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Ausgabe:

September/2008

Spalte:

911–912

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Adam, Klaus-Peter

Titel/Untertitel:

Saul und David in der judäischen Geschichtsschreibung. Studien zu 1Samuel 16 – 2Samuel 5.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XI, 255 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament, 51. Lw. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-148932-7.

Rezensent:

Georg Hentschel

In dieser Marburger Habilitationsschrift wird eine neue Variante zur Entstehung der Saul-David-Erzählungen durchgespielt. Die literarischen Figuren der Erzählungen in den Samuelbüchern »sind keinesfalls individuelle Charaktere, vergleichbar Figuren der neuzeitlichen Literatur« (20), wie man lange geglaubt hat. Die Erzählungen über Saul und David spiegeln vielmehr »das israelitisch-judäische Verhältnis der späteren Königszeit und entstanden als Reflexion der Zeit der Zweistaatlichkeit« (95). »Mit David be­zeichnet die Vorgeschichte stets den Dynastiegründer, mit Saul stets den ersten Vertreter des israelitischen (bzw. benjaminitischen) Königtums.« (20) Die Basis, von der die Erzähler ausgegangen seien, bilde die von A. Jepsen näher untersuchte synchronistische Chronik. So wie die mesopotamischen Königslisten einen mythischen Vorspann erhalten haben, so seien auch die Erzählungen über die frühe Königszeit »als mythische Vorzeitüberlieferung mit legitimatorischer Funktion« zu verstehen (15).
Die grundlegende These, dass David für Juda und Saul für Israel stehe, verdient Beachtung. Dass die Hypothese von einer synchronistischen Chronik wieder ernst genommen wird, ist zu begrüßen. K.-P. Adam weiß auch, dass man nicht die gesamten Erzählungen über Saul und David auf eine einzige Ursache zurückführen kann: Szenen wie 2Sam 2,18–24.32 sowie 4,1–12 »beschreiben primär nicht den israelitisch-judäischen Konflikt, sondern Einzelheiten bei der Tötung eines Menschen: Umstände, Motivationen, Legitimation, Trauer um und Rache für gewaltsam Getötete, Wissen oder Nichtwissen um eine Tötung (2Sam 3,26).« (46) In der Analyse von 1Sam 16 bis 2Sam 5 kann sich A. auf bewährte Thesen zur Entstehung und Ausgestaltung der Saul- und der Daviderzählungen stützen. Dazu gehört z. B., dass bestimmte Angaben vorweggenommen worden sind: Der erste Angriff Sauls auf David (1Sam 18,10.11; vgl. 19,10; 20,33) ist der »vergleichsweise ausführlichste und deshalb späteste« (9). Warum sich David auf dem Feld versteckt (1Sam 19,3), wird erst verständlich, wenn man 1Sam 20,11.14 liest. A. hebt sich dabei wohltuend von jenem Pandeuteronomismus ab, der die Frühgeschichte des Königtums auf dtr Hände zurückführen wollte.
Aber die aufgestellten Thesen hinterlassen auch Fragen: Die Angaben über Davids Söhne »entstammen den folgenden Daviderzählungen um Amnon (2Sam 3,2; 13), Absalom (2Sam 3,3; 13–19) und Adonia (2Sam 3,4; 2Kön 1) als Protagonisten« (55). Doch was ist mit Kilab, dem Sohn der Abigajil (2Sam 3,3a)? Die Grunderzählung über Sauls Tod auf dem Gebirge Gilboa (1Sam 31,1–6*) »entstand unter Kenntnis von 2Sam 1 als Variante« (83). Warum wird aber in 1Sam 31,2 ein Sohn Abinadab erwähnt, der – von Chr abgesehen – sonst nirgends genannt wird? A. traut den Erzählern eine gehörige Portion an schöpferischer Phantasie zu, wie folgender Satz zeigt: »Die Jonatanfigur entsteht aus der Tendenz der Davidüberlieferung, der sich die übrigen Sauliden als Gegenfiguren zu David ebenfalls verdanken.« (136)
A. datiert einzelne Formulierungen oft nach ihrem spätesten Beleg: Sauls Befürchtung, die Philister könnten mit ihm ihren Mutwillen treiben (1Sam 31,4), könne kaum vor der gleichen Be­sorgnis des Königs Zidkija (Jer 38,19), formuliert worden sein (88). Die Erwähnung des Edomiters Doëg (1Sam 22,9.10.19) setze »dieexilisch-nachexilische Feindschaft zu Edom voraus« (126). Wenn Achisch an David nichts Verdächtiges »gefunden hat« (1Sam 29,3), dann erinnere das an den König von Assur, der an Hoschea durchaus etwas »gefunden« hat – nämlich eine Verschwörung (2Kön 17,4). Sind das noch sprachstatistische Beweise?
Zweifel erheben sich auch gegenüber der Hauptthese, wonach eine Reihe von Motiven der synchronistischen Chronik entnommen und in die Frühzeit übertragen worden seien: »Ischbaals zweijährige Herrschaft als erster Nachfolger eines Dynastiegründers, seine Entmachtung durch den Feldhauptmann sowie seine Ermordung durch Bandenführer entspricht derjenigen Nadabs und Elahs.« (57) Zudem sei in 2Sam 4 auch auf die Beseitigung Pekachjas angespielt (2Kön 15,25). Ergibt sich aus ähnlichen Angaben schon eine Abhängigkeit? Die Hinrichtung der Jhwh-Priester durch Saul (1Sam 22,17–19) spiegele »die Beseitigung der Baalspropheten bzw. -priester nach 2Kön 10,25 durch Jehu« (125). Kann aber die Erinnerung an ein Massaker nicht gerade bei den Nachkommen des einzig überlebenden Abjatar haften geblieben sein?
A. sieht schließlich kein Problem darin, dass David dem Philister von Gat gedient hat: »David ist als nur scheinbar treuer, tatsächlich betrügerischer Vasall des Achisch gezeichnet (27,10).« (75 f.) Steht dahinter nur der spätere Status Judas als Vasall der Assyrer (78) oder doch eine anstößige, unerfindliche Überlieferung? A. löst mit seinen provozierenden Thesen viele kritische Fragen aus.