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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

935–936

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Durel, Alain

Titel/Untertitel:

Éros transfiguré. Variations sur Grégoire de Nysse. Préface par Gérard Bensussan.

Verlag:

Paris: Cerf 2007. 185 S. 8°. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-2-204-08364-5.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Es ist ein kluges Buch, lesbar geschrieben und mit Elan den Kirchenvater zu einem postmodernen Angebot machend. D. hat Gregor von Nyssa gelesen, vor allem De vita Moysis, die Gregormonographien von U. von Balthasar (Présence et pensée, 1942) und J. Daniélou (Platonisme et théologie mystique, 1944). Sehr beein- druckt hat ihn Emmanuel Levinas, dem er Kernformulierungen zur Erläuterung Gregors entnimmt, um sich gegen das existenzialische Verständnis des ersten (174) und gegen das essentialische Verständnis des zweiten Gregorinterpreten (z. B. 71 u. 121) zu wenden. Denn die metaphysische Theologie, die ihr Wesen »onto-théo-lo­gique« aus der griechischen Philosophie übernommen habe, um die Offenbarung verstehbar zu machen, könne mit Gregor von Nyssa überwunden werden. Das Urteil von D. lautet: »Ne sommes-nous là en présence d’un mouvement d’explication (Erklärung) qui abouti dans la pensée moderne à la ›mort de Dieu‹ comme objet représenté, comme concept?« (18) Es müsse eine Dekonzeptualisierung stattfinden, der Kirchenvater Gregor biete sie an: »Repérant deux dimensions essentielles dans la pensée de Grégoire, la séparation radicale et absolue du créé et de l’incréé et le changement comme trait distinctif et constitutif du créé, nous avons tenté d’exposer de cette pensée ce que nous en saisissons comme philosophie de l’image, du devenir et du Désir, philosophie de langage, enfin, où adviennent de véritables métarmorphoses de l’ontologie« (174 f.). In der Tat, D. kann Beziehungen zur Theologie Gregors von Nyssa, die er »mystische Theologie« nennt, zeigen.
Das Buch hat eine Einleitung und zwei Teile. Teil I ist überschrieben »L’interprétation des Écritures« und bietet mit Zitaten und Erläuterungen einen Durchgang durch Gregors De vita Moysis; Teil II (»La doctrine de Grégoire de Nysse«) baut auf Konzepten Gregors auf und bezieht andere Schriften Gregors ein. GNO ist nirgends benutzt.
Teil I zu De vita Moysis wird mit den Stichworten »Beauté«, »Lutte«, »Nuits«, »Ivresse« dem Textablauf gerecht. Teil II geht von Gregors eigener Erklärung aus, die in der Übersetzung von F. Dünzl lautet: »Für den großen Mose begann die Gotteserscheinung im Medium des Lichtes. Danach unterhält sich Gott mit ihm durch eine Wolke hindurch. Dann, als er bereits höher gelangt war und vollkommener geworden ist, erblickt er Gott im Dunkel« (Homilien zum Hohenlied XI, FC 16/3, 583; GNO VI, 322,9–12). D. systematisiert zu drei Etappen in drei Kapiteln (Licht, Wolke, Dunkel) un d– in weiterem Missverstehen – schließt daran an: L’infini. Im ab­schließenden Kapitel (»Métamorphoses«) lässt er E. Levinas den Gregor umarmen.
Fast überall wird mit einer richtigen Beobachtung dessen, was Gregor sagt, begonnen und dann auf Stelzen, die von J. Daniélou angeregt sind, zu einer eigenen Konstruktion übergegangen. Zitate, die vielfältig gegeben werden, ergründen Gregors Gedankengänge nicht ausreichend.
Zwei Beispiele: Bei »Licht«, Erleuchtung und Befreiung des sündigen Menschen von seiner Selbsttäuschung wird gut eingesetzt mit »Synergie« (77–83). Ein Patristiker in reformatorischer Tradition hört ›Synergismus‹; er will das verstehen. D. sieht teils richtig, teils undeutlich und falsch. Richtig sieht er, dass sich alle griechischen Kirchenväter gegen den gnostischen Fatalismus wenden (»L’optimisme de la spiritualité de l’Église d’Orient … s’oppose au fatalisme gnostique«; nach einem Komma: »à l’angoisse obsédante de la prédestination qui, dans le calvinisme, conduira à l’accumulation du capital …«, 80 f.). Das Problem wird dadurch zugeschüttet, dass Erleuchtung mit dem Sakrament der Taufe parallelisiert wird (80); und es bleibt unausgeführt, wie sich bei Gregor die »Selbstmächtigkeit«, die Freiheit der Entscheidung, in der die Gottebenbildlichkeit des Menschen besteht, zum Unendlichen, das Gott ist, verhält.
Das Fortschreiten zum Unendlichen ist mit Bezug auf Phil 3,13 richtig als Lehre Gregors gesehen. Gregor wertet ständiges Werden als ein positives Konstitutivum des Menschen (Kapitel VIII; bes. 165). Und natürlich besteht ein Zusammenhang mit Gottesliebe und Ekstase. Gregor hätte sagen können (164): »Je pense quant à moi que la relation à l’Infini n’est pas un savoir mais un Désir« (= E. Levinas, Ethik und Unendliches, 1986, 71: »Was mich angeht, so denke ich, daß die Beziehung zum Unendlichen nicht ein Wissen, sondern ein Begehren darstellt.«). Aber der entsprechende Gregorsatz aus De Vita Moysis (GNO VII 1, 116,17–19) ist hier (und 146) falsch übersetzt; und so ist die Aussage fraglich: »Le Dasein se change en être-pour-Autrui« (167). Denn Gott ist nicht der unzugängliche Andere, sondern das unerschöpfliche Gute. Éros transfiguré, d. i. Eros in der Transformation aus dem Griechischen verklärt? Ja – aber nicht fraglos Gregor.