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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

806–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hays, Richard B.

Titel/Untertitel:

The Conversion of the Imagination. Paul as Interpreter of Israel’s Scripture.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2005. XX, 213 S. gr.8°. Kart. US$ 20,00. ISBN 0-8028-1262-7.

Rezensent:

Florian Wilk

H., der an der Duke Divinity School, Durham (NC), Neues Testament lehrt, präsentiert mit diesem Buch eine Sammlung von zehn (meist nur leicht) überarbeiteten Aufsätzen der Jahre 1980–1999, ergänzt durch Einführung, Autoren- und Stellenregister.
H. erhebt »what Scripture looks like from within Paul’s imaginative narrative world« (X), da er dessen Schriftauslegung zentrale Bedeutung für dessen Denken und eine Vorbildfunktion für den gegenwärtigen Umgang mit der Schrift in Theologie und Kirche zumisst (VIII). Das Ergebnis dieser Textanalysen lautet: Paulus liest die Schrift als Zeugnis der Treue und Gnade Gottes. Indem er sie im Licht des Christusgeschehens – des apokalyptischen Ereignisses der Offenbarung Gottes in der Kreuzigung und Auferweckung des Messias Jesus – als Erzählung vom erwählenden, richtenden und erlösenden Handeln Gottes an seinem Volk betrachtet, entdeckt er in ihr mittels Analogiebildung viele Präfigurationen jenes Geschehens. In diese dem Verfahren nach ›poetische‹, der Sache nach ›eschatologische‹ Auslegung der Schrift sucht Paulus seine Ge­meinden einzuweisen. Dazu nutzt er in seinen Briefen vor allem die rhetorische Figur der Metalepse (im Sinne John Hollanders), regt also seine Leser durch Schriftzitate und -anspielungen dazu an, deren ursprüngliche Kontexte mit ihren paulinischen Verwendungszusammenhängen in Beziehung zu setzen. Auf dem Wege der Herstellung solcher intertextuellen Verknüpfungen erschließe sich den (heiden-)christlichen Adressaten der paulinischen Briefe ein neues Selbstverständnis als Gliedern der Gemeinde Jesu Christi, in der die Verheißungen Gottes an Israel zur Erfüllung kommen.
Zu Beginn legt H. in zwei Beiträgen den konzeptionellen Rahmen und die methodologische Basis seiner Untersuchungen dar.
Der erste, dem das Buch seinen Titel verdankt, geht dem wechselseitigen Konnex zwischen »Scripture and Eschatology in 1 Corinthians« nach: Durch eine metaphorisch-typologische Anwendung von Texten der Heiligen Schrift auf die Korinther (z. B. in 1,18–31; 5; 10,1–22; 14,25) lehre Paulus sie – die offenbar stoischem bzw. kynischem Denken zuneigten –, sich selbst innerhalb einer apokalyptisch geprägten Weltsicht »as proselytes to an Israel reconfigured around Christ« (5; Zitat T. Donaldson) wahrzunehmen. Im zweiten Aufsatz entfaltet H. anhand von »Paul’s Reading of Isaiah« die Grundsätze und Kriterien seiner intertextuellen Lektüre: Erst wenn man über die Zitate hinaus Schriftanspielungen und -echos in den Briefen des Paulus identifiziere (was einem durch das Evangelium transformierten Denken anhand der Prüfsteine »availability« [der Quelle], »volume« [der Wortlautkongruenz], »recurrence« [des Schriftwortes im Korpus Paulinum], »thematic coherence« und »historical plausibility« [des Quellenverständnisses], »history of interpretation« [des paulinischen Schriftgebrauchs] und »satisfaction« [des Schriftbezugs im Blick auf den Gedankengang des Paulus] möglich sei), trete zu Tage, wie stark seine Vorstellungswelt – wie die seiner impliziten Leser – durch die Schrift geprägt sei. Schon die expliziten Zitate aber lassen erkennen, dass er das Jesajabuch, vor allem Jes 40–55, mittels einer ekklesiozentrischen Hermeneutik als kohärente Vorausdarstellung des universalen Erlösungshandelns Gottes in Christus und damit auch der paulinischen Mission gelesen habe.
Es folgen vier Aufsätze zum Schriftgebrauch im Römerbrief.
H. versteht a) Röm 3,1–26 im Bezug auf Ps 143 als konsequent aufgebauten Nachweis der rettenden Gerechtigkeit und Bundestreue Gottes angesichts menschlicher Ungerechtigkeit und Untreue, b) Röm 3,27–4,25 als Darlegung der Universalität des Rechtfertigungsgeschehens aus dem Gesetz heraus, da Abraham mit seinem Glaubensgehorsam – in dem der Jesu präfiguriert sei – der Vater von Juden und Heiden sei, c) die Divergenz der Aussagen über das Gesetz in Röm 3–4 als Ausdruck einer ›dramatischen‹ Leseweise, in der es 1. gebietend die Identität des Gottesvolkes definiere, 2. verdammend die Sündigkeit aller Menschen aufweise, 3. prophezeiend Gottes Gerechtigkeit bezeuge, und d) die Psalmgebete Christi in Röm 15,3.9 (11,9 f.; 2Kor 4,13) als Anzeichen dafür, dass Paulus die früh-, evtl. schon vorchristliche Tradition messianischer Deutung der Davidspsalmen aufgreife (s. 1Kor 15,25 ff.), um Jesus, den Messias, als Paradigma christlichen Gehorsams zu präsentieren.
Im Weiteren begründet H. seine These einer apokalyptisch-messianischen Deutung von Hab 2,4 in Röm 1,17; Gal 3,11 und be­schreibt die in seiner Sicht wesentliche Bedeutung der Schrift für die Ethik des Paulus. Den Abschluss bilden zwei Aufsätze, in denen H. Methodik und Intention seiner Arbeiten erläutert.
Zunächst beantwortet er Anfragen, die sein Buch Echoes of Scripture in the Letters of Paul (New Haven 1989) bei C. A. Evans (der den Einfluss zeitgenössisch-jüdischer Hermeneutik betont), J. A. Sanders (der der paulinischen Schriftlektüre Theozentrik und Geschichtsbezug attestiert), W. S. Green (der das minimalistische Intertextualitätskonzept und den theologisch-bekenntnishaften Charakter des Buches kritisiert) und J. C. Beker (der eine kommunikative Funktion jener echoes, eine konstitutive Rolle der Schrift, eine positive Bewertung der Thora und eine ekklesiozentrische Ausrichtung in den Briefen des Paulus bezweifelt) auslöste. Sodann beschreibt H. im Gefolge des Paulus seine ›Hermeneutik des Vertrauens‹, in der Menschen, in das Bild Jesu Christi verwandelt, die Texte der Schrift neu hören als Zeugen der Gnade Gottes.
H. und dem Verlag ist für die Publikation dieses Bandes zu danken. Die einzelnen Studien gehören ihrer Idee, ihrer Argumentation und ihrem Ertrag nach zu den wertvollen, die Forschung vorantreibenden Beiträgen zum Schriftgebrauch und -verständnis des Paulus, und gesammelt bilden sie eine wichtige Ergänzung zum o. g. Buch Echoes. Sie weisen in weitgehend überzeugender Weise nach, in welch hohem Maß Paulus seine Theologie auf der Basis intensiver Schriftlektüre entwickelt und im ständigen Bezug auf die Schrift zur Darstellung gebracht hat. Der dem Christusbekenntnis entsprechende innovative Grundzug seiner Schriftauslegung wird von H. ebenso zur Geltung gebracht wie deren Verankerung im zeitgenössischen Judentum, ihre Identität stiftende Kraft ebenso wie ihr eschatologischer Charakter.
Freilich ist nicht alles gleichermaßen plausibel: Wiederholt nutzt H. ähnliche Begriffe, ohne sie präzise voneinander abzugrenzen (z. B. allusion/echo, image/metaphor/symbol, apocalyptic/escha­tological). Manches exegetische Urteil (so zum Sinngehalt von Röm 4,1 [62–69] oder zur Struktur von Röm 3 [52–58]) erscheint nicht stichhaltig, der Hang zur christologischen Deutung von Schriftbezügen (etwa in Röm 1,17 [137–140]; 4,23 f. [79–85]; 15,9 [102 ff.114 ff.]) überzogen. Wie sich die Konzepte der »metaphorical appropriation of Scripture« (XI), der Entdeckung von »analogical correspondences between the scriptural story and the gospel« (XVI) sowie von »pre-figurations of this revelatory event [sc. Kreuz und Auferweckung]« (ebd.) zueinander verhalten und dann zur Auffassung von der Kirche »as the remarkable fulfillment of the promises made to Israel« (ebd.) passen, wird nicht ganz deutlich. Bedenken weckten nach wie vor (vgl. ThLZ 130 [2005], 51; NET 10, Tübingen 2005, 93–100) der Umfang, in dem die Kontexte auch von lediglich angespielten Schriftworten zur Interpretation paulinischer Aussagen beigezogen werden, und, in Verbindung damit, die Annahme, Anspielungen und sogar Echos seien für die Rezeption seiner Briefe durch die Erstadressaten bedeutsam gewesen.
Trotz dieser Einwände kann der Aufsatzband allen Paulusexegetinnen und -exegeten nur dringend zur Lektüre empfohlen werden.