Aufl.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2007. 540 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 39,80. ISBN 978-3-402-00232-2.

Rezensent:

Martin Greschat

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Schüler, Barbara, Flammer, Thomas, u. Hubert Wolf [Hrsg.]: Clemens August von Galen. Ein Kirchenfürst im Nationalsozialismus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007. VI, 277 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 79,90. ISBN 978-3-534-19905-1.


Aus Anlass der Erinnerung an den Todestag von Clemens August von Galen (16.3.1946) sowie zu seiner Seligsprechung (9.10.2005) kam es zu einer Vielzahl von Veranstaltungen und einer Fülle von Veröffentlichungen. Diese beiden Sammelbände spiegeln die Be­deutung des Mannes, die Gemeinsamkeiten in der Be­urteilung seiner Persönlichkeit, aber auch gravierende Unterschiede.
Das von Joachim Kuropka edierte Werk enthält neben 17 Beiträgen 34 informative Dokumente von Galen aus der Zeit von 1910 bis 1933 (385–492). Von den Artikeln hat der Herausgeber fünf selbst verfasst, zwei seine enge Mitarbeiterin Maria Anna Zumholz. Beide sind mehrfach literarisch als gründliche Kenner des Lebens, der Tätigkeit und des Denkens des Kirchenmannes hervorgetreten. Auch hier zeigen sie sich bemüht, keinen Schatten auf das Bild der verehrten Persönlichkeit fallen zu lassen. Ihre Arbeiten spiegeln die hohe Wertschätzung, die Galen in breiten Kreisen des nordwestdeutschen Katholizismus genießt. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass der Verlag dieses Buch bereits nach einem halben Jahr in zweiter Auflage herausbringen konnte.
Kuropka verbindet in seinen Studien gründliche Quellenkenntnis mit der Reduktion von Komplexität. Notwendige Differen­zierungen werden zu Eindeutigkeiten, Möglichkeiten zu feststehenden Tatsachen. Zum Beispiel: Obwohl Rom schließlich die nachträgliche Nominierung von Galens auf der vom Papst zu bil­ligenden Liste der Bischofsanwärter, der Terna, akzeptierte, weil zwei andere Kandidaten abgewinkt hatten, urteilt Kuropka, der Vatikan und der Kardinalstaatssekretär hätten in Galen klarsichtig den »Mann der Stunde« erkannt (37–52). Bereits 1932 sei ihm das »neuheidnische« Wesen des Nationalsozialismus klar gewesen und dessen nationales Tönen hätte ihn nicht beeindruckt (115–140). Be­son­ders krass tritt die Tendenz im Abschnitt über Galens Verhältnis zu den Juden hervor (141–163). Kuropka stellt ihn unter die Überschrift: »Dass für ihn auch heute noch die Juden das auserwählte Volk Gottes seien«. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Äußerung Galens, sondern um die Charakterisierung des Bischofs durch die Gestapo in denunziatorischer Absicht. Sicherlich ließ das Leiden der jüdischen Mitbürger Galen nicht gleichgültig. Fraglos ist das von Beth A. Griech-Polelle (Bishop von Galen, New Haven 2002) gezeichnete Bild des Bischofs als eines dezidierten Antisemiten falsch. Aber das genaue Gegenteil davon zu entwerfen, überzeugt ebenso wenig. Der Münstersche Bischof dachte und handelte auch in dieser Hinsicht sehr viel durchschnittlicher.
Gegen ein solches Urteil protestiert Maria Anna Zumholz entschieden. Sie weist die Aussagen verschiedener Zeitgenossen ve­hement zurück, wonach Galen nur über recht begrenzte intellek­tu­elle und rhetorische Fähigkeiten verfügt habe (269–289). Das »ge­lingt« ihr dadurch, dass sie diejenigen als wenig vertrauenswürdig beschreibt, die so urteilten – darunter den angesehenen Philosophieprofessor Josef Pieper in Münster und den Berliner Bischof Konrad von Preysing!
Ebenso reizt die Darstellung der Haltung Galens zum Krieg bei Zumholz zum Widerspruch (165–187). Selbstverständlich billigte der Bischof Kriege nicht, akzeptierte sie nur, der traditionellen kirchlichen Lehre vom gerechten Krieg entsprechend, im Verteidigungsfall. Aber wenn er dann vom »heiligen Kampf« für die Interessen des Vaterlandes sprach und den Überfall auf die Sowjetunion als Befreiungskrieg für Russland vom Bolschewismus interpretierte (182 f.), kommen doch andere Momente zum Tragen. Natürlich war Galen alles andere als ein Anhänger des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges im Osten. Aber seine Äußerungen durch den Hinweis auf die Verbrechen des Kommunismus und die Konstruktion eines von der UdSSR geplanten Angriffs auf Europa (184 f.) relativieren oder sogar rechtfertigen zu wollen, geht fraglos zu weit.
Eine solche Argumentation ist allerdings nicht für sämtliche Beiträge dieses Bandes kennzeichnend. Hervorzuheben ist der Artikel von Winfried Süß über die Ausstrahlung des »Euthanasiepro­tes­tes« Galens (53–77). Süß belegt, dass das Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Faktoren die enorme Wirkung dieser Predigt ausmachte, bis hin zur Sorge nationalsozialistischer Führungskreise, jetzt beginne ein umfassender Vorstoß des katholischen Episkopats gegen das Regime. Wichtig ist sodann die Klarstellung Stefan Gerbers, dass Galen zwar die Revolution von 1918 ablehnte, auch den Gedanken der Volkssouveränität in der Weimarer Ver­fassung, aber keineswegs deren Bestimmungen, weil diese sich integralistisch-katholisch interpretieren ließen (95–114). Dass der Bischof kein Anhänger einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie war, dürfte allerdings deutlich sein. Besonders relevant erscheint mir schließlich der Beitrag von Rudolf Willenborg über die »Wandlungen des Galenbildes« (291–340), weil er ebenso anschaulich wie differenziert den Missbrauch darlegt, der mit Halbsätzen Galens oder angeblich von ihm stammenden Äußerungen getrieben wird. Bares Unwissen und emotionale oder ideologische Vorurteile führen zu unentwegten Wiederholungen längst als falsch erwiesener Behauptungen. Eine besonders problematische Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Internet. Willenborg belegt, wie die breite Streuung unwahrer oder fehlerhafter Behauptungen und Zitate ungeprüft auch in seriöse wissenschaftliche Texte und Projekte einfließen kann.
Es ist daher verständlich, dass Hubert Wolf in dem u. a. von ihm herausgegebenen Sammelband ausdrücklich betont, eine Position »jenseits von Apologetik und Polemik« beziehen zu wollen (5–12). Hier begegnen ebenfalls 17 Beiträge, wieder liegt der Nachdruck auf der Zeit des Nationalsozialismus. Die prägnante Formulierung von Wolf, dass der Nationalsozialismus in seiner Anfangszeit eine »Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Hoffnungen, Ängste und Ideen« war (11), nimmt Rudolf Morsey dahingehend auf, dass Galen zwar kein »Rechtskatholik« war, der außerhalb der Zentrumspartei stand: Aber er habe zunächst nicht das Wesen des Nationalsozialismus durchschaut, in ihm vielmehr recht unterschiedliche und widersprüchliche Züge wahrgenommen (122–135). Dem widerspricht Kuropka auch hier (136–145, ähnlich 146–158).
Heinz Hürten (13–20) und Hans-Ulrich Thamer (107–121) reflektieren in ihren Beiträgen das Verhältnis des westfälischen Katholizismus zum Nationalsozialismus und versuchen eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang des Widerstands. Einig sind sie, dass hier von politischem Widerstand nicht die Rede sein kann.
Anschaulich schildert Ingrid Lueb die betont ultramontane katholische Atmosphäre im Elternhaus Galens (28–52). In dieser bergenden, aber stets auch klar gegenüber anderen Einflüssen abgegrenzten Welt blieb Galen während des Theologiestudiums (H. Wagner, 53–60), in den langen Jahren als Priester in Berlin (W. Knauft, 61–91) und ebenso zunächst als Stadtpfarrer in Münster (Th. Flammer, 92–106).
Wichtig und weiterführend erscheint mir der Beitrag von Chris­toph Kösters über Galens Einstellung zum Zweiten Weltkrieg (159–180): Der Bischof vertrat zunächst recht selbstverständlich die kirchliche Lehre vom gerechten Krieg. Er wiederholte sodann die traditionellen Mahnungen, dass der Christ ritterlich kämpfen müsse. Die Revision des Versailler Vertrags und der religiöse Widerstand gegen den Bolschewismus erschienen dafür als ausreichende Gründe. Mehr und mehr sprach Galen dann von der Strafe Gottes und dem stellvertretenden Leiden der Christen. Fraglos hat der Bischof die Realität des totalen Krieges verkannt. Ob er sie zuletzt geahnt hat, sei dahingestellt. Dass Kösters auf die hier nach wie vor bestehende Aporie verweist, berührt sympathisch.
Dasselbe gilt für den klaren und nüchternen Bericht von Heinrich Müssinghoff über Galens Verhältnis zu den Juden (199–220). Der Bischof äußerte sich eindeutig gegen den Rassenantisemitis­mus, aber er protestierte nicht öffentlich gegen die Verfolgung der Juden. Die auch seitens der Kirche längst vollzogene Ausgrenzung der Juden, die Substitutionstheorie – wonach die christliche Kirche nach der Kreuzigung Jesu die Stelle Israels und seiner Verheißungen eingenommen habe – und nicht zuletzt die keineswegs unbegründete Furcht, den Nazis einen Vorwand für Angriffe auf die Kirche zu liefern, führten dazu, dass auch sehr mutige Kirchenführer schwiegen. In dieser Hinsicht verhielt sich Galen kaum anders als die Bischöfe in beiden Konfessionen. Allerdings möchte ich das Urteil nicht unterschreiben, dass Galens Verzicht auf einen öffentlichen Protest darum »gute und ehrenwerte Gründe« hatte (220).
Im Wesentlichen dieselbe anregende Darstellung über die Komponenten der Wirkung der Predigten Galens wie im Sammelband von Kuropka bietet Süß auch hier (181–198). Thomas Großbölting schließlich informiert über den nur auf den ersten Blick lokalen Streit in Münster über ein Denkmal für Galen (231–252). Plastisch treten hier noch einmal die heterogenen Positionen im Blick auf die Beurteilung seiner Persönlichkeit hervor.
Treffend hat Hubert Wolf die Besonderheit dieses Kirchenmannes dahingehend zusammengefasst, dass er »ein ganz durchschnittlicher Zeitgenosse von durchaus beschränkten Geistesgaben war, der in einer bestimmten Situation über sich hinauswuchs« (256). Erstaunlich ist, dass viele seiner Bewunderer Schwierigkeiten ha­ben zu erkennen, dass exakt darin die Faszination liegt, die von diesem Bischof und Kardinal Clemens August von Galen ausgeht.