Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

795–796

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wilke, Alexa F.

Titel/Untertitel:

Kronerben der Weisheit. Gott, König und Frommer in der didaktischen Literatur Ägyptens und Israels.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. X, 334 S. gr.8° = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 20. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-148970-9.

Rezensent:

Dirk Schinkel

Der Ausgangspunkt der Göttinger Dissertation von A. F. Wilke ist die Feststellung, dass sowohl in Ägypten, als auch in den weisheitlichen Texten des Alten Testaments ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Figur des Königs und dem Phänomen der Weisheit besteht. Der in der Forschung seit langer Zeit (A. Erman, 1923) bestehende Konsens, dass die alttestamentliche Weisheit auf dem Hintergrund einer gemein-altorientalischen Weisheitstradition zu verstehen und zu untersuchen ist, wird von der Vfn. vorausgesetzt und für ihren Untersuchungsgegenstand fruchtbar gemacht. Mit Recht ohne eine literarische Abhängigkeit anzunehmen, fragt sie nach den inhaltlich-gedanklichen Bezügen zwischen ägyptischen Lebenslehren des Mittleren Reiches (Lehre des Ptahhotep, Lehre für Merikare, Lehre Amenemhets I., Loyalistische Lehre und Lehre eines Mannes für seinen Sohn) und den alttestamentlichen Königsproverbien (vor allem Prov 10,1–22,16; 25–29 und 31,1–9). Im Fokus der Untersuchung stehen nicht die ohnehin nicht sicher zu klärenden Fragen nach dem Entstehungsort der Proverbien (Entstehung am Königshof oder als »Volksgut«, 7) oder nach einem Schulwesen im Alten Israel, sondern die Darstellung des »Königs der Weisheit« in seiner Beziehung zu Gott und in seiner Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. Weisheit (11). Dabei ist sich die Vfn. der Unterschiedlichkeit der weisheitlichen Termini Maat (ägyptisch) und ḥåkmāh (hebräisch) bewusst (6), wobei die alttestamentliche Weisheit wohl doch einen umfassenderen Anspruch erhebt, als nur »noetische Ordnung« zu sein. Der Leser wünscht sich hier vielleicht eine deutlichere Benennung des Propriums alttestamentlicher Weisheit.
Die umfang- und kenntnisreiche Analyse der ägyptischen Lehren (Kapitel II) zeigt weder ein einheitliches Königsbild noch ein kohärentes Verständnis von Maat als dem sozialen Ordnungsprinzip (136). Eine mögliche Ursache dafür benennt die Vfn. bereits zu Be­ginn, lässt sich doch eine gattungsgeschichtliche Entwicklung der Lehren aufzeigen, die von der Grabinschrift über die Biographie bis hin zur Autobiographie reicht. Damit geht auch eine Individualisierung in der Frömmigkeit einher (15 f.), die aber – und das deutet die Vfn. selbst an (130 ff.) – erst in späteren Texten vollends deutlich wird. Hier finden sich dann weniger Bestimmungen über den Kö­nig, sondern eine persönliche Auseinandersetzung mit der Gottheit. Festzustellen sei eine »Diskursänderung« (134), die im Ergebnis dazu führe, dass im kultischen Kontext »die persönlichen Gottheiten zu Erben des Königs werden« (136).
Bei der ausführlichen Analyse der Proverbien (Kapitel III) orientiert sich die Vfn. methodisch an A. Scherer (Das weise Wort und seine Wirkung, 1999), der Kriterien für das Erkennen des re­-daktionellen Spruchguts erarbeitet hat (23). In ihrer Untersuchung geht die Vfn. jedoch über Scherer hinaus, indem sie verstärkt auch den Kontext der Königssprüche einbezieht und im Rahmen einer »additiven Interpretation« (38) davon ausgeht, dass die einzelnen Königssprüche in einem längeren Überarbeitungsprozess einer Entwicklung und stetigen Ergänzung unterliegen (z. B. Prov 14,28.35 als Kern der Passage 14,26–15.18; 150). Die Vfn. arbeitet so eine Text- und Bedeutungsentwicklung heraus, der gerade auch das Bild des Königs unterliegt (24). Dies ist besonders gelungen bei der Analyse von Prov 16,1–15 (167–179) und Prov 25, der sog. Hiskia-Sammlung, für die die Vfn. als den Grundbestand die Verse 6–10, die sie sogar für den ältesten Bestandteil der Proverbien überhaupt hält, be­nennt (219 ff.). An Prov 25 zeigt die Vfn.: Weisheitliches Erforschen ( ḥqr) ist die königliche Aufgabe schlechthin, jedoch muss der König in der Konfrontation mit dem unerforschlichen Gott seine Begrenztheit erkennen (233).
Mit Blick auf die Proverbien läuft die Entwicklung ähnlich, jedoch mit einem anderen Ergebnis. Hier sei infolge eines realen Be­deutungsverlustes des israelitischen Königtums die »Chiffre König« frei für neue Deutung und biete letztlich dem Rezipienten die Möglichkeit, seine eigene Person an die Stelle des Königs zu setzen (297–299). Mit Verweis auf Plato (Staat 473D) schließt die Vfn. und kann – etwas zugespitzt, aber treffend – als Kronerben der Weisheit in Israel die »frommen Philosophen« benennen, »deren Bildung Herz, deren Lesen Liebe und deren Wissen Gottesfurcht impliziert« (299).
Inhaltlich-gedanklich lassen sich insgesamt drei Anfragen stellen: Zunächst muss angesichts der Materialauswahl bei den ägyptischen Lehren gefragt werden, ob nicht auch gerade spätere Texte (z. B. die Lehre des Amen-em-ope) hätten herangezogen werden können, um die Entwicklung hin zu einer individuellen Frömmigkeit zu untermauern. Im Übrigen sei angemerkt, dass die Texte aus dem Mittleren Reich doch wesentlich älter sind, als die Vfn. an­nimmt (3). Dies ändert aber an der Vergleichbarkeit nichts, da es um das Phänomen einer Entwicklung sowohl des Königsbildes als auch der in den Texten enthaltenen Individualisierung der Frömmigkeit geht. Diese Entwicklung hätte durch Hinzunahme weniger weiterer Texte aus der späteren Zeit noch klarer herausgestellt werden können.
Dies gilt auch für die alttestamentlichen Weisheitstexte. Gerade am Koheletbuch, genauer an der Königsfiktion in Koh 1,12–2,26, lässt sich der Abschluss einer ähnlichen Entwicklung zeigen. Der König fungiert hier als »Maximalmittel menschlicher Lebensverwirklichung« (H.-P. Müller, ZAW 109, [1997], 572), um deutlich zu machen, dass das menschliche Forschen selbst aus der für den antiken Menschen gottnächsten Perspektive nicht zum Ziel führt, keinen Gewinn bringt, wie Kohelet sagt. Dieser Gedanke deutet sich bereits im Proverbienbuch an, wie die Vfn. gezeigt hat. Auf Kohelet dagegen geht die Vfn. nur marginal ein (277 f.), wobei ihre vorsichtige Erwägung, dass Prov 31,1–10 eine Reaktion auf Kohelet sei (279, Anm. 421), eine literarhistorisch schwer haltbare These wäre. Die Königsfiktion bei Kohelet bleibt als solche in der Untersuchung letztlich unbeachtet. Das Koheletbuch ist alles andere als ein in sich kohärenter weisheitlicher Entwurf, denn gerade an den Königstexten im Koheletbuch zeigt sich, dass Kohelet beide Königsbilder kennt und miteinander in Beziehung setzt: das weisheitlich-ideale Bild und das Königsbild seiner eigenen weisheitskritischen Reflexion. Schließlich wünscht man sich ein wenig mehr Bewusstsein für das Problem, dass die ägyptischen und alttestamentlichen Lehren unterschiedliche Adressatenkreise haben. Steht in Ägypten der königliche Beamte oder der Königssohn im Mittelpunkt, so ist es im Proverbienbuch wohl doch tatsächlich der »Fromme«, den die Vfn. am Ende der Entwicklung als »Kronerben« sieht.
Hervorzuheben sind insgesamt die exegetische Detailuntersuchung vor allem der Königsproverbien mit ständiger Berücksichtigung und Einbeziehung der literarischen Erweiterungen und auch die klare Einordnung der Untersuchung in die bisherige Forschung am Beginn, die prägnante Abgrenzung von anderen Arbeiten und das Weiterarbeiten an bewährten vorhandenen methodischen Konzepten der neueren Proverbienexegese. Damit leistet die Vfn. einen äußerst weiterführenden und sehr anregenden Beitrag für die Erforschung des Zusammenhangs von Königtum und Weisheit in der Literatur des Alten Orients.