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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

844–846

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bohrmann, Thomas, Veith, Werner, u. Stephan Zöller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Theologie und Populärer Film. Bd. 1.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2007. 376 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-72963-7.

Rezensent:

Christian Grethlein

Das auf vier Bände konzipierte Handbuch wird wesentlich von katholischen und evangelischen Filmbeauftragten in Deutschland und der Schweiz getragen, wobei im ersten Band die Beiträge katholischer Autoren überwiegen (alle drei Herausgeber sind katholisch). Damit wird versucht, die bei solchen Beauftragten liegende Expertise für eine Systematisierung des bisherigen Wissensstandes fruchtbar zu machen. In der Tat – und dies zeigen die Beiträge deutlich – ist hier ein breiter Zugang zur Thematik »Kirche und Kino« bzw. »Religion und Kino« eröffnet. Das Nebeneinander dieser beiden Themen macht zugleich – positiv formuliert – auf eine Offenheit und – negativ gefasst – auf eine fehlende konzeptionelle Bestimmtheit des Handbuchs aufmerksam. Die Aufgabenstellung »Populäre Filme religiös gesehen« reicht wohl für die üblicherweise bei einem »Handbuch« erforderliche systematische Kohärenz hinsichtlich des Gegenstandsbereichs nicht aus.
Im ersten Band – für die weiteren ist noch kein Prospekt angezeigt – stehen populäre Hollywood-Filme im Zentrum. Allerdings werden verschiedentlich auch andere, aus Europa stammende Filme einbezogen; das Kriterium der Popularität wird ebenfalls nicht ganz stringent angewendet.
Eingangs gibt Thomas Bohrmann eine sehr in­struktive, durchaus direkt zur Filmbeobachtung (etwa in akademischen Lehrveranstaltungen) verwendbare Übersicht über »Die Dramaturgie des populären Films« (15–39). Es folgen vier analytische Teile, die sich jeweils unter anderer Perspektive exemplarisch ausgewählten einzelnen Filmen zuwenden, die dann am Ende auch noch einmal filmographisch präsentiert werden (337–363).
Der erste Teil widmet sich unterschiedlichen Genres: Liebes-, Science-Fiction-, Horror-, Kriegs- und Fantasy-Fiction-Filmen. Ne­ben langen Nacherzählungen einzelner Filmsequenzen wird es immer dann spannend, wenn – wenigstens kurz – rezeptionsästhetische Hinweise gegeben werden. Hier schimmert etwas durch von der offenkundigen Leistungskraft heutiger Filme für die Biographiearbeit der – meist jugendlichen – Zuschauer. Die Bezüge zu »Religion« wiederholen vieles bereits anderweitig Beobachtetes und leiden insgesamt darunter, dass »Religion« – auch hier – ungeklärt bleibt. Neben großer Weite durch Rückgriff auf Luckmanns wissenssoziologischen Ansatz finden sich manch unvermittelte, stark normative Bewertungen. Hier findet wohl der Beruf der meis-ten Beiträger, die Filmkritik im kirchlichen Kontext, ihren Niederschlag. Eine explizite Reflexion darauf, was einen Film »lohnend« o. Ä. macht, unterbleibt.
Im zweiten Teil werden typische »Figuren« heutiger Filme dargestellt: Aliens u. Ä., Engel, Märtyrer, böse Typen und Priesterfiguren. Dabei wird teilweise auf Filme aus den 50er und 60er Jahren zurückgegriffen, aber auch aktuelles Material präsentiert. Die sich nahelegende Frage nach eventuellen Entwicklungen, Verschiebungen oder Transformationen bleibt leider unthematisiert. Auch gelingt es in diesem Teil kaum, das Filmmaterial religionshermeneutisch stringent zu erschließen.
Instruktiv könnte der dritte, mit »Regisseure« überschriebene Teil, sein. Die Werke folgender Regisseure werden in einzelnen Aufsätzen untersucht (ohne dass deren Auswahl begründet wird): Steven Spielberg, David Fincher, John Woos, Peter Weir und die Gebrüder Wachowsky. Leider spielen dabei biographische Hinweise keine (bzw. kaum eine) Rolle, so dass es weithin wieder nur zu Nacherzählungen von Film-Plots kommt bzw. interessanter: zur Analyse von jeweils wichtigen Symbolen in verschiedenen Filmen der einzelnen Regisseure. Besonders anregend ist hier: Karl Matthias Schmidt, »Jesus im Kreis von Freunden und Waffenhändlern: Religiöse Motive im Filmwerk John Woos« (213–230). Dazu stößt der von Charles Martig verfasste Beitrag »David Fincher: Die Hölle auf Erden oder David Finchers negative Theologie der Offenbarung« (201–211) zu einer religionshermeneutisch reflektierten Darstellung vor. Bei ihm zeigt sich: »Das Gewicht des Unenthüllten überwiegt gegenüber dem Enthüllten. Deshalb vermittelt Finchers Meta-Kino eine negative Theologie der Offenbarung.« (211)
Im vierten Teil »Themen« finden sich dann weitere, eher grundsätzliche, die Filme in den allgemeinen kulturhermeneutischen und dann auch theologischen Diskurs stellende Artikel. Hier ragen besonders die Ausführungen von Thomas Hausmanninger hervor: »Postmetaphysische Körper sind der Horror: Die Kritik des Horrorfilms an der Verabsolutierung der Immanenz« (285–300). Er erklärt überzeugend aus der philosophischen Dekonstruktion der Metaphysik die Überlastung der Körper in Filmen, wobei die Genres Vampir- und Actionfilm (amerikanisch: Body Picture) das An­schauungsmaterial bieten. Deren körpertheoretische Analyse er­gibt die Problematik einer exklusiven Konzentration auf den Körper, was als Impuls wiederum auf die notwendige Weiterentwick­lung des philosophischen und theologischen Diskurses zur Me­taphysik weist. Ebenfalls interessant sind in diesem Teil die Versuche von Werner Veith, die Matrix-Triologie vom Aufklärungskonzept Kants her zu verstehen (»›Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‹ Aufklärungsprozesse in der MATRIX-Trilogie«, 301–311), und von Stephan Zöller, sich von der Jungschen Tiefenpsychologie aus (vermittelt durch Eugen Drewermann und Maria Kassel) dem Thema »Selbstentfremdung« in drei ausgewählten Filmen zu nähern (»Das Thema ›Selbstentfremdung‹ im Spielfilm«, 313–326).
Insgesamt liegt ein Band vor, der vor allem eine Übersicht über den Stand gegenwärtiger Inhaltsanalysen von Hollywood-Filmen gibt. Dabei wird ein breites Spektrum eröffnet. Vereinzelt – sie sind im Vorhergehenden besonders genannt – begegnen aber Beiträge, die über die Nacherzählung und Addition zu ersten hermeneutischen Erkundungen kommen und so für praktisch-theologische Arbeit von besonderem Interesse sind. Sie zeigen, dass die Bearbeitung des Themas Kinofilm und Religion (bzw. Christentum) nach einer inhaltsanalytischen Phase jetzt der hermeneutischen An­strengungen bedarf, um praktisch-theologisch weiter voranzukommen. Dazu könnten rezeptionsästhetische Studien wichtige Erkenntnisse ergeben.