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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

797–798

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Casalini, Nello

Titel/Untertitel:

Lettura di Marco. Narrativa, esegetica, teologica.

Verlag:

Jerusalem: Franciscan Printing Press 2005. 381 S. gr.8° = Studium Biblicum Franciscanum. Analecta, 67. Kart. US $ 25,00. ISBN 965-516-068-8.

Rezensent:

Silvia Pellegrini

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Casalini, Nello: Introduzione a Marco. Jerusalem: Franciscan Printing Press 2005. 303 S. gr.8° = Studium Biblicum Franciscanum. Analecta, 66. Kart. US $ 25,00. ISBN 965-516-068-8.


Nello Casalini, Professor für Exegese und Biblische Theologie am Studium Biblicum Franciscanum in Jerusalem und Autor von mehreren Monographien in derselben Reihe SBF-Analecta zu verschiedenen Büchern des Neuen Testaments, präsentiert jetzt seine Lektüre des Markusevangeliums. Das zweibändige Werk umfasst das breite Programm einer ausführlichen narrativen Analyse (Einführung und Lektüre) des ältesten Evangeliums. Die methodologisch bewusste Grundlage der Erzählanalyse wird nicht durch komplexe, theoretische Voraussetzungen dargelegt, sondern das Programm wird direkt in die Tat umgesetzt. Dies ist von Vorteil für die Leser, die unmittelbar an Materie und Inhalt des Textes interessiert sind, während eine theoretische, methodologisch reflektierte Auslegungskompetenz nicht primär aufgebaut wird. Nirgends erklärt z. B. der Vf., was ein »thematisches/theologisches Kriterium« versus das »erzählerische« ist (I,15.45 passim). Die Lesefreundlichkeit zeigt sich durch zahlreiche wörtliche Zitate aus dem Evangeliumstext. Auch der Sprachstil, eher einfach als gehoben, eher kommunikativ als geschliffen, erinnert an eine Vorlesung und eignet sich zum Vortragen. Das Werk präsentiert sich als Ergebnis einer thematisch geordneten Leseerforschung am Markustext, jedoch ohne systematische Darstellung eines einheitlichen, abgeschlossenen Gesichtspunkts (vgl. I,9). Dieser Eindruck hat sich mir bestätigt: In diesem Werk spiegelt sich ein wachsendes Textverständnis wider, das den Leser in kleinen Schritten zur Entfaltung des Sinnpotentials des Textes mitnimmt.
Auch im Aufriss des Werkes schlägt sich seine stufenweise Entstehungsgeschichte nieder: Alle Kapitel sowohl im ersten, als auch im zweiten Band erklären das Evangelium Vers für Vers bzw. Einheit für Einheit in Form einer lectio cursoria. So wird z. B. der Textausschnitt Mk 8,27–10,52 im ersten Band im Kapitel 2, § 8 unter dem Thema »Der Weg« (»La via«, I,29), dann ein zweites Mal im Kapitel 3, § 4 als »vierter Teil« (»Parte quarta«, I,41) des Plot, dann im Kapitel 4, § d) als »eine neue Erzähleinheit?« (»una unità narrativa?«, I,71) unter Betrachtung der Kompositionsanalyse, wiederum im Kapitel 5, §§ 17–21 (I,146–176) aus erzählanalytischer Perspektive, nochmals im Kapitel 6, §§ 2,IX–X (I,263–266) als »Erzähleinheit« und endlich ein letztes Mal im zweiten Band, Teil II, §§ XII–XVI als Gegenstand der eigentlichen »Lektüre« (II,145–191) behandelt. Das Gleiche gilt grundsätzlich für die Behandlung aller Texteinheiten des Markusevangeliums. Die Gesichtspunkte der Betrachtung variieren – nach einer theologischen Einordnung (I, Kapitel 1) werden Thema (I, Kapitel 2), Plot (II, Kapitel 3), Komposition (I, Kapitel 4), Erzählanalyse (I, Kapitel 5), Diskurseinheiten (I, Kapitel 6), theologischer Sinn (I, Kapitel 7) und im zweiten Band, nach zwei weiteren »Einführungen« (II, Teil I und II, Teil III, § »Introduzione«), die Lektüre (II, Teile II und III) fokussiert –, aber eine strukturelle Begründung für einen solchen, unvermeidliche Wiederholungen enthaltenden Auf­bau ist m. E. nicht erkennbar. Ein Abschluss (»conclusione«, II,327) akzentuiert die Hauptthesen. Jeder Band schließt mit einem Inhaltsverzeichnis (leider beide verunglückt: keine korrekte Seitenangabe ab I,9 und II,5!) sowie einem Autorenindex, während eine Bibliographie fehlt. Ein Gesamtautorenindex für beide Bände hätte die Mühe des Suchens reduziert.
Die neutestamentlichen Texte übersetzt der Vf. wörtlich, auch auf Kosten der stilistischen Gepflogenheit (z. B. I,56 zu Mk 6,34: »non aventi pastore« anstatt »senza pastore«; I,58 zu Mk 11,17: »caverna di ladri« anstatt »spelonca di ladri«), manchmal unpräzise (z. B. I,56 zu Mk 1,27: »cosicché domandavano tra loro dicendo. Che è questo?« anstatt »cosicché si domandavano tra loro dicendo: Che è questo?«; I,56 zu Mk 8,21b: fehlt das Fragezeichen; II,81 zu Mk 1,4: »Avvenne Giovanni battezzando«; II,53 zu Mk 1,15: »mutate voi stessi« für μετανοεῖτε). Insgesamt wirkt die Übersetzung jedoch erfrischend und direkt.
Hin und wieder sind einige inhaltliche Fehlinterpretationen zu vermerken: Nach dem Vf. erkennt z. B. Petrus in Mk 8,29 Jesus als Christus und »deswegen« (italienisch: »quindi«, I,42) auch schon als »Gottessohn« mit Hinweis auf Mk 1,1! Diese Erkennung erfolgt aber erst durch den Hauptmann in Mk 15,39, abgesehen von den un­reinen Geistern in Mk 3,11; 5,7. – Im Markusprolog wird nach Ansicht des Vf.s sowohl das Auftreten Jesu als auch das Johannes des Täufers als »menschliches Erscheinen von Wesen, die dem Geschehen präexistent waren« (»sia Gesù Cristo sia Giovanni sono la manifestazione umana di esseri che preesistevano al fatto stesso«, I,96) eingestuft, wobei sich dafür in Bezug auf Johannes keinerlei An­haltspunkt im Text findet und dies nie zum Gegenstand theologischer Reflexion wurde. – Zu Mk 11,15–17 meint der Vf., dass Jesus den Kult aufgehoben habe (»sospende il culto«, I,43), wobei aus dem Text höchstens eine Verhinderung dessen, und diese auch nur als symbolisch, herauszulesen ist (wie der Vf. selbst II,201 korrekt formulieren kann: »vuole significare la sospensione«, doch nicht in der Zwischenüberschrift, vgl. II,199, wo die Signifikationsebene mit der faktuellen Ebene verwechselt wird).
Beide Bände sind von häufigen Fehlern durchzogen, die das Lesen sehr stören. Eine sprachliche und formelle Revision vor dem Druck wäre notwendig gewesen, wenn es eine »würdige Ausgabe« (»degna edizione«, I,4) hätte werden sollen!
Das Werk ist dennoch ein überzeugender Beleg für die positive Wirkung der neuen, synchronen Analysemethoden in der Exegese: Diachronen Überlegungen geht der Vf. nicht nach, aber in seiner synchronen und intertextuellen Lektüre bringt er den Text dem Leser nahe. Seine Hauptaufmerksamkeit widmet er der Gliederung des Evangeliumstextes und unterbreitet hierzu neue Vorschläge. Der ständige, animierte Dialog mit der Gemeinschaft der Exegeten macht aus diesem zweibändigen Werk eine gute Orientierungs- und Informationsquelle, wobei die sympathische, offene Haltung des Vf.s nie langweilt. Dem Leser wird viel nützliches Material angeboten. Insgesamt bietet das Werk eine gute Basis für die Lektüre des Markusevangeliums.