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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

278–280

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Knieps, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Unvertretbarkeit von Individualität. Der wissenschafts-philosophische Ort der Theologie nach Karl Rahners "Hörer des Wortes".

Verlag:

Würzburg: Echter 1995. 310 S. gr.8° = Bonner dogmatische Studien, 19. DM 48,­. ISBN 3-429-O1658-4.

Rezensent:

Siegfried Foelz

Als 1941 ­ mitten im Krieg ­ "Hörer des Wortes" (HW) von Karl Rahner erschien, war dies mehr als nur eine theologische Neuerscheinung. Der Titel "Hörer des Wortes" stand für ein religionsphilosophisches Programm, und das Werk hat nach dem zweiten Weltkrieg die theologische Diskussion entscheidend angeregt und beeinflußt. So ist es erfreulich, daß nach über 50 Jahren seit der 1. Aufl. und nach 30 Jahren seit der von J. B. Metz herausgegebenen und überarbeiteten 2. Aufl. wieder eine Untersuchung über dieses Werk erschienen ist ­ eine Dissertation, die 1994 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommen wurde.

Im Vorwort stellt der Vf. selbst die Frage: Warum "schon wieder" oder "immer noch" oder "Wozu noch Rahner"? Wer aber die Arbeit gelesen hat, erfährt eine Deutung von HW, die den aktuellen Bezug dieses Werkes aufzeigt und heute noch mitten in der gegenwärtigen theologischen Diskussion steht. K. deutet das, was bisher bei Rahner als "transzendentale Subjektivität" verstanden wurde, als "unvertretbare Individualität". Diese "neue Deutung" versteht er nicht als "überheblich", sondern als eine "andere Auslegung" "auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Problemlage von Theologie" am Ausgang der Moderne.

Der Vf. beschränkt sich bei seiner Untersuchung ganz auf HW, was der Arbeit positiv zugute kommt. Dennoch wird deutlich, daß er das ganze Werk Rahners kennt und in ihm zu Hause ist. Durch diese Begrenzung kann es den ursprünglichen Aussagen von HW gründlicher nachgehen. Dies ist um so wichtiger, als die 2. Aufl. von Metz statt des ursprünglich religionsphilosophischen Ausgangspunktes bei Rahner (das Horchen-Können des Menschen auf Gott) einen theologischen Ausgangspunkt von der faktisch ergangenen, christlichen Offenbarung her bekommt (zum Hören-Können gehört schon "die übernatürliche Auflichtung menschlicher Geistigkeit" [75]). In bewundernswerter Klarheit arbeitet der Vf. das ursprüngliche Grundanliegen Rahners heraus. Hinzu kommt, daß gerade HW in unterschiedlicher und z.T. widersprechender Weise religionsphilosophisch und theologisch interpretiert wurde (P.Eicher, H. Fries, E. Simons, F. Greiner u. a.). Diese Interpretationen werden in die Darstellung mit einbezogen, und der Vf. setzt sich mit ihnen im Blick auf seine Fragestellung auseinander. So erhält der Leser fast nebenbei einen Durchblick durch die Rezeptionsgeschichte von HW. Man hat den Eindruck, daß der Vf. in keinem Augenblick in der Fülle dieser unterschiedlichen Auffassungen versinkt, sondern stets die Argumentation auf seine Fragestellung hinlenkt und den Überblick behält trotz der Kompliziertheit der Gedankengänge. Anerkennend muß hervorgehoben werden, daß die Arbeit auf einem hohen Niveau an Reflexion geschrieben ist.

Zunächst werden in den ersten drei Kapiteln die zentralen Begriffe und Thesen geklärt, um die es Rahner in HW geht: die wissenschaftstheoretische Begründung der Religionsphilosophie und Theologie. Dieses Werk hat nicht den Theologen im Blick, der das von Gott kommende Wort annimmt, sondern einen Menschen, zu dessen Wesensmöglichkeit es gehört, eine Botschaft Gottes anzunehmen und hören zu können. Der Mensch muß vernehmen können, was Gott ihm sagen will. Diese Fähigkeit im Menschen, diese "Bereitschaftshaltung" (potentia oboedientialis) bedeutet, daß es zum Menschsein gehört, "sich Antworten geben zu lassen, die man sich nicht selbst geben kann." Der Mensch ist in seiner Geistigkeit offen, um "Mitteilung eines vorher nicht Gewußten" zu vernehmen. Um philosophisch diese "Offenstehung des Geistes", in der das Sein "unendlich erkennbar" ist, theologisch von der tatsächlich ergangenen Offenbarung zu unterscheiden, spricht der Vf. von "Offenbarkeit". Sprachlich ist hier die Grenze erreicht, wenn K. in diesem Zusammenhang von "Offenbar-barkeit" spricht (186).

Auf diesem religionsphilosophisch-anthropologischen Fundament reflektiert der Vf. die Glaubensmöglichkeit als Vollzug des Erkennens. Der Mensch nimmt im Erkennen "das Sich-zu-erkennen-Gebende" als das Andere an; er nimmt das Andere als Erkennbares einer anderen Freiheit auf. Der Mensch in seiner Offenheit zum Absoluten als "selbstbewußte Offenstehung" kann nur vom Anderen aus "angefüllt" werden. Glauben heißt nicht: aus eigenem Vermögen begreifen, sondern "ein Sich-geben-Lassen". K. ist der Meinung, daß dieses hinnehmende Erkennen nicht aus der abstrakten Subjektivität, die allen Menschen gemeinsam ist, begründet werden kann, sondern nur aus seiner konkreten Individualität. Das Individuelle ist "unvertretbar". Zwar kann der Mensch in seiner eigenen Individualität anderer Individualität begegnen und sie anerkennen, aber stets als andere. So definiert K. Individualität als "Sich-etwas-sagen-Lassen". Das Ziel der Arbeit besteht darin zu zeigen, daß die logische Grundstruktur des Glaubens trotz der Offenbarung und gerade in seiner Offenbarkeit unabschließbar bleibt. In diesem "Sich-etwas-sagen-Lassen" besteht das Wesen der Individualität. In einem abschließenden Kapitel wird die dialogisch-kommunikative und die geschichtliche Grundstruktur des Erkennens aufgezeigt. Durch den Nachweis des "Logischwerden des Glaubens" sieht der Vf. Rahners Grundaussage als erwiesen an, daß "sich eine wissenschaftstheoretische Begründung der Theologie... nicht auf das Wort Gottes, sondern auf das Hören des Wortes durch den Menschen... erstrecken kann." (239)

In sehr sorgfältigen und begründeten Schritten legt der Vf. seine These dar. Durch seine Sprach-Begabung und -Fähigkeit, vorgegebene Formulierungen ­ besonders die oft komplizierte Ausdrucksweise von K. Rahner ­ mit eigenen Worten zu sagen, wird das Anliegen von HW in neuer Weise zur Sprache gebracht und gewinnt an Aktualität; oft aber in einer ebenso komplizierten Wortwahl. Bei seiner Begründung, statt "Subjektivität" von "Individualität" zu reden, beruft er sich auf Ansätze moderner Denker, vor allem auf M. Frank; bei der "kommunikativen Kompetenz der Individualität" auf K.-O. Apel, J. Habermas und J. Simon. So gibt der Vf. dem Wort Individualität eine in jeder Hinsicht positive Bedeutung ­ im Sinne von Person und von Inter-Personalität ­, die das Wort heute in der Theologie nicht hat. Er spricht von "interindividueller Kommunikation(sgemeinschaft)". Es wird sich zeigen, ob diese Terminologie sich in der Theologie durchsetzt. Die Arbeit hat ein Personenregister; es wäre wünschenswert, dies durch ein Sachregister zu ergänzen.

Eine ständige Anfrage an Rahner’s Denken ist und bleibt die Frage nach der personal-dialogischen Dimension; auch in der vorliegenden Untersuchung ist die Frage nach der "dialogischen Struktur und Kommunikation des Logos" ein Hauptakzent. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es wichtig gewesen, daß der Vf. sich bei M. Buber nicht nur auf M. Theunissen und J. Bloch beruft ­ auch wenn es maßgebende Buber-Interpreten sind, vor allem J. Bloch ­, sondern auf Buber und seine Werke selbst. Gewiß wird man in einer Dissertation nicht alle Fragen neu erarbeiten, sondern sich auf schon erarbeitete Thesen in der Sekundärliteratur stützen ­ wie dies der Vf. auch bei der Frage nach der "Gnadentheologie" von K. Rahner getan hat: auf N. Schwerdtfeger (82). Beim dialogischen Ansatz geht es aber um eine zentrale Frage.