Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

854–856

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Forde, Gerhard O.

Titel/Untertitel:

The Preached God. Proclamation in Word and Sacrament. Ed. by M. C. Mattes and St. D. Paulson.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2007. X, 329 S. gr.8° = Lutheran Quarterly Books. Kart. US$ 32,00. ISBN 978-0-8028-2821-7.

Rezensent:

Jochen Arnold

Am 9. August 2005 starb der amerikanische Systematiker Gerhard O. Forde. Seine beiden Schüler Mark C. Mattes und Steven D. Paulson widmen ihm diesen Band der Reihe Lutheran Quarterly Books (benannt nach der gleichnamigen Zeitschrift), der den ebenso knappen wie bedeutungsreichen Titel The preached God trägt. Damit ist der Fokus des ganzen Buches im Blick: das sakramentale Ereignis der Austeilung des Evangeliums. Der Erhellung dieses Themas dient auch der Aufbau: Nach einer Einführung in das Lebenswerk F.s (1–29) präsentieren die Herausgeber zunächst zahlreiche (bereits publizierte, aber auch bisher unveröffentlichte) Aufsätze unter folgenden drei Aspekten: God preached and not preached (Anthropologische und christologische Grundlagen); Doing the Word (Gottes Handeln unter Wort und Sakrament); Called to Freedom (Beiträge zur theologischen Ethik der Gegenwart).
Den Abschluss bilden dann ausgewählte Kurzandachten und Predigten F.s, die sich u. a. in besonderer Weise des Abendmahles annehmen. Denn genauso wie die sakramentale Dimension der Predigt und die theologische Bedeutung der Sakramente dogmatisch zu erschließen sind, gilt es auch, die Sakramente zu predigen. Dahinter steht die an vielen Stellen erkennbare Einsicht, dass theo­logia prima (Gottesdienst) und theologia secunda (Dogmatik) in engster Weise aufeinander bezogen sind, ja sich wechselseitig be­dingen.
Beginnen wir mit einem grundsätzlichen Eindruck: An vielen Stellen berühren F.s Texte unmittelbar, weil es ihm gelingt, das zentrale Moment des Evangeliums, den Freispruch von Schuld und Sünde als Tat Gottes, so zur Sprache zu bringen, dass er uns heute unmittelbar erreicht. Auf diese Weise kommt nicht nur ein zentrales Anliegen der Theologie Luthers und der lutherischen Bekenntnisschriften (vgl. besonders Art. V der CA), sondern die Mitte des Evangeliums überhaupt kraftvoll zum Leuchten. Dies gilt nicht nur für die Predigten, sondern auch schon für die Aufsätze und Vorträge. Einige Impressionen und Lesefrüchte dazu:
F. versteht die Predigt als Sakrament, d. h. als Tat Gottes in, mit und unter menschlichem Zeugnis. Er schloss deshalb seine Predigten anlässlich einer Ordination gewöhnlich mit folgender exhortatio:
a) »Speak that word of forgiveness!« – »Über all dem vergesst nicht: Das Versprechen des Vaters, die Kraft aus der Höhe, ist vor allem die Kraft der Vergebung. Das gilt auch für euch selbst. Ihr seid nicht berufen, die Last der Welt auf eurem Rücken zu tragen. Ihr seid nicht berufen, religiöse megalomaniacs, Gurus oder sonst etwas zu sein. Ihr seid Zeugen. Ihr seht, auch für euch selbst gibt es heute eine richtig gute Botschaft. Ihr seid nicht berufen, alles zu tun. Bringt das Zeugnis hervor. Gott wird es aufnehmen. Ihr seid bekleidet mit der Vollmacht von oben. Sprecht das Wort der Vergebung. Predigt es!« (301 f., Übers. J. A., vgl. auch Einleitung, 2)
b) »God chooses his own by preaching«: Ähnlich wie der Lutheraner Peter Brunner (vgl. seine Monographie: Zum Gottesdienst der im Namen Jesu Christi versammelten Gemeinde, Kassel 1954, 218 f.) begreift F. die Predigt als erwählende Tat Gottes im Hier und Jetzt. Erwählung ist so verstanden keine Angelegenheit der Vergangenheit bzw. einer spekulativen Prädestinationslehre, sondern ein Werk Gottes, das uns heute erreicht und schon jetzt die »Zukunft Gottes feiern« lässt, ja den Himmel aufschließt. Predigen ist dann Gottes höchsteigenes Mittel für den radikalsten Wechsel, den es gibt: die Erschaffung einer neuen Schöpfung (vgl. 8).
c) »The words of theology must be pushed out of the third person.« – Predigen ist für F. nicht in erster Linie ein Reden über Gott. Es soll sich nicht in einer erklärenden bzw. definierenden Sprache bewegen, wie sie besonders in der systematischen Theologie ge­pflegt und kultiviert wird, sondern immer wieder in dialogische und performative Sprechakte münden. Denn Predigt ist in ihrem Kern Proklamation des Evangeliums und als solche Gabe Christi selbst (vgl. 16): An Stelle des Satzes »Gott vergibt« soll Christus selbst als Gabe und Geber zu Wort kommen: »Ich vergebe dir« (vgl. 6). In dieser Hinsicht besteht eine sachliche und sprachliche Analogie von Wort und Sakrament, was der unmittelbare Vergleich mit der Taufformel: »Ich taufe dich auf den Namen Gottes …« ( vgl. 5) zeigt. F. benennt damit treffend den Unterschied zwischen einer »langu-age of love« (primärer Sprechakt) und einer »language about love« (sekundärer Sprechakt, vgl. 46). Auf die Kanzel gehört Erstere, aufs Katheder Letztere.
Ein Beispiel aus einer Predigt zu Joh 5,19 (wohl unmittelbar vor der Mahlfeier) mag dies veranschaulichen. Das biblische Wort lautet in Luthers Übersetzung: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selber tun, sondern nur, was er sieht den Vater tun; und was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.« F. nimmt dies so auf: »He is the doing of God among us, the only Son of the Father. And now we meet today around this table to receive what he has done. For he is doing today what he did of old, doing what he sees the Father doing, giving himself absolutely for you. For he says: Here I am for you. Think on that, and tremble! And, repent and believe!« (274 f.)
d) »We do not need to protect the Lord from the Lord’s own gener-osity!« – Ein letztes Schlaglicht soll der Kindertaufe gelten, für die sich F. mit großem Nachdruck ausspricht: Seine erste Frage dazu scheint banal. Ist die Taufe notwendig? Er zielt damit auf K. Barths kritische Anfragen in KD IV/4, der nach einer evangelischen Be­gründung der (Kinder)Taufpraxis fragte. Die Antwort F.s: Nach dem Gesetz ist die Taufe nicht notwendig, nach dem Evangelium sehr wohl, denn die Taufe ist ein Geschenk und eine Tat Gottes. Daraus folgt: Die theologisch akzeptable Frage zur Sache ist nicht, ob wir kleine Kinder taufen dürfen, sondern ob wir kleine Kinder von Gottes Heil (auch nur für eine kurze Zeit) ausschließen dürfen (vgl. 134 f.). F. sieht kein Problem in dem Satz »Baptism saves«, ein Satz, der besonders frommen Christen oft nicht gefällt, aber ein (tiefes) Glaubensbekenntnis ist. In Anlehnung an CA IX und Apol. IX bzw. Luthers De captivitate (WA 6,516 f.) formuliert F.: »Glaube kann nur Glaube sein, wenn er ein konkretes Versprechen hat, an das er glaubt.« Und dieses Versprechen gibt Gott selbst in der »äußeren Handlung« der Taufe (vgl. 138 f.).
F. schließt: »Gnade muss verkündigt und ausgeteilt, nicht zurückgehalten werden. Missbräuche einer ›zu liberalen‹ Praxis der Kindertaufe werden nicht dadurch behoben, dass man die Kindertaufe ganz aufgibt. Das wäre so, als ob man einem Verhungernden die Nahrung zurückhielte, bis man ein vernünftiges Ernährungskonzept vorlegen kann. Wir müssen den Herrn nicht vor seiner eigenen Großzügigkeit schützen! … Die einzige echte Waffe, die der Kirche bleibt, ist, die Taufe recht zu lehren und zu predigen, und zwar als gnädige und rettende Tat des dreieinigen Gottes.« (145)
Kraftvolle reformatorische Theologie in ebenso kraftvoller wie origineller Sprache – das ist das eindrucksvolle Vermächtnis eines Grandseigneurs lutherischer Theologie in Amerika. Es sei hiermit zur Lektüre empfohlen.