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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

808–810

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Holzbach, Mathis-Christian

Titel/Untertitel:

Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – ein Gattungsvergleich.

Verlag:

Münster-Berlin: LIT 2006. IV, 321 S. m. Abb. gr.8° = Religion und Biographie. Religion and Biography, 14. Kart. EUR 29,90. ISBN 3-8258-9603-X.

Rezensent:

Knut Backhaus

Die neutestamentliche Gattungskritik bemüht sich derzeit verstärkt um die Rekontextualisierung der Erzählwerke im Rahmen der kaiserzeitlichen Literatur. Die jüngere Diskussion wurde durch den Vorschlag überrascht, das Markusevangelium als Historiographie zu lesen. Die zu besprechende, bei Detlev Dormeyer (Dortmund) entstandene Dissertation versucht es umgekehrt und liest die Apostelgeschichte unter biographischem Gesichtspunkt. Dazu zieht sie ein außerordentlich interessantes Opus zum Vergleich heran: Plutarchs sog. Viten der Kaiser Galba und Otho, die in dem Bürgerkriegsjahr 68/69 n. Chr. für kurze Zeit an der Macht waren. Das Werk, vor den Vitae Parallelae verfasst, behandelte ursprünglich die Herrscher von Augustus bis Vitellius, wahrscheinlich in Form einer zusammenhängenden Geschichte des Prinzipats; es ist außer im Galba/Otho-Teil nur fragmentarisch erhalten. Mit Blick auf die Gattungsfrage liegt sein Reiz darin, dass Plutarch, der den Unterschied zwischen Biographie und Historiographie sonst betont – der Historiograph erschließt Geschichtsabläufe, der Biograph zeichnet Charaktere (vgl. Alexander 1,2; Nikias 1,5) –, hier beides verbindet.
Die Studie beschreibt den Forschungsstand zu Plutarchs Galba/ Otho und zur Textsorte der Apg (13–48) und widmet sich Me­thodenfragen (49–66). Den umfangreichsten Teil bildet eine narrative Analyse des Galba/Otho (67–217). Unter der Überschrift »Prinzipat und Gottesherrschaft« wird dann der Entwurf Plutarchs mit dem der Apg verglichen (218–295). Der Schlussteil sammelt die Ergebnisse (296–301).
Ich bündele den Ertrag: Apg und die Galba/Otho-Viten sind von dem jeweils verfolgten Verfassungsprinzip – hier der von Augustus gestiftete Prinzipat, dort die von Jesus proklamierte Gottesherrschaft – her zu erschließen. Dabei wählen die Verfasser eine narrative Strategie, die weniger Ursachen, Geschehenszusammenhänge und Folgen darstellt als die Geschichtsdynamik in Form von Charakterzeichnungen bzw. Charaktere in Form von Geschichtsdarstellung. So entsteht eine Mischgattung aus Biographie, kritisch-pragmatischer und tragisch-pathetischer Geschichtsschreibung, wie sie sich besonders im dramatischen Episodenstil niederschlägt. Maßgeblich für die Darstellung ist die ethische Perspektive.
Diese – in engem Kontakt zu den Arbeiten Dormeyers – entstandene Leitthese bedeutet insofern einen Auslegungsgewinn, als sie die hermetische Trennung zwischen den Textsorten problematisiert. Insofern die Geschichte in reichsrömischer Zeit zunehmend von individuellen Handlungsträgern geprägt wurde, lag eine Verbindung von Biographie und Historiographie in der Tat nahe. Im Sinne einer ersten Annäherung wird man durchaus feststellen können, dass es bei Plutarch wie in der Apg um die Tragweite des (in allgemeinstem Sinn) ethischen Ideals einer Gemeinschaft geht: hier das augusteische Staatsethos, dort die urchristliche Lebensform angesichts der Gottesherrschaft. Mit dem Postulat einer ethisch bzw. theologisch akzentuierten biographischen (genauer wäre: aktantenzentrierten) Geschichtsschreibung ist der Gattungs­diskussion um die Apg gedient.
Dieser Ansatz hätte allerdings eine erheblich sorgfältigere Ausarbeitung verdient. Der Grundmangel der Studie liegt in der Kriterienlosigkeit der Vergleichsarbeit. Der Methodenteil leistet keinen Beitrag­ zur Absicherung des komparativen Vorgehens oder zur intensiveren Durchdringung der literarischen und sachlichen Bezie­hungen zwischen den verglichenen Werken. Bereits die Prämisse, als Vergleichsbasis könne das jeweils prägende »Verfassungsprinzip« (12) dienen, hätte der Begründung bedurft: Inwiefern besitzt die Basileia in Apg »konstitutionellen« Rang? Der (von H. gar nicht berücksichtigte) institutionengeschichtliche Ansatz von Hu­bert Cancik hat ungeachtet seines heuristischen Erschließungsgewinns die Gattungsfrage als solche nicht klären können (und wollen). Ungeklärt bleibt auch das Verhältnis zwischen der platonisch-aristotelischen Staatsethik, die den Maßstab für Plutarch bildet, und dem die Apg bestimmenden religiösen Ethos: Mit dem Hinweis auf den »Glauben an das jüdische Gesetz, das weiterhin gilt«, und »einen heiligen Geist, der wundersame Kräfte verspricht« (226), sind die Probleme nicht geklärt, sondern geschaffen. Sosehr man H. beipflichten wird, dass die in der Apg gezeichnete urchristliche Ethik Antwort auf die Verkündigung der Gottesherrschaft ist (248), so unklar bleibt doch, inwiefern das lk Nachfolge-Ideal beim Vergleich mit den (herrschaftslegitimierenden) ethischen Ansprüchen im Rahmen der au­gusteischen Staatsverfassung Profil gewinnt. Das Fazit »Machterhalt im Blick des ethischen Ideals in Galba-Otho und Machtanspruch als ethisches Ideal in der Apostelgeschichte stehen sich somit gegen-über« (292) ist mir nicht nachvollziehbar. Das Motiv des »Charakterwandels« (287–290) bleibt denkbar vage, sieht man noch von der textfernen Behauptung ab, Lukas stelle die »Wandlung des Saulus zum Paulus« dar, der »in den Apostelkreis aufgenommen wird« (297 f.). Das Urteil, Galba und Otho seien »epochale Schlüsselgestalten der beiden Epochen des Vierkaiserjahres in Bezug auf das Ideal des Princeps« (257), setzt zumindest einen verkürzten Epochenbegriff voraus. Auch im Detail wirken die hergestellten Beziehungen oft assoziativ oder gezwungen: Die Berufung von Petrus und Paulus zum Evangelium ist der frohen Botschaft, die Galba von seiner Berufung zum Kaisertum empfängt, »vergleichbar« (94); wie Jerusalem »Mit­tel-punkt der Königsherrschaft Gottes« sei, so Rom bzw. Palatium und Forum Mittelpunkt des Machtkampfes (228); »Othos überstürzte Erhebung steht der langen Bekehrung des Paulus gegenüber« (292); der Kontinuität zwischen Nero und Otho entspricht gar die Kontinuität des Paulus mit sich selbst (292); dem Rat des Gamaliel im Hohen Rat ist die Prophezeiung des Umbricius, die Galbas Ende voraussagt, »in etwa vergleichbar« (292); der Schiffbruch des Paulus schließlich findet seinen Bezugspunkt in Galbas »Fall aus der Sänfte« (294). Das historische Urteil wirkt unsicher: Caligula ist nicht Nachfolger des Claudius (98, Anm. 1); im Jahr 68/69 spielen Patrizier bzw. Optimaten keine Rolle mehr (164 f.); zwischen »Oberpriester«, »kaiserlichem Augur« und »Haruspex« sollte unterschieden werden (142–144). Mitunter wünschte man sich eine deutlichere Trennung von historischer Rekonstruktion und narrativer Analyse.
Die formale Gestaltung der Arbeit ist beklagenswert. Das Layout ist achtlos zusammengewürfelt; die Schaubilder und Synopsen tragen eher zur Verwirrung als zum Überblick bei. Im Deutschen wie im Griechischen wimmelt es von Fehlern in Rechtschreibung, Zeichensetzung, Wort- und Satzgrammatik. Die Darstellung ist grob redundant und fahrig und wird gelegentlich unverständlich (z. B. 230: »In dieser Hinsicht können die beiden Proömia in Beziehung gebracht werden, in der es aufgrund eines ethischen Ideals in der thematisch bedingten Akzentsetzung eines ethisch hinterfragten ethischen Prinzips ankommt«) oder kurios: Sueton wird mit Nero (91), Plutarch mit Galba (100), Philippus mit Simon (288) durcheinandergeworfen; Nero hat einen Sohn von Otho (125, Anm. 2). Obwohl H. mit einer Vielzahl von Hervorhebungen – Fettdruck, Unterstreichungen und ständig der Signatur »(!)« – arbeitet, wird oft nicht ersichtlich, worauf seine Argumentation genau abzielt. Weiterführende Verstehensbilanzen werden kaum gezogen. Die aktuelle Literatur wird unrepräsentativ wahrgenommen. Hahn, Muhlack und Moessner, die nur mit Erscheinungsjahr im Apparat zitiert werden, werden im Literaturverzeichnis bibliographisch nicht ausgewiesen. Von den in der Bibliographie tatsächlich Ausgewiesenen hinterlässt dagegen nur eine Minderheit nachhaltig Spuren im Korpus. In diesem Zustand hätte die Untersuchung zweifellos nicht publiziert werden dürfen.
Fazit: Die Themenstellung dieser Studie ist sehr aktuell und der gattungsgeschichtliche Ansatz lohnend. Doch unersprießlich in der Form, unkontrolliert in der Heuristik und kaum ergiebig im komparativen Ertrag, trägt sie allenfalls sehr bescheiden zum Forschungsfortschritt bei.