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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

937–939

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Fiedrowicz, Michael

Titel/Untertitel:

Theologie der Kirchenväter. Grundlagen frühchristlicher Glaubensreflexion.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Herder 2007. 448 S. gr.8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-451-29293-4.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Christlicher Glaube ist untrennbar und von Anfang an mit seiner Selbstreflexion verbunden, also mit Theologie. Dieses Projekt des Denkens des Glaubens ist wiederum unter bestimmten geschichtlichen Umständen entstanden und muss sich daher seiner historischen Bedingtheit vergewissern, bedarf also der Theologiegeschichte. Innerhalb dieser Geschichte kommt nun bestimmten Epochen eine formative, möglicherweise normative Bedeutung für die Reflexion des Glaubens zu, d. h. der Status einer Fundamentaltheologie. Der Trierer Patrologe Michael Fiedrowicz nimmt in solcher Weise die Theologie der Kirchenväter als »grundlegende Erstantwort gegenüber der Offenbarungsbotschaft« (14) in den Blick. In neun Kapiteln werden die Errungenschaften der Väterzeit entfaltet. Der Spannungsbogen reicht von der Frage nach der »Legitimität einer Glaubensreflexion« (A) über das Traditionsprinzip (B), die Heilige Schrift (C), Glaubensregel und -bekenntnis (D) und das Verhältnis von Lex orandi und Lex credendi (E) bis zum Väterargument (F), zu den Konzilien (G) und dem frühen Konzept einer Lehrentfaltung (H) und endet mit einer Diskussion der Termini »Or­thodoxie und Häresie« (I). Innerhalb einzelner Kapitel wird teils historisch-genetisch argumentiert (besonders gelungen in F), mehrheitlich aber systematisch reflektiert, wie die Kirchenväter das jeweilige Thema behandelten. F. greift damit die Methode seines Buches »Apologie im frühen Christentum« (2000, 32006) auf, um durch die systematische Verknüpfung von Väteraussagen den »consensus patrum erkennbar [zu] machen und in der – unbestreitbaren – Polyphonie zugleich die innere Harmonie der Stimmen vernehmen [zu] lassen« (15).
So entsteht das Bild einer in den grundlegenden Fragen übereinstimmenden Gemeinschaft von Kirchenmännern, die in jahrhundertelanger Arbeit das Profil christlicher Theologie geschärft haben, das ihnen aber von der Struktur der Christusoffenbarung her bereits vorgegeben war: »Glaubensreflexion war ein spezifisch christliches Phänomen, das sich aus dem Wesen des Glaubens selbst ergab, insofern er in der Überzeugung gründete: Im Anfang war der Logos. Dieser Wahrheitsbezug des Glaubens … ermöglichte den Einsatz des Denkens zum Verständnis des Geglaubten, ließ Theologie im christlichen Sinne als Vernunft im Glauben und aus dem Glauben entstehen« (38). Glauben und Denken stehen in prinzipieller Harmonie: »Die Philosophie lernte beten, die Religion, unter dem Anspruch der Wahrheit zu leben« (43). Eine Alternative oder gar Kontradiktion widerspräche nach F. dem Denken der Kirchenväter fundamental: »›Erkenntnis‹ und ›Glaube‹ richten sich nicht auf verschiedene Gegenstände, sondern sind unterschiedliche Formen, in denen ein und dieselbe Wahrheit erfasst wird« (91). Dass dies mit der patristischen Hermeneutik Joseph Ratzingers und der Enzyklika »Fides et Ratio« (1998) weitgehend übereinstimmt, verhehlt F. nicht (vgl. die Bezugnahmen auf Texte des jetzigen Papstes und des römisch-katholischen Lehramtes: 42.60, Anm. 29; 216.249 f., Anm. 38; 362 u. ö.). Sein Ziel ist es gerade, dem »Relevanzverlust der patristischen Forschung entgegenzuwirken«, so dass »die Väter der Kirche auch heute noch als locus theologicus, als wertvolle Erkenntnisquelle wahrgenommen werden können« (14). Habe doch die »frühe Kirche« schon darin »die Prinzipien moderner Dogmenhermeneutik« antizipiert, dass sie »ihre Lehraussagen zunächst in Gestalt von Glaubensbekenntnissen formulierte, die nicht nur in der liturgisch-katechetischen Überlieferung verwurzelt waren, sondern von ihrer trinitarisch-heilsgeschichtlichen Grundstruktur her auch die einzelne Aussage stets in das Licht des nexus mysteriorum stellten« (216) – damit hätten die Väter bereits praktiziert, was 1989 die Internationale Theologenkommission für »Die Interpretation der Dogmen« festlegte. Andernorts wird festgehalten, dass das Lehramt bis in die Gegenwart auf das Traditionsverständnis des Vinzenz von Lérins rekurrierte, »um das katholische Verständnis der Dogmenentwicklung verbindlich zu formulieren« (362). Freilich ist eine Untersuchung der patristischen Zitate in römisch-katholischen Lehrverlautbarungen jüngerer Zeit ein Desiderat. Was die erwähnte »liturgisch-kateche­tische Verwurzelung« anbetrifft, so erwähnt F. zwar die neue De­batte um den Ursprung des Apostolikums, den M. Vinzent m. E. überzeugend ins 4. Jh. setzt (vgl. 202 f.), geht im Folgenden aber entsprechend seiner These über den Primat des Taufglaubens von der Existenz früher Taufbekenntnisse bereits in vorkonstantinischer Zeit aus (212–217).
Vorausgesetzt ist bei alledem, dass »die patristischen Theologen letztlich keine Privatideen vortrugen, sondern … vor allem Zeugen des Glaubens der Kirche waren und sein wollten« (15), der »die einzig adäquate Hermeneutik, der eigentliche Ort des Verstehens jener Texte« ist, »da er sie in ihrem eigenen Anspruch gelten lässt und auszulegen versucht« (16). Vom Glauben der Kirche abgesehen lässt sich demnach keine Patristik treiben, die über bloßes Nachzeichnen vergangener Fragestellungen hinausgeht. F. will dagegen das Ringen der Kirchenväter um die Wahrheitsfrage aufgreifen und »gefährliche Erinnerungen« wecken, besitze doch »das Glaubensdenken der Kirchenväter durchaus ein kritisches Potential gegen­über Verengungen und Verflachungen des Theologieverständnisses späterer Epochen« (ebd.). Auf welche Theologie damit gezielt wird, erschließt sich aus wiederholten Spitzen gegen die »moderne Exegese« (vgl. z. B. 56 zum »Diskontinuitätsdenken« in der Bibel­kritik seit der Reformation; 100 f. zum Primat der Quellenkritik gegenüber dem »Gottesverlangen« der Seele).
Nun ist es zweifellos richtig, dass die Kirchenväter nicht an der paulinischen Autorschaft der Pastoralbriefe zweifelten und keineswegs geneigt waren, Spätdatierungen auf Grund von formgeschichtlichen Erwägungen vorzunehmen (60). Doch sieht F. kritische exegetische Arbeit in exakter Analogie zum rationalen Ansatz der gnostischen Bibelkritik (122; vgl. 66): »Ziel und Ergebnis bleiben identisch. Den persönlichen Vorstellungen entsprechend die Texte sezierend oder montierend schaffen sich Einzelne oder bestimmte ›Schulen‹ ihre eigene Bibel, die sie der in der Kirche gelesenen Schrift entgegensetzen, wo ›in vollem Umfang ausgelegt, nichts hinzugefügt, nichts fortgenommen wird; hier werden die Schriften unverfälscht gelesen und entsprechend erklärt, richtig und genau, ohne Risiko und Blasphemie‹ (Iren., haer. 4,33,8)« (124). Historisch-kritische Bibelauslegung kommt damit auf der Seite der »Häretiker« zu stehen. Mehr noch: Eutyches und andere hätten sich »auf das sola-scriptura-Prinzip« zurückgezogen (183). Gewiss zeigte sich im Laufe des »arianischen« Streites das Problem, dass allein mit der Berufung auf die Schrift keine Klarheit zu schaffen war (305). Doch die These, dass die Kirchenväter in die Verwerfung der »modernis­tischen« Exegese durch das Dekret »Lamentabili« von 1907 hätten einstimmen können (101), erscheint einigermaßen gewagt. Im­mer­hin könnte man die moderne Bibelkritik – der sich die rö­misch-katholische Theologie längst geöffnet hat! – ja als ebenso fruchtbare und unausweichliche Herausforderung für das neuzeitliche Christentum sehen wie die hellenistische Philosophie für den Glauben des frühen Christentums. Der römische Antimodernis­mus war jedenfalls gewiss kein Ausdruck der für die Väter beanspruchten »klassischen katholischen Fähigkeit, sich maßvoll dem Neuen zu öffnen, ohne das Alte dabei zu verraten« (364)! Leider führt die Berufung auf solche lehramtlichen Texte stellenweise zu einem antiökumenischen Duktus: »Existenz und Akzeptanz eines κανὼν τῆς ἀληθείας bzw. einer regula veritatis ließen es den Kirchenvätern fernliegen, evidente Lehrgegensätze als ›versöhnte Verschiedenheit‹ oder ›differenzierten Konsens‹ zu deklarieren« (195).
Es entspricht F.s klarer Unterscheidung von »orthodox« und »häretisch«, dass die Darstellung »gnostischer« Lehren vielfach den Widerlegungen durch »kirchliche« Theologen entnommen wird (vgl. 50 f.153.169 u. ö.; eine Ausnahme ist der Verweis auf die Petrus­apokalypse aus Nag Hammadi, 56). Dass sich γνωστικοί »als Chris­ten, als Kirche, als katholische Gemeinde« (411) verstanden, er­schien den altkirchlichen Theologen gewiss als Anmaßung. Aber muss der Patristiker nicht konstatieren, dass sich erst allmählich herausschälte, wo der Unterschied zum christlichen Gnostizismus eines Clemens von Alexandrien lag (vgl. 413)? Und lässt sich die von den Vätern verfochtene These einer unkritischen Abhängigkeit der Gnosis von der griechischen Philosophie wirklich »nicht bestreiten«, während die »Rezeption philosophischer Ideen seitens orthodoxer Theologen eher in differenzierender, auswählender und um­prägen­der Weise ( χρῆσις)« erfolgt sei (422)? Das Unbehagen des Rezensenten speist sich letztlich aus diesen binären Alternativen, die allzu sehr die Optik der patristischen Autoren reproduzieren und zu we­nig nach der geschichtlichen Kontingenz solcher Schemata fragen. Vor allem aber wird von Anfang an mit dem Begriff des »Kirchenvaters« gearbeitet ohne zu klären, was damit gemeint ist und wie »orthodoxe« bzw. »kirchliche« Autoren von den »heterodoxen« oder gar »häretischen« Zeitgenossen zu unterscheiden sind – außer durch den Rekurs auf das »Glaubensbewusstsein der Gesamtkirche« (248).
Dieses aber ist historisch kaum zu fassen, und es ist reines Postulat, dass etwa in den Wirren der trinitätstheologischen Debatten nach Nizäa »der Glaubenssinn als Beharrungskraft [wirkte], die glaubenswidrige Neuerungen in­stinktiv erkannte und demgegenüber die Treue zum Ursprünglichen bewahrte« (289). Die ergebnisoffene Struktur solcher Auseinandersetzungen wird von F. zu gering eingeschätzt. Um 300 war, wie jüngst L. Ayres (Nicaea and Its Legacy, 2004) gezeigt hat, eben noch nicht entschieden, welche theologischen Op­tionen (»trajectories«) sich am Ende des 4. Jh.s als tragfähig erwiesen haben würden. Und die Nachgeschichte des Konzils von Chalkedon zeigt, dass die patris­tische Hermeneutik, wie F. sie präsentiert, bittere Spaltungen nicht verhindern konnte, obwohl alle beteiligten Theologen in dem Ziel übereingestimmt haben dürften, »theologische Erkenntnis nur im Rahmen des in der Kirche Maßgeblichen gewinnen zu wollen« (194). Wie dieses Maßgebliche zu bestimmen sei, war ja gerade umstritten. Wenn »in der Gottesfrage die Wahrheit umso mehr verfehlt [wird], je überzeugter ein Theologe ist, abschließende Aussagen machen zu dürfen und endgültige Ergebnisse vorlegen zu können« (434), dann wird man die unmittelbare Bedeutung der Kirchenväter für heutiges theologisches Denken doch moderater einschätzen und die Differenzen unter den Vätern stärker herausarbeiten müssen, als F. das tut.
Z. B. wäre präziser nach den sich wandelnden Kontexten früh­christlicher Theologie zu fragen, wie Chr. Markschies (Kaiserzeit­liche Theologie und ihre Institutionen, 2007) dies jüngst vorgeführt hat. Zu fragen, ob, wann und inwiefern es den unanimis consensus patrum gegeben hat, ist und bleibt aber zweifellos eine zentrale Aufgabe der Patristik, und es spricht nichts dagegen, F.s Anstöße für dieses Gespräch bereitwillig aufzunehmen.