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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

270–272

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Peterse, Hans

Titel/Untertitel:

Jacobus Hoogstraeten gegen Johannes Reuchlin. Ein Beitrag zur Geschichte des Antijudaismus im 16. Jahrhundert.

Verlag:

Mainz: von Zabern 1995. VIII, 195 S. gr 8° = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, 165. Pp. DM 68,­. ISBN 3-8053-1794-8.

Rezensent:

Günter Mayer

Den der Substitutionstheorie, daß nämlich die Kirche das Erbe des verstockten Israel angetreten habe, verpflichteten Theologen war die weitere Existenz des Judentums ein Stein des Anstoßes. Als eine der Ursachen für diese Treue zur Tradition der Väter machte man den (Babylonischen) Talmud aus, sicher mehr intuitiv als bewußt, denn nur wenige kannten dieses Werk aus eigener Anschauung, und das waren in der Regel Konvertiten; selbst der gelehrte Johannes Reuchlin mußte bekennen, daß [ich] "kain vertstentnus des thalmuds hab/ dan allain uß unßern buechlen, die wider sie [sc. die Juden] geschriben synd." So nimmt es nicht wunder, daß der (Babylonische) Talmud sich nicht nur in der antijüdischen Polemik einen festen Platz gesichert, sondern immer wieder auch zu den Textbestand verletzenden Manipulationen bis hin zu Vernichtungsversuchen gereizt hat. Vom Walten der Antichristliches witternden Zensur, der man jüdischerseits durch eigene Eingriffe auch vorzubeugen trachtete, bis tief ins 19. Jh. zeugt etwa der Stempel des zaristischen Zensors in Talmudbänden aus dem Bestand der Mainzer Jüdischen Bibliothek. Einen der verheerendsten Angriffe initiierte Nikolaus Donin von La Rochelle. Er gipfelte 1252 in der Verbrennung von 24 Wagenladungen jüdischer Bücher in Paris auf Anordnung Ludwigs IX. des Heiligen. Das Klagelied Rabbi Meirs von Rothenburg auf diesen Schreckenstag ist noch heute Bestandteil der Liturgie des 9. Av.

Nicht ganz drei Jahrhunderte später, 1509, gelang es dem von den Kölner Dominikanern geförderten Johannes Pfefferkorn, der schon mit verschiedenen Attacken, vor allem auf den Talmud, hervorgetreten war, Maximilian I. für eine gegen die jüdische Traditionsliteratur gerichtete Aktion zu gewinnen. Zu den nach Protesten im Auftrag des Kaisers vom Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen berufenen Gutachtern waren von besonderem Gewicht der Kölner Dominikanerprior und päpstliche Inquisitor für die Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier Jacobus Hoogstraeten und der württembergische Jurist, Humanist und Verfasser eines Lehrbuchs der hebräischen Sprache, Johannes Reuchlin.

Während Hoogstraeten sich in seinem Gutachten für die Beschlagnahme und die Vernichtung aussprach, da der Talmud sowohl nach dem Zeugnis christlicher Gelehrter als auch nach eigens veranlaßten Untersuchungen zahlreiche Schmähungen und Irrtümer enthalte, und gleichzeitig vor den negativen Auswirkungen warnte, wenn den Juden die bereits eingezogenen Exemplare zurückerstattet würden, billigte Reuchlin in seinem zunächst vertraulichen, dann aber 1511 in seinem Augenspiegel veröffentlichten Gutachten den Juden den Status kaiserlicher Untertanen und dementsprechenden Rechtsschutz zu. Über juristische Argumentation hinaus wies er auf die Bedeutung der jüdischen Literatur für die Bestätigung der christlichen Wahrheit hin und riet von der Vernichtung des Talmuds ab. Als sich Pfefferkorn nicht damit abfand, daß der Kaiser die Angelegenheit dilatorisch behandelte, nachdem ihm von Gemmingen die Gutachten übermittelt hatte, und Reuchlin zwang, sich zur Wehr zu setzen, war der Grund gelegt für die Sache Jacobus Hoogstraeten gegen Johannes Reuchlin, der Hans Peterse in seiner sieben Kapitel umfassenden, von einer Einleitung, einer Zusammenfassung nebst drei Anhängen gerahmten Untersuchung nachgeht.

Auf die Initiative Hoogstraetens hin leitete die Kölner Theologische Fakultät eine Untersuchung in die Wege, die mit der Verurteilung des Augenspiegels, freilich noch ohne Konsequenzen, enden sollte, obwohl Maximilian zugunsten der Kölner in den Streit eingegriffen und den Verkauf sowohl des Augenspiegel als auch der lateinisch gehaltenen Defensio verboten hatte (Kap. I).

Um die Verbrennung des Augenspiegels zu erzwingen, lud 1513 Hoogstraeten Reuchlin vor das Mainzer Inquisitionsgericht. Zu einem Urteil kam es indes nicht. Da das Domkapitel ein solches verhindern wollte und auch Gemmingen sich auf die Seite Reuchlins gestellt hatte, verzichtete Hoogstraeten auf die Fortführung des Prozesses. Allerdings reagierte nun der Papst, Leo X., auf Reuchlins Berufung, so daß es im folgenden Jahr in Speyer unter der Verantwortung des dortigen Bischofs zu einem neuen, diesmal als Parteienverfahren geführten, Prozeß kam, dessen Urteil Reuchlin in jeder Hinsicht rehabilitierte. Es deutete sich aber auch schon an, daß die Sache damit noch nicht ausgestanden war (Kap. II).

Um eine Entscheidung wand sich der Papst, den jetzt Hoogstraeten angerufen hatte, herum, indem er (1516) einerseits der eingesetzten Kommission die Bekanntmachung ihrer Mehrheitsmeinung erlaubte, daß die Anklage Reuchlins trotz des anderslautenden Gutachtens der Pariser Theologischen Fakultät der Grundlage entbehre, andererseits jedoch den Prozeß auf unbestimmte Zeit aussetzte. Die Humanisten, die sich anfänglich recht bedeckt hielten, traten mit der Dauer der Auseinandersetzung immer mehr für Reuchlin ein. Hutten und Rubeanus ließen mit den Dunkelmännerbriefen jede Zurückhaltung fallen (Kap. III)

Unter dem gelehrten Echo ragte, auch wegen ihrer durchaus eigenständigen Positionen, die Defensio des Georgius Benignus hervor, auf die Hoogstraeten l518 mit einer Apologia antwortete, die Unterschiede zu Reuchlin geschickt für einen Spaltungsversuch ausnutzend. Den Reaktionen von Reuchlins Anhängern begegnete Hoogstraeten 1519 mit einer Apologia secunda, die aber auf kein sonderliches Interesse mehr stieß (Kap. IV).

Im folgenden Kapitel hält der Vf. in der Darstellung der Ereignisse inne, um das Argumentationsrepertoire (vor allem Hoogstraetens) und seine Herkunft zu analysieren. Wie oben schon angedeutet, konnte keiner der beiden Kontrahenten seine Aussagen über den Talmud auf eigenes Studium gründen. Was die rechtliche Seite betrifft, verharrte Hoogstraeten in der "klassischen" kirchlichen Lehre, wie sie unter den Päpsten Innozenz III., Gregor IX. und Innozenz IV. entwickelt worden war, wonach dem Papst die Jurisdiktion auch über die Juden zustehe (Kap. V). Der Vf. lenkt dann die Aufmerksamkeit auf ein weiteres Feld, auf dem sich die Auseinandersetzung Hoogstraeten-Reuchlin abspielte: die Kabbala. 1519 versuchte Hoogstraeten, mit einer Destructio Cabale Reuchlins De arte cabalistica von 1517 als häretisch zu brandmarken, ein Vorhaben, dem Paulus Ricius, der Leibarzt Kaiser Maximilians I., mit seiner allerdings erst 1523 veröffentlichten ApologeticaŠOratio entgegentrat (Kap. VI).

Als dann 1520 Leo X. entgegen dem bisherigen Verlauf der Auseinandersetzung und trotz dem zwischen Eberhard von Kleve und Franz von Sickingen geschlossenen Vergleich den Augenspiegel verurteilte, war Reuchlin der neuen kirchenpolitischen Lage zum Opfer gefallen. Nach Luthers Auftreten wollte der Papst die katholischen Reihen zusammenhalten (Kap. VII). "Hoogstraeten, der im Mai 1520 von seinem Orden von seinen Funktionen als Inquisitor und Prior suspendiert worden war, wurde auf Veranlassung des Papstes wieder in seine Ämter eingesetzt. Obwohl er so am Ende äußerlich betrachtet wenig Erfolg hatte, ging Reuchlin als der moralische Sieger aus der Kontroverse hervor" (150).

Peterses Buch entspricht fast allen Erwartungen, die ein Rez., wohl auch der interessierte Leser, hegen darf, sowohl, was die äußere Form als auch, was die Darstellung und den Umgang mit den Quellen betrifft. Kritikpunkte fallen ausschließlich ins Gebiet der Judaistik.

Auch wenn diverse deutsche Wörterbücher dem "Traktat" das sächliche Geschlecht einräumen, so klingt "das talmudische Traktat" doch recht wundersam. Die Mischna ist keineswegs "das Lehrbuch, in dem die Auslegung der Bibel und des mündlichen Gesetzes festgeschrieben wurde" (3 Anm. 8). Offensichtlich kommt der Vf. mit der Mehrdeutigkeit der Terminologie nicht ganz zurecht (vgl. das S. 119 f. zu "Kabbala" Gesagte). Dies ist keineswegs als mäkelnde Kritik gemeint, sondern dient lediglich der Demonstration der Schwierigkeiten, in die der interdisziplinär Arbeitende geraten kann.