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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

875–876

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Resch, Claudia

Titel/Untertitel:

Trost im Angesicht des Todes. Frühe reformatorische Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2006. 255 S. m. Abb. gr.8° = Pietas Liturgica, 15. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-7720-8191-0.

Rezensent:

Christian Möller

In einer Zeit, die verlegen an Betten von Kranken und Sterbenden herumsitzt und nichts Rechtes mehr zu sagen weiß, was trösten und aufrichten könnte, geht Claudia Resch der ars moriendi in reformatorischen Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden nach, um herauszufinden, mit welchem Trost die Menschen vor 500 Jahren sterben und deshalb auch leben konnten. Es handelt sich um eine Dissertation, die 2003 an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien approbiert und von Ansgar Franz in die im Francke-Verlag erscheinende Reihe Pietas Liturgica aufgenommen wurde.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist eine erstaunliche Dissertation, erstaunlich wegen ihrer historischen Gründlichkeit, ihres theologischen Sachverstands und ihrer seelsorglichen Einfühlsamkeit. R. überspringt nicht einfach die 500 Jahre, die uns von der Seelsorge des späten Mittelalters wie der frühen Reformationszeit trennen. Sie lässt aber zwischen den Zeilen und vor allem am Schluss ihrer Arbeit deutlich werden, dass uns jene Zeit in der Sache eine Menge zu sagen hätte, wenn wir nur die Schätze heben und ansehen würden, die in der ars moriendi jener Zeit enthalten sind.
R. beginnt bei der ars moriendi des Spätmittelalters, wie sie sich in der »admonitio Anselmi«, in Unterweisungen von Gerson und Geiler von Kaisersberg und in der »Bilder-ars« niedergeschlagen hat. Die Tendenz dieser Schriften verwandelt die Sterbesituation in eine Beichtgelegenheit, bei der der Sterbende die ihn belastende Schuld aussprechen und loswerden kann, indem er auf das Bild Christi ausgerichtet wird und die Kreuzesbitte Jesu mitsprechen kann: »In deine Hände befehle ich meinen Geist«. Freilich konnte auch die Angst vor dem Fegefeuer geschürt und nach möglichen Verdiensten gefragt werden, mit denen der Mensch im Fegefeuer bestehen könne. In diesem Zusammenhang wurden dann Testamente aufgesetzt, in denen der Sterbende sein Hab und Gut der Kirche übereignete, um die Fürbitten der Kirche für sein ewiges Heil zu erwerben. An diesem Tauschhandel, den ja Luther in seinen 95 Thesen von 1517 bereits angriff, setzte auch die reformatorische Kritik an der spätmittelalterlichen ars moriendi ein, was R. an dem Traktat von Jacob Otter »Christlich leben und sterben« (1528) eindrücklich verdeutlicht. Sie macht freilich auch darauf aufmerksam, dass es in der ars moriendi nicht bloß Abbrüche, sondern auch Beziehungen zwischen Mittelalter und Reformation gibt, vor allem im Blick auf die christozentrische Ausrichtung des Trostes für Kranke und Sterbende.
Weshalb R. Luthers »Sermon von der Bereitung zum Sterben« nur so kurz streift und Luthers »Vierzehn Tröstungen für Mühselige und Beladene«, die dem sterbenskranken Kurfürst Friedrich dem Weisen 1519 gewidmet waren, völlig übergeht, habe ich nicht verstanden. In diesen und ähnlichen Schriften wurden doch die theologischen Weichen für die reformatorische ars moriendi ge­stellt, wie sie sich später in den pastoralen Anleitungen für Seelsorger an Kranken- und Sterbebetten ausgewirkt haben! Offenbar will R. hauptsächlich die vielen kleinen Schriften zur Sterbeseelsorge von Reformatoren neben und nach Luther zur Geltung bringen, die sie ausführlich und umsichtig im Hauptteil ihrer Arbeit darstellt: Thomas Venatorius, Wenzeslaus Linck, Urbanus Rhegius, Johannes Bugenhagen, Johann Odenbach, Georg Spalatin, Johannes Spangenberg u. a.
Worauf kommt es den verschiedenen reformatorischen Anleitungen zur Sterbeseelsorge wesentlich an? Man kann es sich an Luthers ersten Sätzen aus seinen Invokavitpredigten von 1522 verdeutlichen, die R. immer wieder zitiert: »Wir sind allesamt zum Tode gefordert, und keiner wird für den andern sterben, sondern jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen … Hierin muss jedermann die Hauptstücke, die einen Christen angehen, genau wissen und gerüstet sein.« Reformatorische ars moriendi hat einen lehrhaften Grundzug, um dem Menschen auf seine letzte Reise die Argumente des Glaubens mit auf den Weg zu geben, mit denen er sich selbst gegen die Anklagen von Sünde, Tod und Teufel zur Wehr setzen kann. Es geht weniger um ein Haben von Lehre als um ein Sein in der Lehre Christi, an dessen Seite der Sterbende durch Tod und Hölle in Auferstehung und ewiges Leben reisen soll. Deshalb wird die christozentrische Ausrichtung der Sterbeseelsorge, wie sie schon der spätmittelalterlichen ars moriendi zu eigen war, noch einmal massiv verstärkt, während jedes Fragen nach menschlichen Verdiensten, die ohnehin nichts mehr helfen können, zu unterbleiben hat. Demgegenüber kommt es auf einen Trost an, der voller Trotz gegen Sünde, Tod und Teufel ist. Der Trost besteht in einer Entdramatisierung des Todes als einem Schlaf und dem Grab als einer Ruhekammer. Die Eigenverantwortlichkeit des Sterbenden wird stark gemacht, denn: »In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeder muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir« (Luther).