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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

870–871

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

von Hauff, Adelheid M. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Frauen gestalten Diakonie. Bd. 2: Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2006. 568 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 29,80. ISBN 3-17-019324-4.

Rezensent:

Claudia Bendick

Der Sammelband »Frauen gestalten Diakonie« ist Teil eines zweibändigen Werks. Während sich der zu besprechende Band 2 mit Frauen beschäftigt, die vom 18. bis zum 20. Jh. gelebt haben, beginnt der erste Band mit der biblischen Zeit und endet in der Zeit des Pietismus. Dieses zeitlich vorangestellte Buch ist jedoch erst 2007 erschienen.
Die Herausgeberin beider Bände, Adelheid M. von Hauff, hat sich sowohl in ihrer Dissertation über Regine Jolberg (1800–1870) [erschienen 2002] als auch mit dem 2005 erschienenen Buch »Frauen in der Diakonie«, das das Thema für den schulischen Religionsunterricht fruchtbar machen möchte, dieser Thematik verschrieben.
Die Darstellung der Lebensbilder im zu besprechenden Band fügt sich in eine sich zusehends verändernde Perspektive in der diakoniewissenschaftlichen Forschung ein. Es stehen nun nicht länger die Gründergestalten von Diakonissenmutterhäusern wie Theodor Fliedner oder Friedrich von Bodelschwingh (d. Ä.) und die Oberinnen/Vorsteherinnen im Fokus, vielmehr wird die diakonische Arbeit selbst in das Zentrum des Interesses gerückt. Die Darstellung geht sogar noch einen Schritt weiter, indem hier der Begriff »Diakonie« bzw. »diakonisches Handeln« losgelöst von der An­staltsdiakonie betrachtet und gewürdigt wird. Im Mittelpunkt stehen Frauen, die sich für den Dienst am anderen Menschen entschieden haben, sei es in der Bildungsarbeit, der Krankenpflege oder der Gefängnisseelsorge, sei es in der Friedensarbeit oder durch die Gründung der »Grünen Damen und Herren« durch Brigitte Schröder (1917–2000). Bekannte Namen wie Elizabeth Fry, Amalie Sieveking und Florence Nightingale sind ebenso vertreten wie z. B. Kristina Royová (1860–1913). Letztere gab den Anstoß zur Errichtung von Diakoniewerken in der Slowakei, ebenso wie Gräfin de la Tour (1841–1916) es in Österreich tat. Thematisiert werden auch Frauen wie Elise Averdieck (1808–1907) oder Eva von Tiele-Winckler (1866–1930), die nach der Gründung eigener diakonischer Häuser Tracht und Haube angelegt haben. Doch die bei Weitem größere Zahl der vorgestellten Frauen hat unabhängige Einrichtungen aufgebaut, die vielfach regional große Bedeutung erlangten und z. T. immer noch beachtenswert sind.
Vor diesem Hintergrund stellt Elisabeth Moltmann-Wendel in ihrem einführenden Artikel überzeugend heraus, dass es nicht nur die Frauenbewegung gab, für die die gesellschaftliche Emanzipation im Vordergrund stand. Daneben gab es eine zweite Gruppe von Frauen, die das Attribut der Mütterlichkeit zwar anerkannten, ihre (selbstgewählte) Lebens-Aufgabe jedoch selbstbestimmt ausführen wollten. Diese Frauen kamen meistens aus dem Kreis von Bürger-, Adels- und Kaufmannsfamilien und hatten die für die jeweilige Zeit typische Mädchenbildung genossen. Nicht selten stand ein zentrales religiöses Erlebnis am Anfang der diakonischen Arbeit. Besonders deutlich wird dieser Bezug bei Frauen, die der Erweckungsbewegung nahestehen, eine der »schillerndste[n] Ge­stalt[en]« dieser Bewegung, die Eingang in das Buch gefunden hat, ist Barbara Juliane von Krüdener (1764–1824). Sie entwickelte eine kontemplative Frömmigkeit, wobei sie ihren Tag in feste Gebetszeiten einteilte. Auf Reisen scharte sie Menschen um sich, mit denen sie predigend, prophezeiend und heilend umherzog. In anderen Fällen standen den Frauen Missstände vor Augen, die sie beheben wollten, so z. B. Bertha von Suttner (1843–1914), die schon früh die Notwendigkeit für eine europäische Friedensarbeit sah, oder die schon erwähnter Brigitte Schröder (1917–2000), die durch die Gründung der »Grünen Damen und Herren« dem Problem der fehlenden Zeit für die Belange der Patienten im Krankenhausalltag etwas entgegensetzte.
Die insgesamt 35 Lebensbilder sind chronologisch geordnet. 34 Autorinnen und – wie die Herausgeberin in ihrem Vorwort be­sonders betont – Autoren stellen die Frauen, ihre Lebensumstände und ihre Tätigkeit vor. Trotz der Vielzahl von Autoren erschöpft sich die Darstellung nicht in der Aneinanderreihung einzelner Le­bensbilder. Berührungen zwischen den Biographien werden in den Texten durchaus aufgezeigt und machen deutlich, dass es sich bei den Lebensbildern nicht um vereinzelte Ausnahmeerscheinungen handelt.
Konzeptionell folgen die meisten Artikel einer Gliederung, die im Vorspann das Werk kurz skizziert. Danach rückt die biographische Darstellung in das Zentrum der Betrachtung, die meistens mit der Herkunft und Kindheitserzählungen einsetzt, bevor der Weg in den diakonischen Dienst dargestellt wird. Der Aufbau und die Entwicklung des jeweiligen Werkes werden recht umfassend dargestellt, bevor es eine abschließende Würdigung erfährt. Leider folgten nicht alle Autorinnen und Autoren dieser formal und inhaltlich überzeugenden Konzeption.
Dem inhaltlich gut strukturierten und auch sprachlich gelungenen Werk liegt eine Fülle von Quellen und Literatur zu Grunde, wie den zahlreichen Fußnoten zu entnehmen ist. Bedauerlicherweise werden diese Angaben am Ende des Buches nicht durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis gebündelt. Ein solches würde eine weiterführende Auseinandersetzung mit der Thematik er­leichtern, die sich auch der sicherlich interessanten Auseinandersetzung mit der eingangs erwähnten These von Elisabeth Moltmann-Wendel über die Existenz eines zweiten Frauenweges zu einem selbstbestimmten, unabhängigen Leben durch die diakonische Arbeit beschäftigen könnte, wobei an dieser Stelle jedoch kritisch anzufragen wäre, inwieweit beide Wege vergleichbar sind. Die Autorin selbst stellt die Problematik in den von ihr benutzten Begriffen heraus: Auf der einen Seite steht die sog. »Frauenbewegung«, auf der anderen Seite steht ein »Frauenweg«. Der Unterschied ist hier deutlich markiert: Das bewusste gemeinsame Ziel, dass einer Bewegung innewohnt, fehlt bei den dargestellten Frauenbiographien, auch wenn es an einigen Stellen Bezüge zwischen einzelnen Werken gibt. Nichtsdestotrotz wäre eine Untersuchung sicherlich lohnenswert, die sich mit möglichen gemeinsamen Motiven zwischen Mitgliedern der Frauenbewegung und Frauen, die unabhängig von einem Diakonissenhaus diakonisch tätig waren, auseinandersetzt. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass die Zielsetzung – wenn im Rahmen der diakonischen Arbeit überhaupt von einem allgemeinen Ziel gesprochen werden kann – Unterschiede aufweisen wird.