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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

877–879

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Steinen, Ulrich von den

Titel/Untertitel:

Unzufrieden mit dem Frieden? Militärseelsorge und Verantwortungsethik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 211 S. gr.8°. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-525-62387-9.

Rezensent:

Andreas Pawlas

In dieser Studie zieht ein leitender Geistlicher nach 20-jährigem Dienst in der Militärseelsorge Bilanz – hochengagiert und manchmal auch polemisch. Nach einer Einführung (11 ff.) folgen eine Rechenschaft über die »Berufsethische Bestimmung soldatischen Glaubens und Handelns« (35 ff.) und als stärkster dritter Teil ein Einblick in die »Evangelische Seelsorgepraxis« (163 ff.).
Da für den Dienst der Kirche unter den Soldaten ein Verständnis ihrer spannungsreichen Geschichte unabdingbar ist, beginnt die Einführung mit einem Überblick über die Auseinandersetzungen um die Evangelische Militärseelsorge und um den Militärseelsorgevertrag nach der Deutschen Einigung, in denen es jedoch eigentlich um die Frage nach einem pazifistischen Zeugnis der Kirche ging. Ihn überzeugt dabei das Diktum Martin Honeckers, nach dem die Militärseelsorge in dieser Auseinandersetzung »Objekt eines innerkirchlichen Kulturkampfes« geworden sei (15 ff.). Der Vf. leidet offenkundig darunter, dass dieses Ringen um das christliche Friedenszeugnis auf dem Rücken der Soldaten und Militärseelsorger ausgetragen wurde. Ihm selbst erscheint dagegen die hier legitimierende ethische Grundkonstellation erfrischend einfach: »1. Unrecht zuzulassen, ist Unrecht, das Christenmenschen nicht zulassen dürfen. 2. Dem Unrechthandelnden ist zu widerstehen, den Unrechtleidenden beizustehen. 3. Wer töten/morden will, muss daran gehindert werden; wer das unterlässt, macht sich zum Komplizen des Gewaltverbrechers.« (33)
Hinsichtlich der berufsethischen Bestimmung soldatischen Glaubens und Handelns greift der Vf. sodann einige Aspekte heraus, allerdings betont er dabei immer wieder die Notwendigkeit einer »realistischen Anthropologie« (z. B. 127), während er pazifistische Wahrnehmungen und Hoffnungen nur als »unrealistisch« oder »untauglich« (47) qualifizieren kann. Er beginnt dann mit einem Überblick über Anfänge christlicher Verantwortung im rö­mischen Staat, wie sich das Christentum von einer staatsfernen, eschatologisch orientierten Gemeinschaft zu einer Staatsreligion wandelte, für die am Ende gelte: »Römischer Staat und christliche Kirche gehen eine Verantwortungsgemeinschaft ein, deren Weg bis zum heutigen Tage vorgezeichnet ist.« (69) Nach Erinnerungen an Luthers Zwei-Reiche-Lehre (70 ff.) sieht der Vf. dann ebenfalls in der gegenwärtigen deutschen Staatsverfassung eine Verantwortungsgemeinschaft von Staat und Kirche (75), aus der sich erst die Möglichkeit zu einem Dienst der Kirche unter den Soldaten nach dem gegenwärtigen Zuschnitt eröffnen konnte. Allerdings weist er in dem Abschnitt »Woran glaubt, wer nicht glaubt?« auch darauf hin, wie anfällig eine solche Partnerschaft für Momente einer »Zivilreligion« sein kann (85 ff).
In dem Abschnitt »Mit der Macht des Bösen rechnen« streicht der Vf. u. a. heraus, wie christlich elementar die Suche nach Frieden, Recht, Freiheit, Gerechtigkeit, Einvernehmen sei (94). Jedoch sei angesichts der Unvollkommenheit der Welt vielfach nicht eine Vermeidung des Übels, sondern nur die Suche nach dem geringeren Übel möglich (102), weshalb er immer wieder das Konzept einer »Konfliktethik« betont, nach der es »saubere ethische Lösungen« nicht gebe könne (z. B. 105). Nach einem kurzen Exkurs zur Gewissensfrage (107 ff.) setzt er sich mit Konzepten pazifistischer Konfliktbearbeitung auseinander (117 ff.). Dabei kann er sich nur vorstellen, dass gewaltfrei operierende Friedensdienste niemals als gleichberechtigte (119), sondern nur als komplementäre (124) Partner internationaler Streitkräfte betrachtet werden könnten. Und was Küngs Konzept eines (pazifistischen) Weltethos (127) angeht, so findet er wieder keine »realistische Anthropologie« unterlegt. Deshalb vermöge Küngs »ethisch-appellative Friedensgesinnung ... auf reale politische Probleme, Konfliktszenarien und Kriegstreiber nicht entscheidend einzuwirken« (132). Große Hoffnung setzt der Vf. dagegen auf die friedensstiftende Kraft des Rechts und internationaler Bündnisse (UN) (133.135). Wenn er dann in 15 Thesen zum Kosovo-Krieg Stellung nimmt (135 ff.), will er es jedoch akzeptieren, dass die NATO dort die moralische Verantwortung über das Völkerrecht der UN-Charta gestellt habe (137).
Im letzten Unterabschnitt »Christliche Friedensethik vor aktuellen Herausforderungen« (141 ff.) formuliert der Vf. offenbar sein friedensethisches Vermächtnis. Denn da »die Abschreckungs- und Sanktionslogik der Charta (Art. 33–42) gegenüber den global operierenden Terroristen« nicht greife, fordert er eine neue Friedensdenkschrift der EKD (160), in der geklärt wird, ob es »ein Recht auf preemptive selfdefence beziehungsweise preventive selfdefence im Sinne einer intentionalen Weiterführung sowohl der fünften Barmer These als auch des Art. 51 der Charta als Abwehrmaßnahme gegen weltweite asymmetrische Bedrohungen, Gefahren und At­tacken geben [darf].« (162/198). Diese Frage wird zweifellos von Theolo­gie und Kirche gelöst werden müssen, wenn ihr Friedenszeugnis glaubwürdig sein will.
Im letzten Abschnitt »Evangelische Seelsorgepraxis« gibt der Vf. einen eindrücklichen Einblick in den Dienst der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz und deren seelsorgerische Begleitung (165 ff.). Er macht plausibel, wie auf Grund existentieller Belastungen durch »Extrem-, Grenz- und Endlichkeitserlebnisse, Verlust der Ich-Identität« Soldatinnen und Soldaten »ohne begleitende Seelsorge und psychologische Hilfe ... bleibende Schäden an Leib und Seele« davontragen würden (170). Hohe Bedeutung habe hier die Hörbereitschaft und Empathie der Militärgeistlichen in ihrem pastoralen Dienst unter den Soldaten (173), die er als »Parakletische« Seelsorge charakterisieren will (175). Im Rahmen intentionaler Seelsorge würden dann »biblische Texte helfende und befreiende Botschaft an besonderen Schnittstellen und Extremsituationen des Lebens« (178 f.). Und so schließt er konsequenterweise seinen »Er­fahrungsbericht« mit einer nahe an der Berufsethik des Soldaten stehenden homiletischen Reflexion über »Dienen« (Mk 10,45), »Führen« (1Sam 8,5), »Glauben« (Mt 8,5–13) und »Trösten« (182 ff.).
Darum: Wer etwas über den Dienst der Kirche unter den Soldaten von jemandem hören will, dem dieser Dienst nachdrücklich am Herzen liegt, der wird an diesem Buch nicht vorbeikommen.