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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

939–941

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Haehling, Raban von [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Griechische Mythologie und frühes Christentum.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005. XIII, 401 S. m. Abb. 8°. Geb. EUR 59,90. ISBN 978-3-534-18528-3.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Die Aufsätze dieses Sammelbandes gehen zurück auf eine vom Herausgeber im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes organisierte Vorlesungsreihe an der RWTH Aachen. Die ersten sieben Ar­beiten befassen sich mit der Rolle des Mythos vornehmlich in paganer Literatur.
Manfred Fuhrmann († 2005) vergleicht in einem seiner letzten Forschungsbeiträge die Literaturgattungen Mythos, Fabel und Legende. Gemeinsam sei ihnen, »dass ihre Inhalte die im heutigen Sinne reale Welt überschreiten«, indem Götter, vermenschlichte Tiere und Wunder in die Handlung einbezogen würden, fernerhin die Vielfalt der Ausformungen und die Fülle der Werke über viele Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart (17). Die Mythen zeigten eine überraschende Affinität zum Märchen, ja, sie seien bei den Griechen »aus einfachen Geschichten, im Falle der Odyssee zumal aus Märchen, hervorgegangen« (20), wobei sich Fuhr­mann an Uvo Hölscher anschließt. Dies erkläre, warum die Märchenliteratur per se in der griechischen Antike überraschend dürftig sei, weil sie »von ihrem nächsten Verwandten, dem Mythos, absorbiert« wurde (18).
Jan Bremmer untersucht den Zusammenhang zwischen My­thos und Ritual im alten Griechenland in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die Arbeiten Walter Burkerts und deren Weiterentwicklung durch Hendrik S. Versnel, die er einer kritischen Revision unterzieht. Er kommt zu dem Ergebnis, es gebe keine feste Regel für die Beziehung zwischen Mythos und Ritual, vielmehr müsse jeder Fall einzeln betrachtet werden, und oft bleibe es mangels geeigneter Quellen bei einem non liquet.
Mit der rationalistischen Mythenkritik des Palaiphatos (um 340 v. Chr.) beschäftigt sich Kai Brodersen und zeigt, dass sich dessen Versuch der »Entmythologisierung« nur auf »Nebenfiguren der (heidnischen) Mythen«, nämlich Heroen und Ungeheuer richtet, während die »großen Gottheiten des griechischen Pantheon« bei ihm nur »selten« erscheinen und dieser Kritik nicht unterzogen werden. Palaiphatos habe es damit seinen Lesern ermöglicht, »die Götter letztlich doch für glaublich zu halten« (52).
Der Sinn der Darstellung des Mythos von Amor und Psyche in Apuleius’ Metamorphosen ist Thema eines knappen Beitrags von Klaus Rosen. Geht es dabei nur um Ergötzung des Lesers, oder gibt es einen tieferen Sinn, handelt es sich etwa um einen Mysterientext? Rosen verneint beides und stellt einen Zusammenhang zwischen dieser Erzählung und zeitgenössischen philosophischen Traktaten zur Psyche her.
Porphyrios als religiöse Persönlichkeit und als religiöser Denker wird von Wolfgang Speyer gewürdigt. Er meint, der Neuplatoniker habe »mit seiner religiös begründeten Philosophie in gewisser Weise an die Stelle der antiken Religion und auch der Mysterien treten« wollen, sei es doch wie diesen auch ihm um das »Heil der Seele« gegangen (81).
»Die geistigen Strömungen im späten Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit« macht Ruprecht Ziegler in seinem Aufsatz dafür verantwortlich, »dass in kilikischen Städten eine fiktive griechische, namentlich argivische Gründungstradition um Perseus und Herakles auf fruchtbaren Boden fallen konnte« und die autochthonen Kulte weithin verdrängte (102).
Jutta Dresken-Weiland untersucht pagane Mythen auf Sarkophagen des 3. Jh.s und bietet dabei sehr viel statistisches Material, dessen Deutung dann aber nicht durchweg stringent wirkt.
Die übrigen elf Aufsätze widmen sich der jüdisch-christlichen Rezeption paganer Mythen.
Folker Siegert durchmustert in dieser Hinsicht die jüdische Literatur griechischer Sprache, während Detlev Dormeyer der strittigen Frage nachgeht, ob es eine direkte Beziehung zwischen dem Bakchos-Dionysos-Mythos und dem lukanischen Geschichtswerk gibt, und diese vorsichtig bejaht.
Walter Burkert stellt fest, dass die Mythen von Anfang an von ihrer Kritik begleitet werden, der gegenüber sie sich jedoch stets behaupten können. Er illustriert diese fast dialektisch zu nennende Spannung eindrücklich zunächst an paganen Quellen sowie sodann am Beispiel der Mythenkritik der Apologeten einerseits sowie andererseits an der kreativen Aneignung des Mythos in gnostischen Kreisen.
Christian Gnilka rückt den »Altersbeweis« in den Mittelpunkt seiner hochproblematischen Überlegungen zu »Wahrheit und Ähnlichkeit«. Obwohl his­torisch verfehlt, habe die Argumentation mit dem Alter des Christentums doch »Zeugnis« abgelegt »für das bleibende objektive Wesen der Religion, in deren Dienst sie trat«, welches wiederum »nicht durch das Streben nach Harmonisierung, Ausgleich, dogmatischer Toleranz, sondern durch den unbeugsamen Willen zur Unterscheidung, Reinigung, Besitznahme gekennzeichnet« sei – eine Einschätzung, die eher das objektive Wesen des Verfassers als das seines Gegenstandes charakterisiert.
Christoph Markschies, Wilhelm Geerlings und Helga Scholten beschäftigen sich in ihren Beiträgen mit »Mythenkorrekturen« (Markschies) durch das Christentum am Beispiel von Odysseus, Orpheus, Demeter und Persephone, wobei Markschies zu dem Schluss kommt, dass die christlichen Theologen »längst bestehende Bedenken gegen den Mythos« verstärkten, aber doch »durch ihre allegorischen Interpretationen« halfen, »eine Wahrheitswelt für ihn zu bewahren, wenn sie ihn denn der Interpretation für würdig befanden« (249). Stephanie Vanderheijden konzentriert sich hingegen auf die Mythenrezeption bei Klemens von Alexandrien, der seinen Lesern »einen Leitfaden des Umgangs mit dem Mythos« an die Hand geben wollte (310).
Abseits dieser nun doch schon ein wenig ausgetretenen Pfade entdeckt Benedikt Oehl, dass der Mythosbegriff auch in der antihäretischen Polemik zu finden ist. In diesem Kontext ist der Mythos »Instrument der Polemik und Reservoir allgemein verständlicher Metaphern und leistet so einen Dienst für die rhetorische Ausformung des antihäretischen Schrifttums« (338).
Der Bandherausgeber hingegen konzentriert sich auf die Rezeption einer bestimmten Form von Mythenliteratur, nämlich der grie­chischen Tragödie, unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes »Voraussehung und Willensfreiheit«.
Jörg Rüpke versucht schließlich unter dem Stichwort »Bilderwelten und Religionswechsel« zu zeigen, dass man zur Erklärung der kulturellen Interaktion zwischen Christen und Nichtchristen mit dichotomischen Modellen nicht auskommt. Veränderungen in den Bilderwelten seien »nicht als Austauschoperationen, sondern als Additionsvorgänge« zu verstehen, bei denen es (lediglich) zur »Zunahme kultureller Komplexität« komme (374).
Der Band, dessen reichhaltiger Inhalt hier nur angedeutet werden konnte, zeigt erfreulicherweise einen hohen Grad an thematischer Geschlossenheit und spiegelt so sehr schön einerseits den derzeitigen Erkenntnisstand zur Rezeption griechischer Mythen im antiken Christentum, andererseits aber auch die Heterogenität im methodischen Zugang innerhalb der deutschsprachigen Forschung wider.