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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

927–929

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Toit, David S. du

Titel/Untertitel:

Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2006. XIV, 487 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 111. Geb. EUR 69,90. ISBN 978-3-7887-2141-1.

Rezensent:

Paul-Gerhard Klumbies

Das herausfordernde Buch von David S. du Toit wurde 2006 von der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität als Habilitationsschrift angenommen. Mit drei Gutachtern (C. Breytenbach, A. Lindemann, U. Luz) und zwei weiteren Stellungnahmen (H.-G. Bethge, C. Gerber) wurde auch auswärtige Expertise in das Verfahren einbezogen.
Die These des Vf.s lautet: Tod und Auferstehung Jesu führen nach Darstellung des Markusevangeliums zu einer von Unheil geprägten Zeit der Abwesenheit Jesu, die mit der Parusie des Menschensohns ihr Ende finden wird. Das Markusevangelium entwi­ckelt in der bedrängenden Zwischenzeit Strategien, um die Abwesenheit des Auferstandenen zu bewältigen.
Methodisch geht es dem Vf. um die Entfaltung der narrativen Welt des Mk, deren Entwicklung »entlang einer diachronen Achse … zu konstruieren« (9) ist. Diese wird »über die Zeit der erzählten Geschichte hinaus in die Zukunft ... verlängert« (11).
Im ersten Teil der aus vier Hauptteilen bestehenden Arbeit charakterisiert der Vf. die Zeit der Gegenwart Jesu im Mk als Freudenzeit (Mk 2,18–22). Für die Menschen wird die Begegnung mit Jesus zu einer Entscheidung über Heil oder Unheil im Endgericht. Nachfolge ist der Eintritt in die Lebensgemeinschaft mit dem Irdischen.
Teil 2 behandelt die Phase der Abwesenheit Jesu – in der Terminologie des Vf.s: »die Zeit nach Ostern« (113). Die Periodisierung der Zeit, die der Evangelist mittels eines »Epochenschema(s)« (115) vornimmt, hat zur Folge, dass für Mk die Phase nach der heilbringenden Gemeinschaft mit dem Irdischen »als eine Zeit des fehlenden Heils« (117) gilt. »Die Zeit nach Tod und Auferstehung Jesu wird eine Zeit ohne Jesus sein« (128), »in der nicht mit einem Eingreifen Jesu bzw. des Erhöhten zu rechnen ist« (129), lautet das Fazit einer allegorischen Auslegung von Mk 4,26–29. In dieser Zeit sind »die Nachfolger Jesu von ihm allein gelassen und auf sich selbst ge­stellt« (129). Nach Mk 2,20 ist die »nachösterliche Wirklichkeit der christlichen Gemeinde« eine »Trauerzeit« (133). Die testamentarische Abschiedsrede in Mk 13,5b–37 zeichnet ein schwarzes Bild der Zeit zwischen Ostern und dem Ende. Die Zwischenzeit, »in der die Adressaten des Markusevangeliums leben« (245), ist eine Periode der »Einsamkeit« (246), »des Schweigens, des Unbeteiligtseins des Erhöhten am Schicksal der Seinen« (263).
»Die Bewältigung der Abwesenheit Jesu« (265) ist das Thema von Teil 3. Da in der unheilvollen Zeit nach Ostern keine personale Bindung an Jesus möglich ist, werden die »Funktionen des irdischen Jesus« (272) für Heil und Identitätsbildung auf das Evangelium verlagert. Dessen Inhalt besteht fortan »nur in der Fortführung der Verkündigung Jesu«, d. h. »weiterhin in der Ansage der Nähe des Gottesreiches und dessen Herbeiführung durch das baldige Kommen des Menschensohns« (279). An die Stelle des »Ausnahmeethos« (306) in der Gemeinschaft mit dem Irdischen treten nachösterlich die Lebensgemeinschaft in der »Familie Jesu« (296) und ein situationsorientiertes Ethos. Der Vf. sieht die Passion Jesu bei Mk nicht soteriologisch, sondern ethisch entfaltet. Der Evangelist gibt ihr eine »paradigmatische Funktion«. Aus ihr leitet sich die »imitatio Christi als Verhaltensmodell in der Verfolgungssituation« (319) ab. Für die Zeit der Abwesenheit Jesu legt Mk alle Autorität in die Lehre Jesu. Die Konzentration auf die Worte Jesu geht so weit, dass Mk sogar die Erscheinungen des Auferstandenen entwertet. Der Evangelist kann »sachlich kein Interesse an einer mit der Auferstehung verbundenen Präsenz Jesu haben«. Die Adressaten sollen dementsprechend »nicht nach dem Auferstandenen Ausschau ... halten, sondern sich an Jesu Evangelium ... erinnern« (397).
In Teil 4 ordnet der Vf. seine Markusinterpretation theologiegeschichtlich ein. Mk richtet seine Feststellung der Abwesenheit des Erhöhten gegen eine »wuchernde Osterüberlieferung« (402) und die Absicherung des Glaubens durch Erscheinungsberichte. Angesichts einer Krise der frühchristlichen Prophetie hebt er die alleinige Lehrautorität des irdischen Jesus hervor.
Als »Ertrag« formuliert der Vf.: Mk beantwortet die Frage, »wie die an Christus Glaubenden in der von ihm verlassenen Welt bestehen können ..., indem er konsequent an der Abwesenheit Jesu während der nachösterlichen Gegenwart festhält« (443 f.).
Die vom Vf. diagnostizierte »Abwesenheitschristologie« (418) be­ruht auf einer sachlichen Unschärfe, die in ihren Konsequenzen folgenreich ist. Im Blick auf Jesu Tod und Auferstehung Jesu unterscheidet er nicht zwischen historischer und theologischer Aussage. Auch zwischen Jesus und dem Erhöhten wird nicht differenziert. Die Auferstehung gilt wie der Tod als ein Datum der abgelaufenen Lebenszeit Jesu. Als Teil der Lebensgeschichte Jesu koppelt der Vf. die Auferstehung von der christologischen Entwicklung in der nachösterlichen Gemeinde ab. Auf diese Weise kann er den Auferstandenen in der Zeit nach Ostern für abwesend erklären. Tod und Auferstehung Jesu mutieren zu einem Unheilsgeschehen, das die Ge­meinde in eine »heilsgefährdende Unheilszeit« stürzt, »in der es keine Hoffnung auf eine heilvolle Intervention des Erhöhten gibt« (429). Die Christusleere dieser Epoche wird durch die Jesuslehre »kompensiert« (302.441). Selbst wenn man diese Konstruktion für die erzählte Welt des Mk akzeptieren sollte, verbietet sich die Vermischung von Historie und Theologie, sobald, wie der Vf. es tut, eine diachrone Linie aus dem Werk heraus in die Realität der nachösterlichen Gemeinde gezogen wird. Erst die Trennung der Auferstehungsaussage von der Christologie schafft den Raum für das Postulat einer christusverlassenen Zeit und die zugespitzte Be­hauptung einer »Christologie ohne Christolatrie« (444) bei Mk. Der Vf. sieht selbst, dass er Mk mit diesem Gedanken in die Singularität führt (336).
Die Hervorhebung der Wortüberlieferung und Verkündigung Jesu, in der Harnacks prominente Formulierung nachhallt, der In­halt des Evangeliums bestehe »in der Verkündigung des Evangeliums, wie Jesus es verkündigt« (279), der die Diktion A. Schweitzers abrufende Begriff der »Interimszeit« (322) und ihres Gruppenethos, ein christologiefreier Evangeliumsbegriff, in dessen Zentrum der Gottesgedanke, die Gott-Mensch-Relation und die Lehre Jesu stehen, und die Betonung des Gemeinschaftsgedankens signalisieren, dass der Vf. die Essentials liberal-theologischer Jesusforschung in ein narratologisches Modell überführt. Gerade im Rahmen eines narratologischen Entwurfs überrascht freilich die Einseitigkeit, mit der den Worten Jesu der Vorrang vor den Erzählungen über Jesus eingeräumt wird. Die angenommene Periodisierung der Zeiten zeigt sich durch Conzelmanns bekanntes Schema inspiriert, folgt aber vor allem dem im 19. Jh. populären Geschichtsbild einer herausgehobenen Jesuszeit, der sich eine Verfallsgeschichte an­schließt.
Nach dem Urteil der Dialektischen Theologie hatte gerade die Fokussierung des Gottesglaubens und der Situationsethik die weltanschauliche Anfälligkeit der kaiserzeitlichen Theologie ausgemacht. Eine Ursache für deren Scheitern wurde nach 1918 in ihrem Christologiedefizit gesehen. Für die gegenwärtige Aufarbeitung der Liberalen Theologie ist anzuregen, nicht durch Minimierung der Christologie oder die Entchristologisierung der Überlieferung die alte Kontroverse zwischen Dialektischer und Liberaler Theologie zu wiederholen. Chancenreicher erscheint die Zusammenführung der soteriologischen Christologie des Mk mit der auf das Heil des Menschen gerichteten theozentrischen Perspektive im Markusevangelium.