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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

780–783

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Deegalle, Mahinda [Ed.]

Titel/Untertitel:

Buddhism, Conflict and Violence in Modern Sri Lanka.

Verlag:

London-New York: Routledge 2006. XV, 277 S. gr. 8°. Geb. US$ 75,00. ISBN 0-415-35920-1.

Rezensent:

Perry Schmidt-Leukel

Der Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen hat in Sri Lanka seit 1983 nach verbreiteten Schätzungen knapp 70000 Menschenleben gefordert. Etwa 18 % der srilankischen Bevölkerung sind Tamilen und 74 % Singhalesen. Die überwältigende Mehrzahl der Sin-ghalesen gehört dem Theravāda-Buddhismus an, die meisten Tamilen sind Hindus. Hinduismus und Buddhismus genießen im Westen den Ruf ausgeprägter Friedfertigkeit. Dies wirft zwangsläufig die Frage nach ihrer Rolle im tamilisch-singhalesischen Konflikt auf. Der vorliegende Band geht dieser Frage im Hinblick auf den Buddhismus nach.
Im Vorfeld des mit Hilfe norwegischer Vermittlung erreichten (inzwischen mehrfach gebrochenen) Waffenstillstands vom Februar 2002 bat die Buddhistische Vereinigung Norwegens die »Britische Gesellschaft für buddhistische Studien« (United Kingdom Association for Buddhist Studies, UKABS) um die Organisation einer Konferenz zum Thema »Buddhismus und Konflikt in Sri Lanka«. Diese fand im Juni 2002 an der University of Bath Spa statt, unter hoher Beteiligung britischer, srilankischer und amerikanischer Gelehrter sowie weiterer Experten aus Deutschland, Schweden und Dänemark. Bei acht der insgesamt 14 Beiträge dieses Bandes (Palihawadana, Premasiri, Schalk, Veluppillai, Obeyesekere, Gunawardana, Tilakaratne, Bond) handelt es sich um überarbeitete Fassungen von Vorträgen dieser Konferenz, die restlichen sechs (Gombrich, Holt, Wickkremeratne, Smith, de Silva, Deegalle) wurden nach den Worten des Herausgebers hinzugefügt, um das Spektrum der Perspektiven zu erweitern (vgl. 11). Aus der Sicht des Rezensenten ist dies jedoch nur bedingt der Fall. So findet sich zum Beispiel unter den 15 Autoren lediglich ein einziger Tamile, A. Veluppillai, dessen Analyse des Konflikts sich denn auch merklich von der Mehrheitsauffassung der anderen Autoren unterscheidet. Während diese (mit wenigen Ausnahmen) darum bemüht sind, eine kausale Mitwirkung des Buddhismus an diesem Konflikt zu bestreiten, analysiert Veluppillai den Konflikt als eine buddhistisch-tamilische Auseinandersetzung. Eine seiner Hauptursachen sieht Veluppillai in der von singhalesischer Seite für den Bud-dhismus beanspruchten Vormachtstellung, die seit 1972 auch in der Verfassung festgeschrieben ist: »It is divisive clauses like this that lead to perpetual conflict in a multilingual and multireligious society« (95).
Zwei Gegenpositionen hierzu finden sich am deutlichsten in den Beiträgen des Herausgebers Mahinda Deegalle (in seiner Introduction und seinem Kapitel über die Rolle der neugegründeten buddhistischen Mönchspartei: JHU politics for peace and a righteo-us state, 233–251) und des emeritierten Oxford-Professors Richard Gombrich (Is the Sri Lankan war a Buddhist fundamentalism?, 22–37). Deegalle, buddhistischer Mönch und Senior Lecturer an der Bath Spa University, beschreibt die politische Agenda der JHU (Jathika Hela Urumaya – National Sinhala Heritage Party) mit offener Sympathie und kennzeichnet diese ohne erkennbare Reserven als Beitrag zum Frieden. Dies ist ausgesprochen irritierend, denn was hier als »Friedenspolitik« charakterisiert wird, entspricht ge­nau dem, was Veluppillai als eine der Ursachen für die Fortdauer des Konflikts anspricht. Deegalle macht völlig klar, dass die höchste Priorität der JHU in der Errichtung eines »buddhistischen Staates« besteht (243) und dass sie diesen zugleich als einen »sin­ghalesischen Staat« definiert, der keine Abspaltung zulassen darf (vgl. 246 f.). Die Rechtfertigung dieser Agenda liegt für Deegalle darin, dass Bud-dhisten in der gegenwärtigen Lage Sri Lankas mit Recht eine Bedrohung für das zukünftige Überleben des Buddhismus erkennen könnten (vgl. 251). Diese Bedrohung kommt für Deegalle (wie für die JHU) nicht allein vom tamilischen Separatismus, sondern auch von der missionarischen Aktivität diverser christlich-evangelikaler Gruppen (nicht selten verquickt mit christlich-ka­rita­tiven Organisationen), so dass Deegalle auch aus seiner Sym­pathie für die von der JHU betriebenen Kampagne zur Einführung einer Anti-Konversions-Gesetzgebung keinen Hehl macht. Wie etliche Buddhisten Sri Lankas (siehe die entsprechende Bemerkung bei Premasiri, 79) scheint im Übrigen auch Deegalle einen Zusammenhang zwischen christlichen Aktivitäten und tamilischem Separatismus zu sehen (vgl. 13.18 u. 21, Anm. 21). Mit dieser Rechtfertigung der JHU- Politik bestätigt Deegalle jedoch (wenn auch ungewollt) letztendlich die Analyse Veluppillais, nur mit dem Unterschied, dass Deegalle anscheinend das mit dem Insistieren auf einem ungeteilten buddhistisch-singhalesischen Staat verbundene und von Veluppillai so klar konstatierte Konfliktpotential ig­noriert.
Auch Gombrichs Auffassung steht im Gegensatz zu Veluppillais These von einem buddhistisch-tamilischen Konflikt. Gombrich vertritt hier die These, dass nicht der Buddhismus, wohl aber Bud-dhisten eine Mitverantwortung für den Konflikt tragen (vgl. bes. 22–30). Dies verblüfft und schmeckt nach billiger Apologetik (wie man sie nur zu gut aus der Frage nach der christlichen Verantwortung für diverse Gräuel kennt, die man dann ebenfalls Christen, nicht aber dem Christentum zuschreibt). Denn Gombrich räumt unumwunden ein, dass die buddhistische Tradition de facto alles andere als gewaltfrei war, und bringt den innerbuddhistischen Begründungsmechanismus klar auf den Punkt: »The historian ... must recognise that the idea that the ends may justify the means, and the further idea that the preservation of Buddhism is a su-premely worthwhile end, are both quite widely found in the Buddhist tradition« (31). Ist es dann aber ein überzeugendes Postulat, wie Gombrich anzunehmen scheint, dass Buddhisten darin permanent dem Buddhismus widersprachen? Ist ein solcher »Buddhismus« nicht ein abstraktes Konstrukt? Die Antwort darauf hängt von der grundsätzlichen Frage nach der Stellung des Buddhismus zur politischen Gewalt ab.
Diese Frage wird in zahlreichen Beiträgen gestreift und zentral behandelt bei Palihawadana (67–77) und Premasiri (78–85). Allerdings konzentrieren sich beide Beiträge nach Auffassung des Rezensenten zu einseitig auf die klassisch buddhistisch-doktrinäre Analyse von Gewalt und ihren Ursachen, als dass sie der hier mindestens ebenso relevanten Frage nachgehen, welche Vorstellungen von politischer Gewaltausübung die Theravāda-buddhistische Tradition im Zusammenhang mit dem Konzept einer dharma-gemäßen Königsherrschaft (dharmarājya) entwickelt hat (vgl. hierzu beispielsweise S. Collins, Nirvāna and other Buddhist felicities, 1998, 414–496). Wenn man sogar so weit geht, wie es Premasiri und Deegalle tun, und bestreitet (freilich nur mit einem Teil der bud-dhistischen Tradition), dass es aus buddhistischer Sicht so etwas wie einen »gerechten Krieg« geben kann, dann bleibt die ganze Frage nach der ethischen Unterscheidung zwischen gerechtfertigter und ungerechtfertigter Gewalt unbeantwortet. Premasiri räumt ein, dass »the large majority, who are engaged in mundane affairs, al-though they may be devout Buddhists, and maybe to a high degree righteous people ..., are sometimes compelled to fight wars« (85). Doch wie soll dann noch – auf buddhistischer Grundlage – zu klären sein, wann, unter welchen Umständen und in welcher Weise diesem »Zwang« entsprochen werden darf und wann nicht, wenn man sich von vornherein jeglicher Reflexion über gerechtfertigte und ungerechtfertigte Formen der Gewaltanwendung versperrt? Das Beschwören buddhistischer Gewaltlosigkeit verkommt dann allzu leicht zu einem Waschen der eigenen Hände in Unschuld, wobei man die schmutzige Arbeit, mit offener oder stillschweigender Billigung, den Politikern und ihren Armeen überlässt. Ohne viel Federlesen, also ohne weitere Diskussion, wird dann eben auch aus buddhistischer Sicht, wie etwa im zweiten der zwölf politischen Grundsätze der JHU, die Verteidigung der nationalen Sicherheit den bewaffneten Kräften anheimgestellt (vgl. 247).
Gombrichs Urteil, dass aus historischer Sicht die Bewahrung/ Verteidigung des Buddhismus gegen vermeintliche oder echte Be­drohungen als das höchste Ziel zur Rechtfertigung auch gewaltsamer Mittel galt, ist in jedem Fall beizupflichten. Und dieser Begründungsmechanismus spielt auch in dem gegenwärtigen Konflikt eine zentrale Rolle. Die aus der Sicht des Rezensenten besten und lehrreichsten Beiträge dieses Bandes sind jene, die sich mit genau diesem Problem im Hinblick auf sowohl die historischen Wurzeln des Konflikts, als auch die Möglichkeiten seiner zukünftigen Überwindung befassen. So gehen P. Schalk und J. Holt (und bedingt A. Wickremeratne) der Frage nach, wie und warum sich in Sri Lanka ein buddhistischer Nationalismus entwickeln konnte – eine Frage, die dann vor allem bei G. Obeyesekere bis in das 19. und 20. Jh. hinein weiter verfolgt wird. Allerdings findet, abgesehen von einigen ausgesprochen relevanten Informationen bei Holt und Schalk, die religiöse Spannung zwischen Buddhismus und Hinduismus zu wenig Beachtung und niemand in diesem Buch analysiert deren indische Vor- und Hintergrundsgeschichte. In einigen der auf zukünftige Lösungsmöglichkeiten des Konflikts ausgerichteten Beiträge (B. Smith, R. Gunawardane, C. de Silva, G. Bond) wird jedoch sehr klar herausgestellt, dass die Frage nach der Friedensfähigkeit des Buddhismus im Horizont Sri Lankas nicht so sehr davon abhängt, ob dieser in seiner klassischen Lehre dem Ideal der Gewaltlosigkeit beipflichtet, sondern vielmehr davon, ob er sich hier (d. h. in Sri Lanka) und heute als Pluralismus-freundliche und Demokratie-fähige Religion zu verstehen vermag. Genau dies aber widerspricht dem klassischen Konzept, wonach Sri Lanka rechtmäßig nur von singhalesischen Buddhisten regiert werden darf. Es ist schon erstaunlich, dass ein Gelehrter vom Schlag Richard Gombrichs seinen Beitrag mit der Feststellung zu beginnen vermag, »Sri Lanka is a secular state whose constitution recognizes Buddhism as the foremost religion while recognizing the equality of other religions«, ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf die darin enthaltenen Inkonsistenzen einzugehen. Wie kann ein »säkularer Staat« einer bestimmten Religion verfassungsmäßigen Vorrang geben und wie kann es unter solchen Umständen Gleichheit der Religionen geben? Gunawardana bringt die Herausforderung auf den Punkt, wenn er schreibt: »The present crisis has made perceptive Sri Lankans aware of, perhaps more acut-ely than at any previous time in their recent history, the inadequacies of the structure of the state in Sri Lanka, and the dire need to radically restructure it, in fact to reinvent it, firmly and persuasively based on democratic ideals, and in a manner that would make it more responsive to the aspirations of the diverse peoples inhabiting the island« (185).
Was die Fähigkeit des Buddhismus zur Wertschätzung religiöser Vielfalt betrifft, so werden die gegensätzlichen Tendenzen überdeutlich, wenn man die von Deegalle zitierte Auffassung der JHU mit dem bewusst interreligiös ansetzenden Friedenskonzept der Sarvōdaya-Bewegung vergleicht. Für die buddhistische JHU gilt: »The supreme teaching in the world is, indeed, what the Buddha preached ...« (242), und dementsprechend wird dann die Notwendigkeit empfunden, den Buddhismus auf Sri Lanka, zur Not auch mit Gewalt, gegen andere, als Bedrohung wahrgenommene Kräfte zu verteidigen. Demgegenüber beruhen, wie G. Bond in seinem Beitrag zeigt, die zahlreichen eindrucksvollen Friedensbemühungen von Sarvōdaya – einer von Gandhis Ideen und buddhistischen Motiven inspirierten Bewegung – auf dem Glauben an eine tiefere spirituelle Einheit aller Religionen (vgl. 228). Vieles in diesem Band deutet darauf hin, dass die Antwort auf die Frage, ob der Buddhismus Sri Lankas weiterhin zur Verschärfung oder zur Überwindung des singhalesisch-tamilischen Konflikts beitragen wird, von seiner Pluralismus-Fähigkeit abhängt, die entgegen einem verbreiteten Vorurteil alles andere als eindeutig ist. Trotz mancher Einseitig- und Kurzsichtigkeiten ist dieser Band somit eine erhellende Pflichtlektüre für alle, die sich – aus welchen Gründen auch immer – ernsthaft mit der politischen Realität des Buddhismus befassen.