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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

950–951

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Otte, Hans, u. Hans Schneider [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frömmigkeit oder Theo­logie. Johann Arndt und die »Vier Bücher vom wahren Chris­tentum«. Mit 27 Abb.

Verlag:

Göttingen: V&R unipress 2007. 435 S. gr.8° = Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, 40. Geb. EUR 56,00. ISBN 978-3-89971-386-2.

Rezensent:

Peter Schicketanz

Vom 11. bis 13. Oktober 2005 fand in Wolfenbüttel aus Anlass der 450. Wiederkehr der Geburt Johann Arndts ein Symposion statt. Der Band dokumentiert die dabei gehaltenen Vorträge und stellt so den bisherigen Ertrag der Arndtforschung in ausführlicher Breite und Tiefe dar. Dabei geht es, wie die Herausgeber in der Einleitung darlegen, um drei Themenfelder: 1. Arndts amtliches Wirken und seine Umwelt; 2. Arndts Christentumsverständnis und 3. Die Rezeptionsgeschichte Arndts bei anderen Theologen, in anderen Sprachen und in der Kunst.
Ich vermisse eine Kurzvorstellung der Autoren. Und leider wird auch der provokative Titel des Bandes »Theologie oder Frömmigkeit« weder in der Einleitung noch in den Vorträgen selbst thematisiert, begründet oder wenigstens erläutert. Der zweite Aufsatz von Markus Matthias: Gab es eine Frömmigkeitskrise um 1600? (27–43) ist allerdings wohl für die Herkunft des Gesamttitels verantwortlich. Matthias bestreitet die Krise um 1700 und hält die von Winfried Zeller in die Diskussion gebrachte Diastase zwischen Theo­logie und Frömmigkeit (Lehre und Leben) sprachlich und sachlich für falsch. Hier wird es mit Sicherheit eine kri­tische Auseinandersetzung geben, denn das Verhältnis von dog­matischer Be­kenntnistreue und subjektiver Glaubenserfahrung bleibt nicht nur für Arndt, sondern im Grunde für jeden denkenden Christen eine spannungsvolle Polarität.
Zu Beginn wird Schneiders öffentlicher Vortrag über Arndt ab­gedruckt: Der Braunschweiger Pfarrer Johann Arndt. Sein Leben auf dem Hintergrund der deutschen Kirchengeschichte 1555–1621 (13–25). Im ersten Teil des Buches sind vorrangig historische Beiträge zu finden:
Wolfgang Breul, Johann Arndt und die konfessionelle Entwicklung Anhalts (45–67); Ernst Koch, Johann Arndt in Eisleben (69–89); Wolfgang Sommer, Johann Arndts Predigtwerke auf dem Hintergrund seines Wirkens in Niedersachsen (91–111).
Der zweite Teil dreht sich um Arndts Christentumsverständnis:
Athina Lexutt, Johann Arndt und das lutherische Bekenntnis (113–128), sieht Arndt als echten Lutheraner. Man müsse Arndt mehr mit dem Luthertum als mit Luther selbst vergleichen (127); Hermann Geyer, Libri Dei. Die Buchme­taphorik von Johann Arndts »Vier Büchern vom wahren Christentum« als theo­sophisch-theologisches Programm (121–161); Carlos Gilly, Hermes oder Luther. Der philosophische Hintergrund von Johann Arndts Frühschrift »De antiqua philosophia et divina veterum Magorum Sapientia recuperanda« (163–199); Inge Mager, Johann Arndts Vorreden zum ers­ten Buch »Vom wahren Christenthumb« zwischen 1605 und 1610. Ein Beitrag zu ihrer Veröffentlichungsgeschichte (201–229).
Der dritte Teil widmet sich der Wirkungsgeschichte:
Martin Brecht referiert über Die Aufnahme von Arndts »Vier Büchern vom wahren Christentum« im deutschen Luthertum (231–262). Brecht platziert mit Geyer Arndt »außerhalb der lutherischen Orthodoxie« (232), Johann Anselm Steiger über Johann Arndts »Wahres Christentum«. Lukas Osianders Kritik und Heinrich Varenius’ Arndt-Apologie (263–291). Die ambivalente Beurteilung Arndts wird hier schon deutlich. Johannes Wallmann, Spener und die »Vier Bücher vom wahren Christentum«, vor allem sein Verhältnis zum vierten Buch (293–314), untersucht Speners Distanz zum vierten Buch Arndts, dem Buch über die Natur. Wahrscheinlich hat Spener von Joachim Stoll eine andere Anschauung von der Natur übernommen. Stefan Reichelt, Johann Arndts (1555–1621) »Vier Bücher vom wahren Chris­tentum« in Rußland. Ein frühes Kapitel der west-ost­europäischen geistigen Integration (315-335), beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Übersetzer Simeon Feodorovic Todorsky. Tobias Kaiser, Zinzendorfs Projekt einer französischen Arndtausgabe (337–356), zeigt, dass Zinzendorf die französische Übersetzung, die er veranlasst und mit kontrolliert hatte, nach Frankreich ausführen wollte. Sein Plan scheiterte. Später distanzierte sich Zinzendorf von Arndt. Die Sammlung schließt mit einem umfangreichen interessanten Beitrag von Reinhard Lieske: Motive aus Arndts »Wahrem Christentum« in Kirchenausmalungen (357–421). 27 Abbildungen werden besprochen. Ein Personen- und ein Ortsregister beschließen diesen inhaltsreichen Band.
Der Band zeigt, wie offen die Diskussion um Arndt nach wie vor ist. Die Herausgeber sagen in der Einleitung zusammenfassend: »Weil das Werk mehrdeutig war, konnten jahrhundertelang die Leser … ganz selbstverständlich jeweils die Teile rezipieren, die für ihr Christentumsverständnis wichtig waren.« (11)