Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

840–842

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Trippen, Norbert

Titel/Untertitel:

Josef Kardinal Frings (1887–1978). Bd. II: Sein Wirken für die Weltkirche und seine letzten Bischofsjahre.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2005. 588 S. u. 16 Tfn. m. Abb. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 104. Lw. EUR 32,90. ISBN 3-506-71345-0.

Rezensent:

Mark Edward Ruff

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Trippen, Norbert: Josef Kardinal Frings (1887–1978). Bd. I: Sein Wirken für das Erzbistum Köln und für die Kirche in Deutschland. 2., durchges. Aufl. Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2003. 677 S. u. 16 Tfn. m. Abb. gr.8° = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 94. Lw. EUR 36,90. ISBN 3-506-79999-1.


Norbert Trippens gewichtige zweibändige Biographie von Kardinal Josef Frings ist kurz nach ihrem Erscheinen zum Bestseller der Blauen Reihe der Kommission für Zeitgeschichte avanciert. Von Frings’ Nachfolger Joseph Kardinal Höffner angeregt, lassen sich die mehr als 1100 Seiten als eine offizielle Würdigung des immer noch beliebten Kölner Kardinals verstehen. T.s Darstellung gleicht einer geheimen Einsicht in den Kalender des verstorbenen Kardinals, wobei sowohl die wichtigsten Konferenzen mit ausländischen Persönlichkeiten ersten Ranges als auch Treffen mit den einfachen Leuten aus seinem Heimatbistum pflichtgemäß zum Vorschein kommen.
Weil Frings schon 1945, nur wenige Jahre nach seiner Bischofswahl, zum Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz ernannt wurde, beschäftigt sich der erste Band weniger mit dem Engagement Frings’ für das Erzbistum Köln als mit seinem Auftreten auf der Bühne der nationalen und internationalen Politik. Frings mischte sich in Fragen der Entnazifizierung, der Reparationen, der Verfassungsentstehung und nicht zuletzt der Behebung der Hungernot seiner Landsleute ein, und von daher fungiert dieser erste Band als eine pauschale Darstellung der Kirchengeschichte der Nachkriegszeit.
Selbstverständlich erwähnt T. die Silvesterpredigt 1946, durch die der Kardinal sich hohe Aufmerksamkeit unter seinen Landsleuten verschaffte und zugleich das deutsche Lexikon um den Begriff des »Fringsens« bereicherte. Doch nimmt diese Parole keine zentrale Rolle in dieser Biographie ein. Stattdessen konzentriert sich T. auf das weitere Sorgen von Frings für die Vertriebenen, Kriegsgefangenen und Objekte der Entnazifierung. Durch Frings’ Engagement für die deutschen »Opfer« der deutschen Niederlage kam es fast unausweichlich zu Kollisionen mit den Vertretern der alliierten und vor allem der englischen Besatzungsmächte. In diesen Auseinandersetzungen erwies sich Frings als ein beharrlicher und manchmal sogar unnachgiebiger Vertreter des besiegten deutschen Volkes, der keinerlei Bedenken hatte, rhetorische Waffen zur Anwendung zu bringen sowie Vergleiche zwischen dem Verhalten der Nazis und der britischen Besatzungsmächte anzustellen.
In dem nachfolgenden Streit um die deutsche Verfassung setzte sich Frings für katholische Ziele wie das sog. Elternrecht ein, eine Forderung nach konfessionellen Schulen, die bis in die 60er Jahre hinein den kirchlichen politischen Diskurs bestimmte. Am Ende des ersten Bandes findet T. sogar noch Raum, Kuriositäten wie die Rolle von Frings als »Protektor der Shakespeare Gesellschaft« und informelle Kammermusikveranstaltungen im Erzbischöflichen Haus zusammenzutragen.
Wenn auch die Partnerschaft zwischen den Erzbistümern Köln und Tokyo ebenfalls sorgfältig geschildert wird, geht der zweite Band insbesondere auf Frings’ Wirken für die Weltkirche im Rahmen des Zweiten Vatikanums ein, wo Frings sich als einer der einflussreichsten Vertreter der deutschen Kirche hervortat. T. widmet sogar 300 Seiten der Rolle von Frings als Mitgestalter des Konzils. Auf Grund seiner ausgezeichneten Lateinkenntnisse und seiner rhetorischen Fähigkeiten konnte dieser etwas schüchtern wirkende Kirchenpatriarch während des Konzils seinen Einfluss geltend machen und zugleich die Zuhörer vor lauter Begeisterung von den Seitenschiffen in St. Peter zurück auf ihre Plätze locken.
Erst am Ende dieses Bandes skizziert T. kurz die Desillusionierung des alten Kardinals Ende der 60er Jahre, als die Unsicherheiten über die Durchsetzung der Dekrete des Zweiten Vatikanums mit den antiautoritären Protesten und Forderungen nach einer Demokratisierung der Amtskirche zusammenfielen. Hier kommt T. zu dem provokanten, aber aus den Akten gut begründeten Schluss, dass die revolutionären Bewegungen und Einwicklungen in der Kirche in der zweiten Hälfte der 60er Jahre ihn mehr als die politischen und gesellschaftlichen Erschütterungen am Ende des Zweiten Weltkrieges belasteten.
Ohne Zweifel leistet T. mit seinen beiden Bänden Pionierarbeit. Da Frings’ Tätigkeiten als Erzbischof und Kardinal mehr als 25 Jahre umspannten, musste T. Hunderte bisher gesperrter Schachteln aus den umfangreichen Beständen des Historischen Archivs des Erzbistums Köln auswerten und zugleich die kritzelige Handschrift des am Ende seines Lebens fast völlig blinden Kardinals entziffern – eine Fleißarbeit, die aus gut nachvollziehbaren Gründen mehr als 17 Jahre in Anspruch nahm. So hat T. jede Menge Neuigkeiten zu bieten, die wertvolle Erkenntnisse gewinnen lassen. Außerdem scheut T. nicht davor zurück, den Leser auf Widersprüche und Lücken in Frings’ Erinnerungen aus dem Jahre 1973 aufmerksam zu machen, die er mit der Wirklichkeit der vorangehenden Jahre vergleicht. Die langen Zitate, die T. auch häufig anbringt, sorgen für aufschlussreiche Einsichten in die Persönlichkeit und Denkweise des einflussreichen Rheinländers.
Man kann T. vorhalten, dass er das Verhalten von Frings gelegentlich schönt. Manchmal verschmilzt seine Feder mit den Aussagen Frings’, indem er dessen Einschätzungen bei kontroversen weltanschaulichen Auseinandersetzungen ohne Weiteres übernimmt. So liest man über das Engagement Frings für Kriegsverbrecher: »Die Kölner Akten lassen erkennen, dass der Einsatz von Kardinal Frings für die zum Tode verurteilten Kriegsverbrecher wie für zu hart bestrafte ehemalige Nationalsozialisten unendlich viel Arbeit und Mühe gemacht hat. Der Kardinal erntete dabei ... durchaus nicht nur Zustimmung und Anerkennung. Bisweilen überwog sogar lieblose Kritik.« (312–313)
Jeder Biograph muss Stellung zu seinem Forschungsobjekt beziehen. Historiker mit einem kritischeren Blickwinkel hätten sich mit der Schattenseite des anscheinend genialen Kardinals auseinandergesetzt und dabei T.s Lobeshymne dissonanter gemacht. Sie hätten sich auf Äußerungen von Zeitgenossen wie dem kritischen Kaplan Carl Klinkhammer stützen können, die Frings nicht gerade mit einem Heiligenschein umgeben haben. Nach Klinkhammers Darstellung empfing Frings den Kaplan nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft mit den für ihn lapidaren Worten: »Hier kommt ja der Klinkhammer.«
Nichtsdestotrotz muss man dieser durchaus gelungenen Biographie zugute halten, dass ohne eine zuerst positive Würdigung eine kritischere Beurteilung im dialektischen Sinne Hegels prinzipiell nicht folgen kann. Selbst diese kritischen Bemerkungen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass T. mit seiner Reisebiographie eine eindrucksvolle und sogar herkulische Leistung vorgelegt hat, die über alle bisher publizierten Darstellungen zum Kölner Patriarchen hinausgeht. Sie wird ein Standardwerk bleiben, an dem kein künftiger Historiker der Nachkriegskirche vorbeigehen kann.