Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

831–834

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Donati, Claudio, u. Helmut Flachenecker [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Le secolarizzazioni nel Saco Romano Impero e negli antichi Stati italiani: premesse, confronti, conseguenze. Säkularisierungsprozesse im Alten Reich und in Italien: Voraussetzungen, Vergleiche, Folgen.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot; Bologna: Società editrice il Mulino 2005. 337 S. gr.8° = Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient. Beiträge, 16. Kart. EUR 24,00. ISBN 3-428-11978-9 (Duncker & Humblot); 88-15-10850-5 (Società editrice il Mulino).

Rezensent:

Gabriele B. Clemens

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Decot, Rolf [Hrsg.]: Kontinuität und Innovation um 1803. Säkularisation als Transformationsprozess. Kirche – Theologie – Kultur – Staat. Mainz: von Zabern 2005. IX, 324 S. m. Abb. gr.8° = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ge­schichte Mainz. Abt. für Abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 65. Geb. EUR 34,80. ISBN 3-8053-3524-5.


Die beiden anzuzeigenden Aufsatzsammlungen vereinigen die Beiträge von zwei Tagungen, die 2003 und 2004 anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Reichsdeputationshauptschlusses, der die Auflösung des Alten Reiches besiegelte und die territoriale Neugestaltung Deutschlands organisierte, veranstaltet wurden. Damals sollten die Territorialfürsten für ihre linksrheinischen Gebietsverluste entschädigt werden, die im Zuge der französischen Revolutionskriege annektiert worden waren. Die bestehenden geistlichen Herrschaftsgebiete wurden »säkularisiert« und die meisten bisher reichsunmittelbaren Städte und eine Reihe kleinerer weltlicher Herrschaften mediatisiert, d. h. als politische Einheiten aufgehoben und größeren bzw. mittleren Territorialstaaten zugeschlagen. Diese territoriale Neuordnung lief unter dem bestimmenden Einfluss von Frankreich und vor allem nach den Vorstellungen Napoleons ab. Persönliche Beziehungen und Bestechungen spielten eine maßgebliche Rolle. Die größten Gewinner dieser Neuordnung waren Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt und die nassauischen Fürstentümer. Die jeweiligen Fürsten und ihre führenden Minister nutzen die Chance, ihre Gebiete hemmungslos zu »arrondieren«.
Die Forschung diskutiert schon seit Langem kontrovers über die Folgen dieses Beschlusses, etwa über die Auswirkungen auf Bildung und Caritas, die von der Enteignung der geistlichen Institutionen betroffen waren, oder über die Frage, ob sich vor allem für die katholische Kirche die Möglichkeit grundlegender Erneuerung geboten habe, da sie sich nun – nach dem Verlust der weltlichen Herrschaft – wieder auf ihre eigentliche Aufgabe, die Seelsorge, konzentrieren konnte. Auf Grund der äußerst verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den vor 1803 existierenden hunderten deutschen Territorien können die einzelnen Beiträge immer nur punktuell Aspekte ansprechen. Die Forschung ist – auf Grund dieser komplexen Problemlage – noch weit davon entfernt, die Folgen dieses Säkularisationsprozesses in seiner Ge­samtheit zu bewerten. In dem von Rolf Decot herausgegebenen Band verschafft zunächst ein Beitrag von Winfried Müller begriffliche Klarheit über die Termini Herrschafts- und Vermögenssäkularisation, wobei er dafür plädiert, die Herrschaftssäkularisation als Mediatisierung zu bezeichnen. Eine Reihe von Aufsätzen beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Säkularisation auf die rechtliche Stellung der Kirche. Heinrich de Wall zeigt, dass von einem Staatskirchenrecht, das die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und neuem Territorialstaat regelt, erst nach 1803 zu sprechen ist. Als positiv bewertet er die Unabhängigkeit der katholischen Kirche vom Staat, ambivalent sieht er die Stärkung des päpstlichen Einflusses auf die innerkirchlichen Verhältnisse in den deutschen Ländern.
Karl-Heinz Braun analysiert das sich im Laufe der Jahrzehnte wandelnde Kirchenbild und das Religionsverständnis des ehemaligen Domherren und Theologen Ignaz Heinrich von Wessenberg. Dieser plädierte für differenzierte religiöse Dialoge und lehnte Dogmen der autoritären Amtskirche entschieden ab. Eine weitere zeitgenössische theologische Pioniergestalt, die sich über den Autoritätsanspruch und die hierarchischen Strukturen der katholischen Amtskirche ebenfalls kritisch äußerte, porträtiert Karl Hausberger. Über seinen Protagonisten, Johann Michael Sailer, der an der bayerischen Landesuniversität in Landshut lehrte, bemerkte der zuständige Wiener Nuntius Severoli, dass man die Werke des »famoso Seiller« als katholisch und höchst fromm erachte, dass in ihnen aber nie vom Heiligen Stuhl die Rede sei (41). Ganz anders wiederum Joseph de Maistre, der mit seinen propäpstlichen Schriften – wenn auch unbewusst – die Grundlagen für den staatskritischen Ultramontanismus legte (Günther Wassilowsky).
Eher Überblickscharakter hat der Beitrag von Anton Schindling, der, wie andere Frühneuzeithistoriker auch, in letzter Zeit dafür plädiert, das Heilige Römische Reich deutscher Nation nicht als chaotisches Gebilde zu betrachten, dessen Untergang 1803–1806 niemand nachgetrauert hätte. Er räumt jedoch ein, dass es den neuen europäischen Herausforderungen, die von Frankreich ausgingen, nicht gewachsen war (90). Seine abschließenden kontrafaktischen Überlegungen, ob der Reichsdeputationshauptschluss nicht doch eine Chance für ein neues Reich unter der Führung Habsburgs geboten hätte, bleiben naturgemäß spekulativ. Weitere Beiträge beschäftigen sich mit den Folgen für die von der Säkularisation betroffenen Eliten. Hubert Wolf erläutert die Entstehung eines Bischofstyps, der sich völlig zum Papst bzw. nach Rom hin orientiert. Aus ehemals mächtigen Kirchenfürsten seien die deutschen Bischöfe auf Grund der Säkularisation im Laufe des Jahrhunderts letztendlich zu »Papstknechten« degeneriert. Abgewertet wurden von nachfolgenden Generationen Männer wie Karl Theodor von Dalberg oder der schon genannte Wessenberg, die noch nach 1800 versuchten, eine eigenständige Reichskirche aufzubauen. Ihre papsttreuen Nachfolger, die sich ab den späten 1830er Jahren vor allem mit dem preußischen Staat anlegten, wurden hingegen zu Lichtgestalten verklärt. Letztendlich setzt sich in der Forschung die Konstruktion des Idealbilds des »tridentinischen Bi­schofs« durch, der sich hingebungsvoll dem Seelenheil seiner Schäf­chen widmet. Diese idealtypische Entwicklung eines neuen Bischofsideals – vom Fürstbischof zum »Pastor bonus« – bestätigt Do­minik Burkard in der folgenden prosögraphischen Studie. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Schicksal religiöser Gemeinschaften. Mary Ann Eder liefert eine Synthese ihrer Dissertation zu den bayerischen Zentralklös-tern, wo man die heimatlos gewordenen Mitglieder der Bettelorden unterbrachte. Zum einen bietet sich ein Bild der Armut und Überalterung, zum anderen bildeten diese Institutionen wiederum die Keimzelle für die seit der Restauration wieder aufblühenden Klöster. Joachim Schmiedl thematisiert ebenfalls die Neugründungen religiöser Gemeinschaften in der ersten Jahrhunderthälfte. Von den Zeitgenossen mit aggressiver Ablehnung oder romantischer Verklärung betrachtet, richteten sie sich vor allem nach französischen Vorbildern aus. Zudem übernahmen sie hochwillkommen wichtige Aufgaben im Bereich von Karitas und Unterricht. Ein weiterer Aufsatz von Markus Ries skizziert den Wandel im Bereich der Priesterausbildung, der durch die Säkularisation beschleunigt wurde. Am Ende dieser Entwicklung steht ebenfalls als Idealtypus ein vom Staat entfernter, abgeschirmter Theologiestudent, der unter der Aufsicht ultramontaner Bischöfe steht.
Die immensen wirtschaftlichen Folgen der Säkularisation werden nur in zwei Beiträgen angesprochen. Peter Claus Hartmann beschränkt sich dabei auf den süddeutschen Raum und vernachlässigt die zahlreichen Studien zu Westdeutschland, wo die Säkularisation zu bemerkenswerten Transferprozessen führte. Er wiederholt auch das tradierte Vorurteil, dass vor allem Protestanten die ehemaligen Kirchengüter kauften, wohingegen die Katholiken aus Pietätsgründen davon Abstand genommen hätten. Im Rheinland erwarben aber Tausende Katholiken die wertvollen Klostergüter, trieben einen schwunghaften Handel damit, woran sich nicht zuletzt ehemalige Kanoniker und Klosterbrüder mit hervorragendem Geschäftssinn beteiligten. – Konstantin Maier be­schreibt in seinem Beitrag den Umgang mit den reichen Klöstern Oberschwabens, die schwierigen ökonomischen Umstellungsprozesse bei ihrer neuen Nutzung, die Probleme des entlassenen Personals und den Umgang mit den Klostergebäuden, die – wie andernorts auch – entweder als Krankenhäuser und »Irrenanstalten« oder industriell genutzt wurden. Abschließend widmet sich Klaus Fitschen der interessanten, aber auch schwierigen Frage, ob die Säkularisation Auswirkungen auf das Bewusstsein der Katholiken hatte. Am Beispiel Münsters will er klären, ob diese ihre konfessionelle Identität gefährdet sahen. Anscheinend nicht, erst nach 1815 wurde die Säkularisation »ein Unglück für Deutschland« (Zitat Eichendorffs aus dem Jahr 1819).
Beschäftigen sich die Beiträge des ersten anregenden Bandes mit den unmittelbaren Reaktionen der Säkularisation und ihren weiteren Folgen im 19. Jh., so bietet im zweiten Band der internationale Vergleich der oberdeutschen Entwicklung mit derjenigen in Österreich und in Ober- bzw. Mittelitalien die Klammer.
Zwei einleitende Aufsätze der beiden Herausgeber bieten Resümees der Ta­gungsbeiträge zu ihrem jeweiligen Herkunftsland. Die Artikel der italienischen Forscher beschäftigen sich vor allem mit frühneuzeitlichen Säkularisationsprozessen und gehen nicht über die napoleonische Herrschaft hinaus. Als erster grundlegender Unterschied ist im Vergleich mit den deutschen Ländern natürlich zu nennen, dass es abgesehen vom Papst, der als weltlicher Herrscher in Mittelitalien regierte, keine geistlichen Territorialfürsten gab. Bestrebungen, eine vergleichbare Position wie die der Kirchenfürsten nördlich der Alpen zu erlangen, so zum Beispiel versucht vom Bischof von Brescia, Angelo Maria Querini, blieben Luftschlösser (Daniele Montanari). Die Säkularisation von Kirchenvermögen betraf also in Italien in erster Linie die während der napoleonischen Zeit enteigneten Ordensgemeinschaften. Um Vermögensfragen geht es aber ohnehin nicht in diesem Band, sondern vor allem um die Frage nach den Auswirkungen auf die innere Verfasstheit der katholischen Kirchen.
In den österreichisch und piemontesisch beherrschten Gebieten waren Säkularisationsmaßnahmen ohnehin schon vor den Revolutionskriegen eingeleitet worden. Giorgio Dell’Oro zeigt, wie die Kirchengüter im Verlauf des 17. und 18. Jh.s immer stärker unter die königliche Verwaltung gerieten, losgelöst von jeglichem römischen Einfluss. Elena Brambilla thematisiert die Abschaffung der Inquisition in Norditalien, wo die Bischöfe aber weiterhin Ge­richtsherren blieben bis zur Übernahme des Code Napoléons 1804. Entscheidende fiskalische Maßnahmen sowie die Abschaffung der kirchlichen Zensur musste die Kirche in der Republik Venedig ebenfalls schon im 18. Jh. hinnehmen. Mit verkauften Klostergütern wurden Schulreformprojekte fi­nanziert (Giuseppe Del Torre). Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit dem Verhalten des Klerus im ehemaligen Kirchenstaat. In der Hoffnung auf eine Autonomiegarantie auf dem Gebiet der Lehre und der religiösen Praxis kollaborierte er in Bologna mit den neuen Machthabern (Umberto Mazzone). Mauro Nequirito skizziert das äußerst belastende Schicksal des Klerus in Trient, der in 20 Jahren drei Herrschaftswechsel hinnehmen musste. Einem Einzelschicksal wendet sich schließlich Antonio Trampus zu. Seinen Protagonisten, Sigismund von Hohenwart (1730–1820), Jesuit, habsburgischer Prinzenerzieher, Bischof von Triest und St. Pölten und Erzbischof von Wien, zeichnet ein von den josephinischen Reformen geprägtes Amtsverständnis aus. Paolo Prodis Beitrag bietet grundsätzliche Reflexionen zum komplexen Verhältnis von Kirche und Staat in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Am Beginn der deutschen Aufsätze steht ein Beitrag von Harm Klueting, der auf diesem Themenfeld zu den ausgewiesensten Forschern nördlich der Alpen zu zählen ist und einen reich dokumentierten Überblick über die deutschen Säkularisationen vom 16. bis zum 19. Jh. liefert, eine profunde Einführung in eine äußerst komplexe Materie. Kurt Andermann und Helmut Flachenecker skizzieren den Zustand der geistlichen Staaten um 1800 in Südwestdeutschland bzw. in Franken und Bayern. Auch hier leiteten die Bischöfe wichtige Reformen – etwa im Bereich des Schulwesens – bereits vor der Säkularisation ein. William D. Godsey erläutert die Folgen der Säkularisation für die österreichische Hocharistokratie, die erhebliche Einkommenseinbußen und den Verlust von Versorgungsstellen hinnehmen musste.
Die Umbrüche in den deutschen Pfarreien analysiert Erwin Gatz. Angesprochen werden finanzielle Umstrukturierungen, Ämterbesetzungen und Patronatsrechte, alles in allem stehen sie als »Gewinner« der Säkularisation da, werden sie doch im Vergleich zur Frühen Neuzeit entschieden aufgewertet. Dominik Burkard be­schreibt wiederum die positive Kehrseite der schmerzhaften staatlichen Eingriffe. Auf Grund der Säkularisationsmaßnahmen kam es zu einer Revitalisierung des kirchlichen Lebens. Den Pfründenjägern des 18. Jh.s folgten Bischöfe, die sich wirklich für das Seelenheil ihrer »Schäfchen« interessierten. Wenn auch die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses gewaltigen Transformationsprozesses – vor allem für die italienischen Territorien – weitestgehend ausgeblendet bleiben, bieten die beiden Bände eine Reihe interessanter, sehr gut lesbarer und ausgewogener Beiträge zu den Folgen der Säkularisation in Sonderheit für die katholische Kirche dies- und jenseits der Alpen.