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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

802–803

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Cédric

Titel/Untertitel:

Les disciples dans l’évangile de Marc. Une grammaire théologique.

Verlag:

Paris: Gabalda 2007. 231 S. gr.8° = Études Bibliques, 57. Kart. EUR 40,00. ISBN 2-85021-180-X.

Rezensent:

Nils Neumann

Mit der Studie »Les disciples dans l’évangile de Marc« legt Cédric Fischer die gedruckte Fassung seiner in Neuchâtel unter der Be­treuung von Andreas Dettwiler angefertigten Dissertation vor. Im Aufbau des Buches folgt auf einen forschungsgeschichtlichen Überblick (Kapitel 1) und eine kurze Darstellung der angedachten Vorgehensweise (Kapitel 2) ein Durchgang durch diejenigen Texte des Markusevangeliums, die im Hinblick auf die Rolle der Jünger von Bedeutung sind (Kapitel 3–7). Grundsätzlich orientiert sich der Aufbau an der topographischen Gliederung des Markusevangeliums: Die Jünger in Galiläa (Kapitel 4), auf dem Weg nach Jerusalem (Kapitel 5), in Jerusalem bis zur Passion (Kapitel 6), während der Passion (Kapitel 7). Allerdings behandelt F. die Jesusreden Mk 4 und Mk 13 vorab (Kapitel 3) und sortiert die einzelnen behandelten Markus-Abschnitte in den Kapiteln 4–7 der Studie nach ihren literarischen Gattungen. Ein Fazit (Kapitel 8) und ein Literaturverzeichnis (Kapitel 9) beschließen das Buch.
Den Ausgangspunkt nimmt die Studie bei dem berühmten Motiv vom Versagen bzw. der mangelnden Erkenntnis der Jünger im Markusevangelium, das nach Wrede unter der Bezeichnung »Jüngerunverständnis« bekannt geworden ist. F. rollt die alte Frage neu auf, um die These vom Versagen der Jünger einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis: Die Jünger im Markusevangelium sind besser als ihr Ruf. Sie sind keine Anti-Identifikationsfiguren, sondern fungieren als Paradigma für den nachösterlichen Glauben und für die Probleme, die sich mit diesem Glauben ergeben, denn die Jünger stehen in derselben theo-logischen Spannungssituation wie die mk Gemeinschaft, d. h. wie die Gruppe, an die sich das Markusevangelium wendet.
Zu dieser These gelangt F., indem er methodisch eine Bultmannsche Formgeschichte mit neueren linguistischen und narratologischen Werkzeugen verbindet. Dabei nimmt er eine explizit theologische Blickrichtung ein und fragt danach, welchen theologisch motivierten Regelmäßigkeiten die mk Erzählung folgt. Indem er diese Regeln beschreibt, macht F. eine dem Markusevangelium innewohnende »theologische Grammatik« sichtbar, der die Studie ihren Untertitel verdankt. Die verwendeten Fachtermini zeigen an, wie sehr die Studie von einem formgeschichtlichen Ausgangspunkt bestimmt ist: Die einzelnen Textabschnitte werden vielfach als Perikopen (péricopes) bezeichnet, dann nach Gattungen geordnet untersucht und auf das in ihnen enthaltene Kerygma (kérygme) und auf die sich mit ihm verbindende Anthropologie hin befragt. Innerhalb dieser formgeschichtlich orientierten Vorgehensweise kommen dann aber auch in starkem Maße Mittel aus der narratologischen und linguistischen Textanalyse zur Anwendung. Schließlich fragt F. auch nach den intratextuellen Zusam­menhängen zwischen den Einzelabschnitten und nimmt dabei die mk Schrift in ihrer Gesamtheit in den Blick. Erst auf dieser Basis kann er zu der theologischen Grammatik des Markusevangeliums überhaupt vorstoßen. Damit überwindet er die Beschränkung der klassischen Formgeschichte, die die einzelnen Textabschnitte als Perikopen isoliert voneinander betrachtet. Mitunter entsteht durch die Verbindung von Formgeschichte und Linguis-tik freilich eine leichte Unschärfe zwischen diachroner und synchroner Frageperspektive.
Inhaltlich beobachtet F., dass das narrativ vermittelte christologische Kerygma des Markusevangeliums die paradoxe Identität Jesu Christi beinhaltet: Der Gekreuzigte und Auferstandene wird mit dem Irdischen identifiziert. Im Unverständnis und Versagen der mk Jünger kommt angesichts dessen ein anthropologisches Problem zum Ausdruck, nämlich die menschliche Unfähigkeit, diese christologische Paradoxie angemessen zu fassen. Hierin nun sind die Jünger mit der Gemeinschaft verbunden, an die sich das Markusevangelium wendet. Auch deren von der Abwesenheit Jesu geprägte Glaubenserfahrung steht unter der Spannung der chris-tologischen Paradoxie. Das Markusevangelium reagiert auf diese Situation, indem es narrativ eine Kontinuität zwischen dem irdischen Jesus und dem auferstandenen Christus herstellt. Folglich fungieren die mk Jünger als Repräsentanten und nicht als Anti-Identifikationsfiguren für den nachösterlichen Glauben.
An dem Befund, wie die Jünger Jesu im Markusevangelium faktisch dargestellt werden, kann und will F.s Untersuchung nichts ändern. F. argumentiert von der Rezeption der Jüngerdarstellung durch die mk Gemeinschaft her. Hier führt er gute Gründe an, die ihm erlauben, das Glas als halbvoll zu bezeichnen, das die bisherige exegetische Forschung meist als halbleer angesehen hat. Dieser plausible andere Blickwinkel macht die Arbeit lesenswert. F.s noch wichtigeres Verdienst besteht m. E. aber in der Methodik, die Traditionelles und Neues miteinander verbindet: Wer sich auf das etwas merkwürdige Gliederungsprinzip einlässt und die Zuordnung von Formgeschichte und Linguistik durchschaut, erhält durch F.s Studie interessante Einsichten.