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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

879–881

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Umbach, Helmut

Titel/Untertitel:

Heilige Räume – Pforten des Himmels. Vom Umgang der Protestanten mit ihren Kirchen. M. 33 Abb.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2005. 380 S. gr.8°. Geb. EUR 49,90. ISBN 3-89971-240-4.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Mit dieser Schrift wurde H. Umbach am Institut für Evangelische Theologie/Religionspädagogik im Fachbereich Erziehungswissenschaft/Humanwissenschaften der Universität Kassel habilitiert. In seiner Einleitung macht U. deutlich, dass es ihm um die Frage geht, ob Protestanten ihre Kirchen als heilig ansehen können (ggf. wollen oder dürfen) und wie Kirchen Pforten des Himmels seien. Von dieser im Protestantismus eher verneinten als bejahten Frage und der damit verbundenen Ambivalenz in der Beurteilung des Kirchenraums waren auch die Einweihungen des Berliner Doms und der Frauenkirche in Dresden gekennzeichnet. Dass Protestanten ihre Kirchen als heilig ansehen können, dass ihre Kirchen Erfahrungsräume des Heiligen sind und damit Pforten des Himmels, davon ist U. überzeugt. In sieben Kapiteln legt er dafür vielerlei Gründe vor, die unter folgenden sieben Begriffen geordnet sind: Wahrnehmung, Annäherung, Vertiefung, Entfaltung, Zentrierung, Gestaltung und Begehung.
Im ersten Kapitel »Wahrnehmung« geht es um die Methode der Phänomenologie, die er bevorzugt, um diesen heiligen Erfahrungsraum beschreiben zu können, wobei auch der religionspädagogische Gebrauch der Phänomenologie ausdrücklich zur Sprache kommt, so dass neben Husserl Levinas, Waldenfels und Biehl be­rücksichtigt werden. Im zweiten Kapitel »Vertiefung« geht es um die Wiederentdeckung des Heiligen. U. referiert Gen 28 und Jes 6 als Erfahrungen des Heiligen und stellt diese Erfahrungen in den Kontext von Untersuchungen zur Heiligkeitserfahrung der Gegenwart, wie z. B. die Untersuchung von Jörns, die danach fragt, was die Menschen wirklich glauben. Im dritten Kapitel »Zentrierung« folgt eine Vertiefung des Heiligkeitsverständnisses durch die »Heiligen in Christus«, wobei die Getauften einen eigenen »Raum« darstellen. Daneben gibt es aber auch andere Raumvorstellungen, wie z. B. die Raum- und Wohnmotive im Johannesevangelium (Joh 14) oder das Raummotiv des Hebräerbriefes. Mit dem vierten Kapitel »Entfaltung« wird die mittelalterliche Heiligkeitserfahrung vorgestellt – ohne dabei die urchristlichen Anfänge und die altkirchlichen Wurzeln zu unterschlagen –, denn es geht U. um den reformatorischen Einspruch gegen diese Heiligkeitsauffassung. Dieser Einspruch kommt im fünften Kapitel »Zentrierung« zum Zuge. U. befasst sich ausführlich mit Luthers Aussagen zum Kirchenraum, zur Gottesdienstreform, zur Reform der Sakramentsliturgien, auch mit den reformierten, und damit einhergehenden gravierenden Änderungen des Kirchenraums. Er stellt mit Luther fest, dass nun das Herz des Menschen der Raum der Gottesbegegnung ist und die sinnlichen Symbole nicht wegfallen, sondern der Bezeugung des Evangeliums dienen, da Gott den ganzen Menschen beansprucht, rechtfertigt und heiligt. Nach dieser reformatorischen Grundlegung des neuen Raum-Heiligkeitsverständnisses kommt im sechsten Kapitel »Gestaltung« der protestantische Kirchbau zwischen Thron und Altar, Nation und Gemeinde, Kultur und Kirche gleichsam als ein phänomenologischer Grundkurs in Architekturgeschichte zur Darstellung. Es beginnt bei der Torgauer Schlosskapelle, geht über die großen Kirchenbauten des 18. und 19. Jh.s bis zu den Mehrzweckräumen und neuesten Kirchenbauten der letzten Jahre, wobei die Kirchbauprogramme vom Eisenacher Regulativ bis zu den Wolfenbütteler Empfehlungen Beachtung finden. Nach dieser umfänglichen Darstellung des Materials beschäftigt U. sich im siebten Kapitel »Begehung« mit dem religiösen Leben zwischen Feier und Pädagogik in einer durchaus spannenden Auseinandersetzung mit jenen Entwürfen zur Heiligkeit der Raumerfahrung, die zurzeit diskutiert werden. Im ersten Teilabschnitt »Der Feier Raum geben« wird das Konzept von Raschzok, Volp und Josuttis gewürdigt, dann im zweiten Teilabschnitt die Wiederentdeckung der Phänomenologie für diesen Bereich durch Mircea Eliade, Alfred Lorenzer, Michel Foucault unter den Aspekten der Ästhetik verhandelt. Im dritten Teilabschnitt wird Chr. Bizers These, dass Religion heute primär durch Begehung gelernt wird, in den Vordergrund gerückt. U. hält fest, dass Räume machthaltige Atmosphären sind, die erfahren und erfühlt werden. Dabei müssen diese Räume nicht ontologisch-substanzhaft verstanden werden, sondern durch menschliches Verhalten kommt zum Ausdruck, dass die im Gotteshaus versammelte Gemeinde diesen Raum als Ort der Begegnung mit der göttlichen Macht erfährt. Leibräume und Ortsräume sind so aufeinander bezogen. Der Mensch gestaltet also den heiligen Raum – aber er kann es nur tun, weil ihm die göttliche Macht be­gegnet ist und sie somit das eigentliche Subjekt auch des heiligen Raumes bleibt. Für eine praktisch-theologische Kirchenraumtheorie und für die Kirchenpädagogik ist es sinnvoll, wenn der »Raum in Christus«, der durch die Rechtfertigungsbotschaft gegeben ist, fruchtbar gemacht wird für eine geistliche Raumerschließung. Mit dieser Feststellung wird der Satz – Gott ist heilig. Er bleibt der Welt zugewandt –, der immerfort von Beginn des Buches bis zu seinem Schluss fast stereotyp wiederholt wird, verständlich.
U. hat seine Untersuchung mit einem Gedicht von Trakl eröffnet und beschließt sie mit einem geistlichen Lied von Trakl. Daran anknüpfend zieht er das Fazit unter dem Begriff des Raumtraums des Jakob an der Himmelsleiter, um dann einen Traumraum zu dokumentieren, eine Kapelle, an deren Entstehung und Gestaltung er maßgeblich teilhatte.
Wer sich mit der Frage nach dem Raum bislang nicht befasst hat, wird dieses Buch dankbar lesen, denn es enthält eine Fülle an Material, es wird oft und zahlreich aus den konsultierten Werken zitiert; wer sich in dieser Materie auskennt, wird wenig Neues finden.