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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

788–790

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bergsma, John Sietze

Titel/Untertitel:

The Jubilee from Leviticus to Qumran. A History of Interpretation.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2007. XVI, 348 S. gr.8° = Supplements to Vetus Testamentum, 115. Lw. EUR 125,00. ISBN 978-90-04-15299-1.

Rezensent:

Beate Ego

Die Bestimmung vom Jobeljahr in Lev 25, wonach alle 50 Jahre die Felder brachliegen, verarmte Israeliten, die in Schuldknechtschaft geraten sind, freikommen und in Notlagen verkaufte Grundstücke an den früheren Besitzer zurückgegeben werden sollen, hat in der Geschichte des alten Israel und des antiken Judentums zahlreiche Metamorphosen erfahren und daher in unterschiedlichen Kontexten eine wichtige Bedeutung eingenommen. Diese Studie, eine Dissertation, die an der University of Notre Dame bei James VanderKam entstanden ist, hat es sich vor diesem Hintergrund zur Aufgabe­ gemacht, sowohl die sozio-historische Herkunft der Be­stimmung und ihren »Sitz im Buch«, als auch weitere Entwick­lungslinien ihrer Rezeption und Interpretation in der Exilszeit und der Zeit des Zweiten Tempels nachzuzeichnen. Damit wird ein bedeutendes Thema der israelitischen Rechts- und Religionsgeschichte näher beleuchtet.
Nach einer allgemeinen Einführung, einem Überblick zur Forschungsgeschichte, die sich vornehmlich mit Einzelaspekten der Thematik beschäftigt, und kurzen Ausführungen zur Methodik der historisch-kritischen Exegese widmet sich der Vf. zunächst verschiedenen altorientalischen Belegen, die eine phänomenologische Entsprechung zum biblischen Jobeljahr aufweisen und die er als Vorläufer (»antecedents«) zu der entsprechenden biblischen Anordnung verstehen möchte. Verschiedene akkadische und babylonische Quellen bezeugen die Institution des andurarum als Schuldenerlass und die Freilassung von Sklaven (s. auch die Institution des misharum oder kiddinutu). Nach der Besprechung von innerbiblischen Belegen wie Ex 21,1–11; Ex 23,10–11 und Dtn 15,1–11 folgen Darlegungen zum »Sitz im Leben« (so der Vf. für die ursprüngliche historische Verortung des Jobeljahranweisung) und zum »Sitz im Buch« von Lev 25 sowie zu den anderen biblischen und frühjüdischen Texten, die im Zusammenhang mit dem Jobeljahr stehen.
Der Vf. reklamiert für die Institution des Jobeljahres in seiner ursprünglichen Form eine vorexilische Herkunft im Stämmeverband des alten Israel. Eine solche Frühdatierung erfolgt einerseits auf Grund einer Frühdatierung des Heiligkeitsgesetzes generell (s. hierzu die sog. Kaufmann-Schule) sowie andererseits auf Grund der inhaltlichen Nähe zu vorderorientalischen Belegen. Das Jobeljahr lässt sich – so der Vf. – am besten im Kontext des frühen tribalen Israel verstehen. Dahinter stand die Konzeption Israels als eines Tempelstaates, dessen Bewohner auf Grund der Exoduserfahrung eine besonders enge Bindung an JHWH hatten. Da in dieser Stammesgesellschaft der Loskauf aus der Sklaverei durch einen Verwandten nicht immer gesichert war, existierte die Instanz des Jo­-b­eljahres, durch die alle Israeliten zu ihrem Clan und ihrem Landbesitz zurückkehren konnten. Die Regelung implizierte gleichsam »eschatologische Obertöne«, da hier ein Zustand der Unabhängigkeit, der Freiheit und der Gleichheit zwischen den Familien anvisiert wurde, der auf Grund des großen Zeitabstands zwischen den Jobeljahren für die meisten Individuen der israelitischen Gesellschaft in weiter Ferne lag. Indizien dafür, dass dieses Gesetz tatsächlich eingehalten wurde, findet der Vf. vor allem im Buch Ezechiel (z. B. Ez 7,12–13; 11,15; 18,8; 22,12 u. ö.). Während es ab der nachexilischen Zeit keine Belege mehr für das Jobeljahr als so­zio-ökonomische Institution gibt, findet bereits in der Exilszeit sowie in der Zeit des Zweiten Tempels eine – nach der Nomenklatur des Vf.s – »ethische Interpretation« des Gebots statt, insofern nun die ethischen Prinzipien, die hinter der Forderung des Jobeljahres standen, in den Vordergrund gestellt werden (Jes 58; 60).
Den weitaus breitesten Raum der Interpretation von Lev 25 in der Literatur der nachexilischen Zeit und der Zeit des Zweiten Tempels nehmen freilich eschatologische Deutungen der entsprechenden Passage ein. Unter völlig veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen konnte die Jobeljahrbestimmung nicht mehr in der Praxis durchgeführt werden. Allerdings galten die alten Gesetze nun als inspiriert und wurden – auf der Basis einer symbolischen oder typologischen Hermeneutik – als Prophetie behandelt. Nun ist das Subjekt nicht mehr der Einzelne, der in Schuldknechtschaft geraten ist, sondern vielmehr das ganze Volk, das vor seinem Gott gesündigt hat, weil es das Gesetz nicht beachtete. Die Zeit der sieben Jahrwochen zwischen den einzelnen Jobeljahren wurde als geheimer Schlüssel verstanden, mit dessen Hilfe man die Zeit bis zum Einbrechen der Erlösung berechnen konnte (Dan 9). Wie im Danielbuch findet sich auch in der Wochenapokalypse (1Hen 93,1–10; 91,11–17) eine am Jobeljahr orientierte Chronologie, die die Weltgeschichte bis zum Eintreffen des Eschatons zu schematisieren versucht. Das Testament Levis teilt die Weltgeschichte in sieben Jubiläen, wobei jedes mit dem Priestertum verbunden wird. Der tiefste Punkt wird im siebten Jubiläum erreicht, dann folgt das Eschaton mit einer messianischen Figur, dem neuen Priester, der Israel führen wird (TestLevi 17,11). Unter den verschiedenen Belegen aus Qumran (s. 4Q463; 6Q12; 11QMelchizedek und 4Q383–391) stellt 11QMelchizedek die komplexeste Auslegung von Lev 25 dar: Melchizedek erscheint als Hohepriester im 10. Jobeljahr, um die Vergebung der Sünden und die Befreiung von der bösen Macht Belials zu proklamieren.
In der Zeit des Zweiten Tempels geschieht damit – ganz allgemein gesprochen – eine Spiritualisierung der Vorstellung; sogar in Qumran, wo generell der Beobachtung des Gebots eine wichtige Rolle eingeräumt wird, finden sich so gut wie keine Hinweise darauf, dass die Bestimmung des Jobeljahres in rechtlicher oder ökonomischer Hinsicht eingehalten wurde. Nun kann die Zeitrechnung der Jubiläen auch mit einer messianischen Rettergestalt verbunden werden. Nicht mehr die Befreiung von konkreten ma­teriellen Schulden steht im Fokus des Interesses, sondern die Befreiung von moralisch-geistlicher Schuld. Weitere Aspekte, die im Hinblick auf die Interpretation von Lev 25 zu nennen sind, sind chronologischer (vgl. das Jubiläenbuch) und kultkalendarischer (s. 4QOtot) Art.
Das Werk des Vf.s, die bislang einzige monographische Untersuchung zum Jobeljahr, eröffnet somit einen weiten Horizont, der von einem Autor allein ein breites Spektrum an Fachkenntnissen abverlangt. Vor diesem Hintergrund ist diese Dissertation ganz generell zu würdigen. Weiterer Diskussion bedarf freilich die These der Verankerung des Jobeljahrgesetzes im vorstaatlichen Israel. Gerade an diesem Punkt ist die grundsätzliche methodische Anfrage zu stellen, ob die Analogien aus der Welt des Alten Orients eine solche These tatsächlich zu tragen vermögen. De facto liegen hier ja völlig andere soziale und politische Verhältnisse vor; außerdem ist der große zeitliche Abstand zwischen den altorientalischen Belegen und dem vorstaatlichen Israel zu bedenken. Die Frage der Frühdatierung der priesterlichen Texte, wie sie in der Kaufmann-Schule erfolgt, ist zudem ja ein weites Feld, das hier nicht aufgearbeitet werden kann. Auch die Belege aus dem Ezechielbuch, die zeigen sollen, dass dieses Gesetz tatsächlich eingehalten wurde, sind letztlich nicht überzeugend, da man eher den Eindruck hat, dass hier andere Bestimmungen des alttestamentlichen Rechts im Hintergrund stehen. In methodischer Hinsicht wäre prinzipiell zu überlegen, ob man nicht beim »Sitz im Buch« einsetzen und dann nach älteren Vorstufen zurückfragen müsste. Diese Anfrage freilich kann den allgemeinen Wert der breiten und materialreichen Studie nicht schmälern, da sie insbesondere für die Literatur und Religionsgeschichte der Zeit des Zweiten Tempels einen wichtigen Beitrag liefert.