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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

785–786

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmid, Hansjörg, Renz, Andreas, Sperber, Jutta, u. Duran Terzi [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2007. 262 S. 8° = Theologisches Forum Christentum – Islam. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7917-2065-4.

Rezensent:

Friedmann Eißler

Der seit einiger Zeit auf vielen Gebieten zu beobachtende und an sich bemerkenswerte ›identity turn‹ hat auch die Dialogkultur ergriffen. Das »Theologische Forum Christentum – Islam« der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, das in beispielhafter und in seiner Art einmaliger Weise akademische Fachleute ebenso wie kirchliche und kommunale Akteure zusammenführt und dessen Initiatoren die drei erstgenannten Herausgeber sind, greift das komplexe Thema auf, welches die ›Grenze‹ als konstitutiv für jegliche Identität, als Kontaktstelle für alles ›Angrenzende‹ und damit als Bedingung der Möglichkeit für wirkliche Begegnung in den Blick nimmt.
Der Konferenzband enthält kein Sammelsurium, er spiegelt vielmehr die gelungene Struktur der Tagung 2006 in jeweils von Christen und Muslimen im Wechsel geführter Rede und Erwiderung sowie zusätzlichen Beobachterberichten wider. Neben der Einführung und dem Schlussteil (Neue Perspektiven für die Verhältnisbestimmung von Islam und Christentum) sind die drei Hauptvorträge (J. Waardenburg, M. Kalisch, O. Schumann) und die drei Panels (II. Koranische und biblische Abgrenzungen und ihre Wirkungsgeschichte – III. Die Kreuzzüge und ihre Rezeption – IV. Fundamentalistische Abgrenzungsdiskurse) mit den entsprechenden Impulsreferaten sowie den jeweiligen Responsen enthalten, abgerundet durch eine knappe Autorenvorstellung.
J. Waardenburg (21–40) hebt in der ihm eigenen empathischen Sensibilität für die Identität des Gegenübers die Wechselwirkung von »Selbstsicht und Sicht des Anderen« hervor (altérité). Die Haltung der Offenheit, die gegenüber dem Rückzug in die eigene Festung sicherlich anstrengender, jedoch unabdingbar für die Bewältigung gemeinsamer Aufgaben ist, erfordert an erster Stelle eine Klärung und Veränderung der eigenen Selbstsicht. Aus Sicht des ersten Lehrstuhlinhabers für Religion des Islam im Münsteraner Zentrum für Religiöse Studien, Muhammad Kalisch, sind zwei Aussagenbereiche »abgrenzungstauglich« (52–65): Muhammad als der Letzte der Propheten sowie der Koran als die letzt(gültig)e Offenbarung Gottes. In seinem Referat zeigt Kalisch das Spektrum von der traditionellen exklusiven Interpretation bis zur These vom Islam als einer religionsübergreifenden spirituellen Haltung (Sayyid A. Khan) auf und plädiert anhand einer Reihe von instruktiven Beispielen für eine durchaus traditionskonforme, zugleich jedoch die historische Dimension der Offenbarung angemessen berück­sichtigende Hermeneutik der Religion(en) und des Dialogs. Eine solche Hermeneutik interpretiert dezidiert kontextuell, sowohl was die Ur-Kunde (Koran) angeht als auch in Bezug auf die heutige Situation.
An christliche Abgrenzungsdiskurse erinnert kenntnisreich, wenn auch stark auf die historischen Konstellationen konzentriert, Olaf Schumann (73–99). Stefan Schreiner (119–138) bereichert und vertieft in seiner Analyse der frühen antiislamischen Polemik diese Perspektive um detaillierte Einsichten in die Überlagerungen mit jüdisch-apokalyptischen und immer virulenten christlich-antijüdischen Tendenzen.
In seinem Beitrag zu den koranischen Grundlagen der Ausgrenzung von Christen markiert Ömer Özsoy (107–118) wichtige hermeneutische Entscheidungen (konsequente Rückbindung der ko­ranischen »Sprechakte« an die jeweilige geschichtlich-konkrete Situation) und exegetische Orientierungen (die semantische Weitung von kufr als ›Undankbarkeit‹ – was Muslime einschließen könnte – und von islām als ›Ergebenheit Gott gegenüber‹ auch jenseits des ›Muslim-Seins‹ – was wiederum Nichtmuslime einschließen könnte), um dann umso überraschender mit dem Aufruf Q 3,65 als Aufforderung (nur) an die christlichen Kirchen zu enden, den Weg »der Neubestimmung des Verhältnisses zum Islam« fortzusetzen. Auch A. Takīms Umdeutung der Auffassung der Religion als ›Zeichensystem‹ von einem differenziert semiotischen zu einem konkret-theologischen Zugang (von āya = Zeichen/Koranvers her) legt nahe, dass der Koran keine Abgrenzung kenne, wenn nur Christen (und Juden) »die Haltungen (z. B. Trinität), Praktiken und Interpretationen« korrigieren und »ihre eigenen Schriften richtig praktizieren« (41–51). Von einer ganz anderen Seite her beleuchtet der zusätzlich aufgenommene Aufsatz B. Ucars die Identitätskonstruktion im Lichte einer nicht nur politisch, sondern auch theologisch ebenso brisanten wie aktuellen Frage: der in der Scharia vorgesehenen Todesstrafe für Apostaten (227–244) – bleibt allerdings bis auf eine vorsichtige persönliche Distanzierung rein deskriptiv.
Erscheint so die Asymmetrie der Identitätsbeschreibungen im Dialog vorerst recht stabil, so ist der gemeinsame Weg doch vorgezeichnet und mit offener Gesprächsbereitschaft und gemeinsamem Engagement beschritten. Diese Rezension kann nur in Auswahl und ansatzweise auf die Fülle der Anregungen und konstruktiven Impulse hinweisen, die der Sammelband bereithält. Die vor uns liegende Aufgabe aber bringt am Ende der orthodoxe Theo-loge A. E. Kattan mit seinen »Überlegungen zu einer weniger abgrenzenden Identitätsbestimmung« auf den Punkt (245–253). Der ›ursprüngliche Gewaltmechanismus‹ (R. Girard), der ein desto stärkeres Gewaltpotential entfaltet, je näher sich die Rivalen stehen, kann nur außer Kraft gesetzt werden, so die These, wenn der Charakter der eigenen Religion in jedem Punkt als ›kreative Synthese‹ erkannt und anerkannt wird. ›Dynamische Identität‹ lautet das Stichwort, mit dem der Abschied von starren Konkurrenzverhältnissen einzuleiten wäre, ohne die fundamentaltheologische Konkurrenzsituation zu verharmlosen. Kattan hat die Perspektive mit der schönen Wendung von der ›Treue im Werden‹ freigelegt. Jenseits von Harmonisierung und Verabsolutierung wäre damit zu erarbeiten, was sich in Zukunft für das gemeinsame Leben und Handeln als tragfähig erweist. In der Treue zum eigenen Glauben muss Offenheit und Wandlungsfähigkeit zum Neuen sich dort zeigen, wo die Begegnung stattfindet: an den Grenzen.