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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

818–819

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Westphal, Stefanie

Titel/Untertitel:

Der Wolfenbütteler Psalter. Cod. Guelf. 81.17 Aug. 2°. Eine ornamentgeschichtliche Studie.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2006. 259 S. m. zahlr. Abb. 4° = Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 19. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-447-05473-7.

Rezensent:

Alexander Markschies

Das Buch, hervorgegangen aus einer Kieler Dissertation bei Ulrich Kuder und Michael Müller-Wille und gefördert durch das Graduiertenkolleg »Imaginatio Borealis«, widmet sich sechs karolingischen Handschriften, die zwischen ca. 835 und 860/70 entstanden sein dürften. Ziel der Arbeit ist es, die Zusammengehörigkeit der illuminierten Codices »zu verifizieren und durch eine genaue Ornamentanalyse die Region zu lokalisieren, aus denen ein künstlerischer Einfluss auf die Ausstattung der Handschriften erfolgte« (12). Die Arbeit ist mithin kunsthistorische Grundlagenforschung.
Im Anschluss an einen Aufsatz von Carl Nordenfalk von 1931, der die heute in Wolfenbüttel, Berlin, Prag, Rom, Bou­-logne-sur-Mer und St. Omer aufbewahrten Handschriften erstmals zu einer Gruppe, genauer zu einer Untergruppe der franko-sächsischen Schule zusammengestellt und in das nordfranzösische Kloster St. Bertin in St. Omer (Dept. Pas-de-Calais) lokalisiert hatte, beschreibt W. zunächst einmal den historischen Kontext, d. h. die Geschichte des Klosters St. Bertin, dessen topographisches Umfeld, die Gründung, die Äbte bis 864 nebst ihren Verbindungen zum karolingischen Herrscherhaus, insbesondere Ludwig dem Frommen, und schließlich die Bibliothek des Klosters. Anschließend folgt die Analyse des Wolfenbütteler Psalters Cod. Guelf. 81.17 Aug. 2° – bislang hat die Handschrift in der Forschung keine größere Rolle gespielt – sowie der anderen Codices der Gruppe, ein Psalter (Berlin, Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. fol. 58), zwei Evangeliare (Prag, Knihovna Metropolitni Kapituli, B 66 und Rom, Biblioteca Vaticana, Pal. lat. 47) und zwei exegetische Handschriften, die Gregoriushandschrift »Moralia in Job« (Boulogne-sur-Mer, Bibliothéque municipale, Ms. 71) und die Augustinushandschrift »Varia Opera« (St. Omer, Bibliothéque municipale, Ms. 254); Letztere ist die einzige der Gruppe, die sich durch den Stiftereintrag auf fol. 1 zweifelsfrei nach St. Bertin lokalisieren lässt.
Im Fokus steht zunächst und vor allem die Ornamentik der Codices, mithin der Schmuck von Rahmen und Initialen. Die geometrische, vegetabile und – sofern vorhanden – zoomorphe Ornamentik wird ausführlich beschrieben, die Analyse dient der Feststellung charakteristischer Veränderungen, ja sogar Entwicklungen innerhalb der Codices selbst – in den Blick geraten Hän­descheidung und Chronologie –, der Zuordnung zur Gruppe und der Frage nach möglichen Vorbildern jeweils unter dem Rubrum der Ähnlichkeit. Plausibel gemacht werden Einflüsse aus dem insularen Bereich, aus karolingischen Skriptorien wie unter anderem der Hofschule Karls des Großen sowie den Klöstern von Reims, Tours und Corbie. Karolingische »Renovatio« impliziert dem­nach, was mit dieser Arbeit einmal mehr konstatiert wird, nicht durchweg das Wiederauflebenlassen antiker Kunst.
Methodische Grundlage für die Rekonstruktion der im Kloster St. Bertin entstandenen Handschriftengruppe ist die von Wilhelm Koehler bereits 1930 getroffene Feststellung, dass die Ornamentik illuminierter Handschriften wie die Buchstaben und Worte in der Paläographie oder die Sätze und Texte in der Textkritik Hinweise für die Charakterisierung einzelner Handschriften geben und Zusammenhänge plausibel machen können. Obwohl die Kriterien dieses Zugangs bekanntlich als durchaus subjektiv angesehen werden können, werden sie durch W. in jedem Fall transparent gemacht – das Buch erfüllt damit auch die strengsten Anforderungen an die Klassifizierung von Handschriftengruppen. Dankbar wird die Forschung darüber hinaus gewiss für die Aufnahmetabelle, den Katalog und die qualitätvollen Umzeichnungen der Ornamentik sein. Das Buch ist mithin ein substantieller Beitrag zur karolingischen Handschriftenkunde insbesondere der Zeit Ludwigs des Frommen.