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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

842–844

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Winter, Friedrich

Titel/Untertitel:

Propst Siegfried Ringhandt (1906–1991). Bekenner in zwei Diktaturen.

Verlag:

Berlin: Wichern Verlag 2007. 234 S. m. Abb. gr.8°. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-88981-234-6.

Rezensent:

Gert Haendler

Nach Jugend und Studium in Berlin gab es im April 1934 einen Eklat: Im Ordinationsgespräch äußerte der zuständige, zu den Deutschen Christen gehörende Propst sich so, dass Ringhandt ihn als Ordinator ablehnte. Die »Junge Kirche« berichtete 1934. Die Bekennende Kirche ließ nun »ihre Studenten und Kandidaten durch eine eigene Ausbildung laufen« (38). Ende 1934 wurde Ringhandt von Gerhard Jacobi ordiniert, dem Präses der Bekenntnissynode in Berlin. Kapitel 3 »Der gejagte Bekenner. Oder: Der leidende Hilfsprediger (1934–1941)« schildert Ringhandts Dienst in fünf Gemeinden ohne feste Anstellung. Kurt Scharf hielt Kontakte zum Konsistorium für nötig: »Ihre Lage als Hilfsprediger ist eine ganz andere als unsere, die wir fest angestellt sind« (42). Im März 1935 wurde Ringhandt verhaftet, weil er eine verbotene Erklärung des Bruderrats von der Kanzel verlesen hatte (53). 1936 trat der Brandenburgische Kirchenausschuss für ihn ein. W. formuliert: »Der Rat der BK, das Konsistorium und der Kirchenausschuss arbeiteten erstaunlich konform. Man merkt, dass sich hier eine flüssige Routine in der Zusammenarbeit entwickelt hatte« (61).
1937–41 wirkte Ringhandt in der Gemeinde Ilmersdorf. 1937 war er wieder Häftling – in derselben Gefängniszelle wie 1935. Mit ihm waren 37 Pfarrer in Haft, darunter Heinrich Vogel (70). Die Berufung in ein Pfarramt scheiterte auch daran, dass Ringhandt den seit 1938 von der Kirche geforderten Eid auf Hitler ablehnte. 1940 wurde er Soldat, er schrieb an Kurt Scharf: »Es hat mich also auch erwischt. Am 4.12. muss ich bei den Preußen antreten« (90). Dem Oberkirchenrat teilte er mit, er habe als Soldat den Fahneneid auf den Führer geleistet. Die Behörde erkannte das an, 1940 kam eine Weisung vom Reichskirchenministerium, Pfarrer der Bekennenden Kirche, die sich im Kriegsdienst befänden, nicht zu benachteiligen (84). Nach der Entlassung im Juni 1945 wurde Ringhandt endlich Pfarrer in Ilmersdorf.
Auf der ersten Tagung der brandenburgischen Synode im Herbst 1945 über die Neuordnung der Kirche hielt Ringhandt ein Referat. Bischof Otto Dibelius hatte 1945 die real existierende Kirche restauriert, Ringhandt forderte einen Neuanfang nach den Beschlüssen der Bekennenden Kirche. Die Synode bestätigte den Bischof, dem Bruderrat der Bekennenden Kirche blieb nur eine beratende Funktion (96). Im Sommer 1946 wurde Ringhandt Superintendent in Seelow. Später meinte er, wegen seines Widerstands in die »Wüste geschickt« worden zu sein. Jene Gegend an der Oder war »die am meisten zerstörte Flächenlandschaft Restdeutschlands« (98). Nach seiner erneuten Verhaftung setzte sich u. a. Martin Niemöller für ihn ein. Beim Wiederaufbau seiner Kirche konnte Ringhandt kaum die Ziele der Bekennenden Kirche verwirklichen. Die Kirchenzucht gemäß der Lebensordnung von 1955 war schwer anwendbar (106 f.). Bei der »Jugendweihe« musste er nach anfänglich hartem Kurs einlenken. Das Heft »Obrigkeit« von Otto Dibelius 1959 stand nach Ringhandt im Widerspruch zum Evangelium. Ringhandt forderte, der Bischof müsse sich vor der Synode verantworten.
Ringhandt wollte sich auf die Lage in der DDR einstellen und begründete 1958 mit sechs Theologen den Weißenseer Arbeitskreis, der Ideale der Bekennenden Kirche wach halten sollte: Der Arbeitskreis war »von staatlichen und kirchlichen Institutionen unabhängig und finanziert sich selbst ... Er leitet sich selbst durch einen Leiterkreis« (118). Der Leiterkreis wählte Ringhandt zum Vorsitzenden. 1960 zog sich Ringhandt zurück, weil eine »Gruppe mit kirchenpolitischer Staatsnähe zur Regierung der DDR« zunehmend an Einfluss gewann (120). 1959–1963 war Ringhandt Studentenpfarrer in Berlin, bekam aber keinen Zuzug in die Stadt, die Behörden sahen ihn weiterhin »mit großem Misstrauen« (130).
1963 wurde Ringhandt Propst der Ostregion von Berlin-Brandenburg als Vertreter von Kurt Scharf, der nicht mehr in den Osten durfte. 1966 wurde Scharf Bischof von Berlin-Brandenburg und Ringhandt »Propst beim Konsistorium«. Die Formulierung meint, dass der Propst im Auftrag von Synode und Kirchenleitung als unabhängige Person das Konsistorium theologisch beaufsichtigen sollte. So war 1945 das Propstamt durch die Bekennende Kirche konzipiert worden. Ringhandt bezeichnete sich gern als »Cheftheologen« (134). Er war zuständig für die Ökumene, die Diakonie, Krankenhausseelsorge und das Pressedezernat. Er wirkte in mehreren Kuratorien, u. a. für das Sprachenkonvikt in Ostberlin (139). Ringhandt wollte als Vertreter der Bekennenden Kirche ein Wächteramt gegenüber der Kirchenleitung und ihren Vorsitzenden wahrnehmen.
1968 führten ihn Debatten um eine neue DDR-Verfassung mit Johannes Hamel und Manfred Stolpe zusammen (145). Ringhandt trat für einen Bund evangelischer Kirchen in der DDR ein, die DDR-Behörden beurteilten ihn weiter negativ (147). Bei Beginn des Ruhe­stands fürchtete er einen »Ausverkauf der Kirche an den Staat«. Abschiedsbriefe 1971 zeigen seine Anliegen: »Die Sorge um den geraden Weg der Kirche, Vorliebe für Polarisieren, Leidenschaft für die bruderschaftliche Leitung« (150). Kapitel 8 »Der Seelsorger im Alter (1971–1991)« zeigt Ringhandts Einsatz für neue Seelsorgebewegungen. Den Zusammenbruch der DDR hatte er ebenso wenig erwartet wie andere auch. Er sah, dass nach der Wende »Barmen« noch mehr in Vergessenheit geriet, er spürte aber keine Kraft mehr, sich »noch einmal ins Getümmel zu werfen und zu kämpfen« (158). Ein Anhang bringt weithin unbekannte Dokumente aus den Jahren 1933–1990 (161–223).
W. (80) ist zwei Jahrzehnte jünger und denkt theologisch anders als Ringhandt. Umso mehr ist ihm zu danken, dass er Ringhandts Nachlass erst nach so gründlicher Aufarbeitung dem Archiv übergab. W. bietet die bewegte Lebensgeschichte eines tapferen Menschen und wichtige Einblicke in die Kirchengeschichte des 20. Jh.s.