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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

856–858

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hercsik, Donath

Titel/Untertitel:

Der Glaube. Eine katholische Theologie des Glaubensaktes.

Verlag:

Würzburg: Echter 2007. 360 S. gr.8°. Kart. EUR 24,80. ISBN 978-3-429-02884-8.

Rezensent:

Martin Honecker

Die Arbeit von D. Hercsik, Der Glaube, nennt im Untertitel präzis den Inhalt des Buches: »Eine katholische Theologie des Glaubensaktes«. H., 1965 geboren, ist Jesuit, wurde mit einer Arbeit über Henri de Lubac promoviert und doziert an der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Das Buch ist seine 2005 angenommene Habilitationsschrift.
Interessant ist das Werk vor allem wegen der sehr ausführlichen Berücksichtigung von nicht deutschsprachigen katholischen Au­toren. Glaube ist ein grundlegender, aber auch ein zentraler Begriff der Theologie. Er hat einen doppelten Bezug, nämlich zur Person, zum Subjekt und zur Wahrheit, zum Inhalt. Seit Augustin hat sich begrifflich eine Unterscheidung von »Glaubensakt« und »Glaubensinhalt« eingebürgert. Ob eine Trennung von Glaubensakt und Glaubensinhalt sinnvoll, ja überhaupt möglich ist, ist strittig. H. nimmt sie, zumindest hypothetisch, vor. Ihm fällt auf, dass die deutschsprachigen Theologen seit dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils etliche Werke vorgelegt haben, die den Glaubensinhalt umfassend darlegen und erklären möchten, kein einziges, das den Glaubensakt ausführlich darstellen und erläutern will (11). Sowohl das Konzil als auch nichtdeutsche Theologen haben sich hingegen ausführlich zum Glaubensakt geäußert. Das Buch konzentriert sich auf die katholische Sicht und Lehre. »Es wird nicht der Anspruch erhoben, eine historisch vollständige und systematisch konfessionsübergreifende Darlegung zu bieten. Die Absicht dieses Buches beschränkt sich darauf, eine katholische Theologie des Glaubensaktes vorzulegen; darum wird auch der eine oder an­dere nichtkatholische Philosoph und Theologe nur insofern angesprochen und zitiert, als seine Ansichten zum besseren Verständnis der katholischen Position hilfreich erscheinen.« (12) Barth, Bultmann und Jüngel werden gar nicht erwähnt, Ebeling nur beiläufig. Die Reformatoren Luther, Melanchthon und Calvin bilden lediglich die Folie für die Lehraussagen von Trient (88 ff.). Das Tridentinum wird mit einem Zitat Harnacks gewürdigt: »Das Decret über die Rechtfertigung, obgleich ein Kunstprodukt, ist in vieler Hinsicht vortrefflich gearbeitet; ja man kann zweifeln, ob die Reformation sich entwickelt hätte, wenn dieses Decret auf dem Laterankonzil am Anfang des Jahrhunderts erlassen worden und wirklich in Fleisch und Blut der Kirche übergegangen wäre.« (92) Diese Selbstbeschränkung auf die katholische Perspektive führt jedoch zu einer Blickverengung.
Gegliedert ist die Arbeit in zwei Teile: 1. Teil »Biblisch-historische Darlegung« (13–231) – als pars positiva; 2. Teil »Systematische Auswertung« (235–345) – als pars systematica. Der 1. Teil hat nochmal fünf Abschnitte: 1. Die Bibel, 2. Die Patristik und das Mittelalter, 3. Die Neuzeit, 4. Vom I. zum II. Vatikanischen Konzil, 5. Nachkonziliare Entwicklung. Am Schluss jeden Teils steht eine sehr knapp gehaltene Zusammenfassung. Der Durchgang durch die Theologiegeschichte ist komprimiert. Der Überblick über die Aussagen der Bibel zum Glauben ist kursorisch und reiht weithin Bibelstellen aneinander. Das Neue Testament wird als heilsgeschichtliche Einheit gesehen. Das belegt die bruchlose Einbeziehung des Jakobus-Briefes zum Verhältnis von Glaube und Werken (33). Aus dem Referat seien nur erwähnt: Clemens von Alexandrien als erster Theologe, der den Glauben systematisch reflektierte (40ff.), die Kontroverse um Glaube, Vernunft, Affekt und Wille im Spätnominalismus (76 ff.), John Henry Newman im 19. Jh. (125–129), die Glaubensanalyse des Jesuiten Jean Billot (149–151), Kontroversen um Fideismus und Rationalismus, Rousselots Bemühen, sowohl eine voluntaristische Sicht des Glaubens wie eine rationalistische zu vermeiden (161–164). Das Vatikanum II (181–187) stellt in den Aussagen zum Glauben eine »Wendemarke« dar (181). Danach werden z. B. noch K. Rahner (201) oder die Theologie der Befreiung (205 ff.) beleuchtet. Den Abschluss bildet die Enzyklika »Fides et ratio« von Johannes Paul II. Die lehramtlichen Aussagen sind die Fixpunkte des geschichtlichen Überblicks. Das Lehramt setzt die Maßstäbe und stellt die theologischen Urteilskriterien bereit.
Dies gilt nun besonders für den zweiten Teil, der aus zwei Ab­schnitten besteht: 1. »Elemente einer Glaubensdefinition« (235 ff.) und 2. »Merkmale des Glaubens« (259 ff.). Glaube steht in vielfachen Bezügen, zur Vernunft, zum Willen, Affekt, zur Erfahrung, zum Wissen, zum Handeln u. a. Unter »Elementen einer Glaubensdefinition« werden Beweggrund des Glaubens, dessen Inhalt, der Glaube und die Kirche, Glaube und Lehre, der Glaube an private Offenbarungen erörtert. Schulmäßig werden im Anschluss an Thomas Formalobjekt (»credere deo«) und Materialobjekt (»credere Deum«) unterschieden (237). Zwar heißt es: »Der Glaube ist nicht primär eine Lehre« (247), dann wird aber doch die Zustimmung zum Glaubensinhalt gefordert, auch wenn festzustellen ist: »Fast kein Gläubiger kennt ausdrücklich alles das, was die Kirche durch ihr Lehramt als von Gott geoffenbart gelehrt hat und lehrt.« (248) Der Abschnitt über »Merkmale des Glaubens« beginnt mit der Aussage: »Es gibt keine kirchenamtlich verbindliche Liste der Glaubensmerkmale.« (259) Untersucht werden Glaube als Geschenk Gottes (»virtus fidei«), Glaube als Tat des Menschen (»actus credendi«), die Gewissheit des Glaubens (289), sodann »der Glaube ist dunkel« (296), d. h. gottgewirkt und nur mystisch zu erfassen, der Glaube ist heilsnotwendig (300 ff.) und lebendig (323 ff.). Die schulmäßige Tradition wird rezipiert, so etwa wenn Vernunft und Glaube als Natur und Übernatur zugeordnet werden oder indem die Typisierung der Glaubensvorstellung als Zustimmung zu einer Lehre, als einigende Erfahrung – die mystische Komponente –, als tief empfundenes Vertrauen in Christus oder als Handlungsstil charakterisiert wird (269). In der Frage der Glaubwürdigkeit folgt H. dem Vatikanum I mit seinem Verweis auf die Kirche als »mächtigen und fortdauernden Beweggrund der Glaubwürdigkeit und ein unwiderlegbares Zeugnis ihrer göttlichen Herkunft« (273). Unterschieden werden jedoch Motive der Glaubwürdigkeit und Motive des Glaubens (279). Der Glaube im katholischen Sinn beruht auf Autorität: »Katholiken sollten im Prinzip den Glaubensartikeln, den von der Kirche definierten Dogmen, sowie solchen in der Kirche stets und überall vorgetragenen Lehren, die als zum göttlichen und katholischen Glauben gehörig erklärt worden sind, ihre feste Zustimmung geben.« (295) »Wer auch nur in einem einzigen Fall die Autorität der Kirche leugnet, hört auf Katholik zu sein.« (339) Daraus ergibt sich der Status jener Katholiken, welche die Kirche verlassen. Ausführlich erörtert werden das Heil der Nichtchristen (303 ff.), der Limbus infantium (307), der Exklusivitätsanspruch der katholischen Kirche gemäß dem Grundsatz »extra ecclesiam nulla salus« (320 ff.), der Kinderglaube (324 ff.), die Psychologie der Entwicklung des Glaubens (334 ff.). Das Fazit solcher anthropologischen Analyse der theo­-logischen Aussagen lautet: »Diese Merkmale des Glaubens müssen zusammen betrachtet werden, weil sie sich wechselseitig bedingen und einander voraussetzen. Wer die Übernatürlichkeit und die Dunkelheit des Glaubens annehmen wollte, aber seine Freiheit und Vernünftigkeit leugnet, missversteht seine Gewissheit und verfällt in einen Fideismus oder Supranaturalismus. Wer hingegen die Freiheit und Vernünftigkeit zu Lasten der Übernatürlichkeit und Dunkelheit betont, setzt sich der Gefahr des Pelagianismus aus, der den Glauben auf seine natürliche Kenntnis reduziert. Die Gewissheit des Glaubens muss stets mit seiner Übernatürlichkeit, Freiheit, Vernünftigkeit und Dunkelheit betrachtet werden. Kurz, kein Merkmal des Glaubens kann ohne die anderen richtig verstanden werden.« (344 f.) Es verwundert nicht, dass die Analyse der anthropologischen und psychologischen Elemente und Merkmale des Glaubensaktes schlussendlich zur Anerkennung der Autorität der Kirche nötigt. Allein die Kirche ist Garant des Glaubens.
Das Buch ist ein Kompendium katholischer Lehraussagen. Es diskutiert die in diesem Zusammenhang entstehenden Probleme sachkundig und informiert. Evangelisches Verständnis des Glaubens wird hingegen den Glauben von seiner Beziehung zu Gott her als Relation begreifen. Glaube und Gott gehören zuhauf (Luther im Großen Katechismus, BSLK 560, 21 f.). Glaube besteht daher nicht in der bloßen Annahme von Glaubenswahrheiten. Glaube vertraut dem Wort des Evangeliums, Gottes Verheißung. Er ist kein Werk des Menschen, nicht menschliche Tat oder Entscheidung, sondern ist als Gottes Werk passiv, Gnade, Geschenk. Den Charakter des Glaubens als Geschenk betont zwar auch das zu besprechende Werk. Aber dies erfolgt mit Hilfe der Vorstellung des Übernatürlichen, da der Glaube notwendigerweise ein übernatürliches Formalobjekt haben muss (263). Das Werk von H. nennt und kennt zwar den Zweifel, aber die Anfechtung ist nicht im Blick. Als Kontrast empfiehlt sich die Lektüre des Artikels Glaube in der 4.Auflage der RGG, Bd. 3, 953–974, von Eberhard Jüngel. Die Belege sind teilweise sogar dieselben, aber die Perspektive ist anders. Bibelstellen- und Personenregister erschließen das Buch, ein Sachregis-ter fehlt leider. So ist das Buch vor allem in kontroverstheologischer Hinsicht lehrreich und bemerkenswert und verdient daher Aufmerksamkeit. Ob es den Sinn des »Allein aus Glauben« des Geschehens der Rechtfertigung ökumenisch aufzuhellen vermag, bleibt fraglich.