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Ausgabe:

Juli/August/2008

Spalte:

743–760

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Jörg Frey

Titel/Untertitel:

Grundfragen der Johannesinterpretationim Spektrum neuerer Gesamtdarstellungen

Das seit jeher als ›ganz anders‹ und rätselhaft empfundene vierte Evangelium1 hält die Forschung in Atem: Johannes hat Konjunktur, zumindest auf dem Feld der Produktion von Aufsätzen, Monographien und Kommentaren. Der rege Diskurs ist jedoch weniger durch eine vermehrte oder vertiefte Auswertung antiker Quellen oder eine präzisere historisch-philologische Erfassung des Textes veranlasst als durch die Pluralität vielfältiger, ›postmodern‹ nebeneinander praktizierter und oft kaum miteinander interagierender Methoden und Lektüremodelle. 2 Viele Dissertationen und Monographien beschränken sich aus Raum- und Zeitgründen auf die Erörterung von stark eingegrenzten Themen und gelangen selten zu einer valide begründeten Gesamtperspektive für die Interpretation des vierten Evangeliums, und die Flut der Kommentare ›for teachers and preachers‹ ragt selten über ein ›medium level‹ hinaus.3

1. Das Spektrum der Forschung


Immerhin sind jedoch in den letzten Jahren eine Reihe größerer Kommentare und Gesamtdarstellungen zum Johannesevangelium erschienen, die es erlauben, von dem durch sie abgedeckten Spektrum­ ausgehend wesentliche Grundfragen der Johannesinterpretation zu thematisieren. Zu nennen sind hier zunächst die umfangreichen Kommentare von Craig S. Keener4, Andreas Kös­tenberger5, Andrew Lincoln6, Helge Kjaer Nielsen7 und Jean Zumstein8 sowie – lange vorbereitet und nun flankiert durch zusätzliche »Parerga und Paralipomena« – von Hartwig Thyen9, sodann die durch F. J. Moloney postum besorgte Herausgabe der neugefassten Einleitung in das Joh von Raymond E. Brown10 und die in je eigener Weise zusammenfassenden Gesamtdarstellungen von Jürgen Be­-cker11, Ulrich Busse12 und Robert Kysar13.

Unterschiedliche Enden des Auslegungsspektrums repräsentieren kühne literarkritische Versuche von Reinhard Nordsieck14 und Folker Siegert15 sowie Arbeiten mit dem erkennbar neokonservativen Interesse, die ›Historizität‹ des Joh mit unterschiedlichen Mitteln zu ›retten‹ und das vierte Evangelium wieder als Quelle der Geschichte des ›historischen‹ Jesus zu etablieren, von Craig Blomberg16 und Paul Anderson17 bis zum Jesusbuch des Papstes18, der gleichfalls den historischen Wert des Joh und die Augenzeugenschaft des Zebedaiden beibehalten will.19

Zu beachten sind daneben eine größere Zahl umfassenderer Monographien und Sammelbände zu zentralen Texten und wichtigen Einzelthemen der Johannesforschung wie der Bildersprache des Textes,20 seiner textlichen Didaktik oder ›Mystagogie‹21, zu einzelnen literarischen Gattungen und ihrer rhetorischen Wirkung,22 zur Rede von Gott,23 zum Bild der Juden,24 zur joh Soteriologie und Ekklesiologie,25 zur religionsgeschichtlichen Kontextualisierung,26 zur nach wie vor strittigen Beziehung zu den Synoptikern,27 zur soziologischen Einordnung der joh Gemeinde28 und zur frühesten Rezeptions- und Wirkungsgeschichte29 sowie Sammelbände zum gesamten Spektrum der Johannesauslegung.30

Dass das εὐαγγέλιον πνευματικόν auch immer Ausleger jenseits des fach­exegetischen Spektrums fasziniert, zeigt sich nicht nur bei Ratzinger, sondern auch in der großen Zahl von meditativ oder praktisch31 ausgerichteten Auslegungen wie etwa der voluminösen, aber stark redundanten meditativ-predigthaften Auslegung Eugen Drewermanns,32 der die Exegese völlig seinem aktualisierenden Interesse unterordnet und mit Hilfe des Joh die ›unbedingte Alternative‹ zwischen Angst und Vertrauen vermitteln will. Dass dieser jeder Angst entgegengesetzte ›menschliche‹ Jesus dem joh Christusbild nur partiell entspricht und dass auch die verallgemeinernde Übertragung der Rede von den »Juden« als »Gottesbesitzern« (I,7) unkontrolliert antijüdisch-polemische Klischees be­dient, stört den Autor in seinem therapeutischen Interesse wenig. Schon die teils sklavisch wörtliche, bewusst semitisierende, teils unbegründet freie Übersetzung kann philologischen Kriterien nicht genügen. Aber da das mediale ›Phänomen Drewermann‹ seinen Zenit schon in den 90er Jahren überschritten hat, ist der exegetische Diskurs hier nicht mehr im Detail zu führen.

Die Auslegungen am Rande bzw. jenseits des fachexegetischen Spektrums reichen von einem (angesichts der Wirkungsgeschichte hochinteressanten) philosophischen Kommentar, dessen Autor es allerdings den alten Literarkritikern gleichtut und den joh Text nach Maßgabe der Logik ordnen möchte,33 über eine Ausgabe in kolometrischer Übersetzung34 und eine Kommentierung unter der Annahme, das Joh sei das Poem eines Augen- und Ohrenzeugen, der hebräisch gedacht und aramäisch gesprochen hat,35 bis zu vielerlei esoterischen Auslegungen, die die bleibende Faszination des Joh zeigen.

Sofern man neueren Arbeiten einen Trend der Forschung entnehmen kann, sollen hier zwei Tendenzen benannt werden. Zum einen zeigt sich nach einer Forschungsphase, in der (insbesondere seit den Qumran-Funden) der jüdische Charakter des Evangeliums und seine Auseinandersetzung mit dem Judentum besonders betont wurden,36 eine leicht gegenläufige Tendenz, in der nun auch die Anknüpfung an Formen und Motive der griechisch-römischen Welt wieder verstärkt Beachtung findet, ohne dass dadurch die Verwurzelung in der frühjüdischen Tradition geleugnet würde.37 Eine einseitige Bestimmung des religionsgeschichtlichen Kontextes erscheint zunehmend inadäquat.38

Ein zweiter, noch deutlicherer Forschungstrend zeigt sich – von Ausnahmen abgesehen – in einer verstärkten Skepsis gegenüber zu selbstsicheren entstehungsgeschichtlichen Hypothesenbildungen. Mit der Wende zur synchronen Interpretation, die z. B. in den Arbeiten von Brown/Moloney, Busse und – besonders eindrücklich – Thyen erkennbar ist, verbindet sich jedoch die Gefahr einer neuen Einseitigkeit, welche die historischen Fragen allzu leicht auf sich beruhen lässt. Dieses spannungsreiche Verhältnis soll im Folgenden zunächst im Spektrum der Gesamtdarstellungen und dann mit eigenen Perspektiven verfolgt werden.

2. Ältere, neuere und neueste Literarkritik


Dass sich die seit Julius Wellhausen39 praktizierte joh Literarkritik durch die Vielzahl ihrer divergierenden Hypothesen und die Zirkularität zahlreicher eher sachlich als sprachlich zu begründender Scheidungen gehörig diskreditiert hat, ist schon öfter konstatiert worden. Dennoch werden solche Modelle nach wie vor vertreten.

a) Eine ›klassische‹ Darstellung der seit den 1970er Jahren ge­pflegten, theologiegeschichtlich interessierten »neueren Literarkritik« ist Jürgen Beckers »Johanneisches Christentum«. Da es in deutscher Sprache an zusammenfassenden Werken zum joh Denken fehlt,40 ist der erfreulich knappe Band zu begrüßen. B. hat nach seinem früh (1979/81) veröffentlichten Kommentar und weiteren Einzelstudien seine Sicht der joh Gemeinde- und Theologiegeschichte ohne wissenschaftlichen Apparat dargestellt. In der flüssigen Darstellung liegt aber auch die Grenze dieses Werks: Der Leser erfährt nicht, dass das, was B. hier mit argumentativem Charme vermittelt, zwar eine in den 70er und 80er Jahren in Deutschland führende Forschungsposition repräsentiert, mittlerweile aber von vielen neueren Entwicklungen überholt erscheint. B. folgt weithin seiner schon vor 1980 begründeten Sichtweise: Das Interesse ist programmatisch auf die (Theologie-)Geschichte des als separate Traditionslinie erfassten joh Christentums gerichtet. Diese wird zusam­menhängend nachgezeichnet, einschließlich einer gut 70-seitigen Skizze der Theologie des Evangelisten, der für B. der interessanteste Theologe der joh Schule ist. Die Kapitel zur kirchlichen Redaktion und zu den Johannesbriefen sind viel knapper. Hinweise zum Verhältnis des joh Kreises zum Urchristentum schließen den Band ab.

Die texttheoretische Grundvorstellung, die B. zunächst an Texten wie den Patriarchentestamenten gewonnen hatte, ist die einer sukzessive fortgeschriebenen Literatur, die selbst Produkt konfliktreicher Dialoge innerhalb des Trägerkreises der Schule ist und damit zugleich Einblicke in die (Theologie-) Geschichte dieser Schule bzw. der joh Gemeinden erlaubt. Von der relativen Abgeschlossenheit dieser Kreise (spätestens ab einer zweiten Phase) ist B. nach wie vor überzeugt. Er rechnet in Fortschreibung der Thesen Bultmanns mit literarischen Quellen (Logoshymnus, Zeichenquelle, Passionsbericht und mündliche Spruch- und Erzähltraditionen), die der Evangelist in seiner Darstellung verarbeitet hat, sowie einer mehrstufigen Redaktion, die immer noch mit dem (pejorativen) Attribut »kirchlich« bezeichnet wird. Der Evangelist und seine Gemeinde sind von synoptischen Texten unabhängig, 1Joh wird nach dem Werk des Evangelisten, aber vor Joh 21 angesetzt, 2/3Joh noch später. Das Joh wird – wie die werdende Gnosis – in Syrien lokalisiert, die ephesinische Tradition hält B. für sekundär. Der Lieblingsjünger ist ein Konstrukt der Re-daktion.

Das Problem des Ansatzes liegt darin, dass die schöne und facettenreiche Geschichte letztlich doch auf der Validität der literarkritischen Textzuweisung basiert, die B. hier nicht mehr diskutiert und die in der Forschung durch vielerlei Gründe fraglich geworden ist. Gab es die Quellen in der postulierten Form wirklich? War die joh Gemeinde so ›sektenhaft‹ von anderen christlichen Kreisen ab­ge­schlossen, dass sie – wie auch der Evangelist – keine andere Evangelientradition kannte? Eignet sich die dualistische Sprache wirklich als Basis zur Rekonstruktion von Entwicklungen im joh Kreis? All diese Fragen sind in der Forschung intensiv diskutiert worden. 41 Wenn man die Einwände kennt, lässt sich der Apologie der Position B.s wenig Neues entnehmen; wer die Diskussion nicht kennt, bekommt ohne den Hinweis auf abweichende Meinungen eine Konstruktion vermittelt, die in der neueren Forschung deutlich an Plausibilität eingebüßt hat.

b) Die kühne Hypothesenfreude reicht in anderen Arbeiten noch weiter. So hat der Münsteraner Judaist und Neutestamentler Folker Siegert in den Münsteraner Judaistischen Studien den »Erstentwurf des Johannes« rekonstruiert. In Aufnahme der von Julius Wellhausen und anderen festgestellten literarischen »Aporien« und der Arbeiten Robert Fortnas zu einem frühen »Zeichenevangelium« will S. »das Puzzle des Johannesevangeliums neu … legen« (9). Der Entwurf übertrifft an Kühnheit selbst Bultmann. Ein ausgeführter Kommentar soll folgen,42 und man darf gespannt sein, ob die zunächst apodiktisch vorgelegte Rekonstruktion dort noch mehr ins Gespräch mit der Forschung gebracht wird.

Der schmale Band (147 S.) bietet zunächst den »Erstentwurf« mit den »Zutaten« der Herausgeber im Apparat, dann die zusätzlichen Perikopen der Endfassung und eine deutsche Rekonstruktion des »Zeichenevangeliums« nach R. T. Fortna sowie einige knappe Begründungen zum Vorgehen (108–135). Zusammen mit den beiden kleinen Johannesbriefen, die S. als »zwei Briefe des Seniors« voranstellt, will der Band nicht zuletzt die »gesammelten Werke« des Johannes »Senior« bieten, d. h. des ›Presbyters‹, dem S. auch den hier rekonstruierten »Erstentwurf« zu­schreibt.

Ausgangspunkt ist, dass der Prolog ein hohes systematisches Denken erwarten lässt, der folgende Text daher ähnlich konsistent sein müsse – was das vorliegende Joh aber nicht ist. Die bekannten literarischen Ungereimtheiten (110 f.) müssten von »Integristen« auf Fehler des Evangelisten zurückgeführt werden – S. will diesen davon befreien und Epigonen damit belasten. Hinzu kommen die »johanneischen Hässlichkeiten« (111), vor allem gegen­-über den Juden, die eine Unterscheidung der Geister und Stimmen erforderlich machten. Auch in dieser Hinsicht dient die Rekonstruktion der Purgierung des Autors und seines Entwurfs. Die Aufteilung des Stoffs unterscheidet sich von allen bisher bekannten Redaktionshypothesen; zudem rechnet S. mit zahlreichen Textumstellungen durch die Herausgeber. 43 Als Kriterien für die Identifikation der Zusätze (116 f.) gelten u. a. eine manierierte Sprache, Bildvermischungen, »läppische Erklärungen« und Glossen, die kein jüdisches Vorwissen voraussetzen, erzählerisch Unmotiviertes, Zurückbleiben hinter dem joh Reflexionsniveau, Unkenntnis der Realien (z. B. in 11,48), aber nicht zuletzt auch sachlich: pauschale Antijudaismen etc.

Den Entwurf des »Seniors« datiert S. in die Zeit Trajans (vor 117), die Umstellung und Ergänzung des liegen gebliebenen Manuskripts (126) durch mehrere epigonale Hände vielleicht um 130. Wie dieses ›Kollektiv‹ arbeitete, bleibt relativ unklar – S. verweist auf Parallelen in den centones aus Homer-Versen. Das Resultat ist ganz im Stil der meisten joh Literarkritiker: Das überlieferte Werk ist ein epigonales ›Patchwork‹, das ›eigentliche‹ Werk stammt von einem großen Theo­logen, der noch nicht antijüdisch ist, dessen Jesus nicht schreit und schimpft (113), vielmehr sein Gebot der Liebe ohne Hass nach außen entfaltet. Hingegen stammen der typisch joh Dualismus und Pessimismus und vor allem die »johanneischen Hässlichkeiten« (111) nicht von diesem.

S.s Rekonstruktion atmet den Geist der klassischen Konjekturalkritik und spiegelt das ungetrübte Selbstbewusstsein der Forscher­generation um Wellhausen. Die seit 100 Jahren an die joh Literarkritik, ihre Kriterien und insbesondere auch an Umstellungshypothesen gerichteten Fragen stellen sich hier a forteriori. Woher können wir wissen, wie das joh Werk ursprünglich aussehen sollte? Sind die erläuternden Passagen notwendig auch literarisch sekundär? Welche Erzählfolge und -logik ist als genuin anzusehen? Selbst wenn es gelingen sollte, einen ›glatten‹ Text zu (re)-konstruieren, wäre dies noch kein Beweis dafür, dass er vom Autor so intendiert war oder dass er tatsächlich einmal in dieser Form existiert hat. Das Unterfangen bleibt ein Glasperlenspiel, und je nach den zur Geltung gebrachten Kriterien ordnen sich die Stoffe immer wieder neu. An S.s Werk wird leicht nachvollziehbar, warum sich die Johannesforschung in ihrer Mehrheit von derart spekulativen Vorgehensweisen abgewandt hat.

c) Ähnlich spekulativ erscheint der 1998 von Reinhard Nordsieck publizierte Versuch, der auch eine Gesamtlösung des joh Problems anstrebt.

N. setzt bei den Aussagen über den Lieblingsjünger ein, der nach Joh 21,23 mit Recht als eine nicht bloß symbolische, sondern historische Persönlichkeit erfasst wird und der, da der Zebedaide nicht in Frage kommt, auch von N. mit dem bei Papias erwähnten presbyteros, dem ›Alten‹ Johannes verbunden wird. Das Interesse, die Biographie des joh Autors nachzuzeichnen, führt allerdings zu mehreren sehr gewagten Konstruktionen.

Zunächst verbindet N. die joh Verfasserfrage mit dem auferweckten Lazarus, von dem ebenfalls gesagt wird, dass Jesus ihn liebte (Joh 11,3.5.36). Dass im joh Text Lazarus und der ›Jünger, den Jesus liebte‹ unterschieden werden, sei erst auf der Ebene der joh Redaktion durch Einfügung des Namens Lazarus verursacht worden. Als Hintergrund und Quelle für die Biographie des joh Lieblingsjüngers ›Lazarus‹ zieht N. zudem die Perikope vom ›reichen Jüngling‹ heran, von dem ebenfalls gesagt wird, dass Jesus ihn ›liebte‹ (Mk 10,21), sowie als deren ›Weiterführung‹ den nach wie vor äußerst zweifelhaften Text des sog. ›Geheimen Markusevangeliums› 44, in dem die Auferweckung eines Jünglings in Bethanien berichtet wird. N. wertet diesen Text als Quelle (!) des Berichts von Joh 11. Die spekulativ-biographische Auswertung dieser Texte führt zu der These, dass der joh Lieblingsjünger und Autor als Jüngling durch Jesus eine ›Auferweckung‹ (von N. rationalisierend als Nahtod- bzw. »Out-of-Body«-Erfahrung gedeutet) erlebt hatte und auf Grund dessen Jesu Botschaft in besonders innerlicher Weise verstand und deutete, vom Wirken seines Meis­ters aber nur wenig mitbekommen hatte.

Literarisch habe dieser Jünger aus verschiedenen Quellen (unter denen N. vor allem eine Reden- bzw. »Zoe-Quelle« isolieren will, daneben eine Zeichen- und eine Passionsquelle) zuerst eine Grundschrift verfasst, die N. im Anschluss an Walter Schmithals45 rekonstruiert. In ihr habe sich der Verfasser als geliebter Jünger verschlüsselt selbst dargestellt. Dieser im syrischen Raum zwischen 64 und 70 lokalisierte Entwurf sei dann später vom selben Autor in einer ›zweiten Auflage‹ umgearbeitet worden, wobei der Prolog und Kapitel 21 hinzugekommen seien. Diese Bearbeitung sei bis spätestens 110 in Ephesus erfolgt, ebenso die Abfassung der drei Briefe durch denselben Autor. Kurz nach dem Tod des ›Alten‹ sei das Werk dann behutsam redigiert und herausgegeben worden, wobei im Evangelium allerdings einige Umstellungen erfolgt seien.

Das Modell nimmt in einer methodisch ungeklärten Weise zum einen die sprachlichen Argumente für die Abfassung des ganzen Joh und der Briefe durch denselben Autor auf,46 andererseits übernimmt er das auf ganz anderen methodischen Prämissen beruhende Schichtenmodell von Schmithals und weitere Quellenhypothesen, um auf dieses sprachlich nicht begründbare literarkritische Modell dann eine biographische Rekonstruktion zu stützen. Dass diese am Ende ›romanhaft‹ plausibel klingt, ist keine hinreichende Legitimation. N. zeigt, dass die historischen Fragen um das Joh nach wie vor drücken, doch sind seine Schichtenanalyse, seine spekulative Identifikation der Lieblingsjüngergestalt mit Lazarus und seine historisierende und zugleich rationalistische Deutung von Joh 11 wenig überzeugend.

3. Die Wende zur Synchronie und zur Textwelt


a) Die Trendwende zu stärker synchron ausgerichteten Interpretationen des Joh zeigt sich am Spätwerk des Altmeisters der nordamerikanischen Johannesforschung. Viel mehr als etwa Jürgen Becker hat Raymond E. Brown in seinen letzten Lebensjahren seine früheren Sichtweisen modifiziert, beeinflusst durch die wichtigen Arbeiten von R. A. Culpepper47 oder auch von seinem Schüler Francis J. Moloney48. Allerdings konnte er von der geplanten Revision seines Kommentars vor seinem Tod 1998 nur noch die Einleitung weitgehend fertigstellen. Ihre postume Herausgabe durch Francis J. Moloney49 macht die Bewegung im Denken des späten B. zugänglich, wenngleich die Rezeption synchroner und narrativer Ansätze in den »editor’s notes« und im Schlusswort des Herausgebers noch verstärkt wird. Hier zeigt sich ein Grundproblem jeder postumen Edition eines nicht mehr völlig abgeschlossenen Werks.

Die Seriosität der Arbeit B.s zeigt sich darin, dass er jede Einseitigkeit vermeidet. Nachdrücklich hält er an der Berechtigung der historisch-kritischen Rückfra­ge nach der Entstehung des Evangeliums fest. An Stelle seiner früheren Annahme einer in fünf Stufen sich vollziehenden Genese des Joh50 sieht er nun drei nicht mehr ganz so präzise fassbare Entwicklungsschritte: das Wirken Jesu, die nachösterliche mündliche Verkündigung (in der der »Jünger, den Jesus liebte«, der nicht zum Zwölferkreis gehörte, eine wesentliche Rolle spielte) und die Komposition des Evangeliums in zwei Teilstufen: der Schrift des Evangelisten und der abschließenden Bearbeitung durch einen Redaktor (dem Joh 21 und der Prolog [!] sowie die Einfügung von evtl. vom Evangelisten nachgelassenen Dubletten zuzuschreiben sind). Doch ist der Redaktor wie der Evangelist Teil der joh Schule und keinesfalls in einem Gegensatz zu dem Autor zu sehen, dessen Werk er behutsam ediert.

Die entscheidende Relativierung dieser Theorie wird jedoch gleich mitgeliefert (44 f.): »Even though I think there was both an evangelist and a redactor, the duty of the commentator is not to decide what was composed by whom, or in what order it originally stood, nor whether these composers drew on a written source or an oral tradition. One should deal with the Gospel of John as it now stands, for that is the only form that we are certain has ever existed.« (320) D. h. für die Interpretation des Textes haben Vermutungen über seine Schichtung und die Zuordnung zum Evangelisten bzw. zur Redaktion keine Relevanz.

Man kann spekulieren, wie B. mit dieser hermeneutischen Entscheidung einzelne Textstücke kommentiert hätte. Das Recht der historischen Fragen bleibt bei ihm unverkürzt bestehen, doch zeigt sich am Ende eines Lebens mit der Johannesforschung die ge­wachsene Skepsis, über vermeintlich vorausliegende Textstadien, deren Existenz in der postulierten Form nicht durch externe Indizien zu erhärten ist, zu urteilen oder diese gar noch zu kommentieren.

b) Ein führender Repräsentant des zurückhaltenden Umgangs mit textgenetischen Hypothesen ist auch Jean Zumstein, dessen Kommentierung, die im »Kritisch-Exegetischen Kommentar« die Nachfolge Bultmanns antreten soll, zunächst in französischer Sprache erschienen ist. Dass Z. zuerst den 2. Band fertiggestellt hat, entspricht seinem Ansatz, demzufolge das Joh sich theologisch von der Passionsgeschichte bzw. den Abschiedsreden her erschließt. Historisch vertritt Z. das Modell der ›Relecture‹51, letztlich eine abgemilderte Form der These einer ›johanneischen Redaktion‹: So sehr Z. mit einer ›Fortschreibung‹ eines ursprünglichen Entwurfs in der joh Schule etwa in der zweiten Abschiedsrede oder in der Fußwaschungsperikope rechnet und am Nachtragscharakter von Joh 21 klar festhält, schätzt er die interpretatorische Bedeutung dieser Annahmen eher zurückhaltend ein, während im Zentrum eine konzentrierte theologische Interpretation steht.

c) Die Wende zur Synchronie dokumentiert sich noch dezidierter in der Arbeit von Ulrich Busse mit dem signifikanten Untertitel »Bildlichkeit, Diskurs und Ritual«. Das dicht geschriebene Werk verbindet als Summe einer über 20-jährigen Arbeit am Joh eine forschungsgeschichtliche Einleitung, einen kleinen Kommentar, eine Sammlung von Beiträgen zur joh Bildlichkeit und eine joh Bibliographie der Jahre 1986–1998.52

B. verfolgt ein »an literaturwissenschaftlichen Methoden orientiertes Analyseverfahren, das den Text in seiner Endgestalt und als Mittel einer literarischen Kommunikation ernst nimmt« (5). Die hier vertretene »moderne Textinterpretation« will »frühere Lesehorizonte« nicht abwerten, sondern »ihre gültig bleibenden Erkenntnisse … integrieren« (14) und damit die »unfruchtbare Diskussion um den Vorrang von Ersttext- bzw. Endtextexegese … überwinden helfen« (16). Doch wird in der sorgfältig auf textinterne Bezüge gestützten Kommentierung faktisch nur der Endtext einschließlich Kapitel 21 als einheitlicher »Diskurs über die theologische Reputation Jesu« (57) interpretiert. Nur selten ist von den Quellen des Autors die Rede, wobei außer dem Alten Testament vor allem die synoptische Tradition zur Geltung gebracht wird. Verweise auf joh Gemeindetraditionen fehlen ebenso wenig wie Querverweise auf die Johannesbriefe. So bleibt die für die innertextliche Bewegung scharfsichtige Auslegung im Blick auf die Fragen der historischen Kontextualisierung wenig ergiebig.

Dies gilt auch für den zweiten Teil, in dem z. T. auf Grund früher publizierter Beiträge B.s Aspekte der joh Theologie thematisiert werden. Immerhin bringt B. hier sozialgeschichtliche Perspektiven (z. B. zu Joh 2,1–11 und 13,4–17 sowie 19,25–27) ins Spiel. Aber in welcher konkreten sozialen Welt der Diskurs sich abspielt, bleibt offen, und der joh Erzählkontext behält stets die Priorität vor der Rekonstruktion der antiken Lebenswelt. Diese dient vielmehr allein dazu, den Einsatz der joh Metaphern und ihre Funktion im Diskurs um Jesus verständlich zu machen (390). Es geht dem Evangelisten nach B. darum, sich »aus einer reflexiven Distanz zur erzählten Welt ... über ihre überragend aktuelle Bedeutung mit dem Leser zu verständigen« (391). So bleibt auch das Bild der Juden letztlich ein literarisches Mittel, anhand dessen »der Leser seinen eigenen Standpunkt zu finden lernen soll« (323), wenngleich der Autor als Jude zwischen »den Juden« und realen jüdischen Mitbürgern zu unterscheiden versteht (411). Als das »theologische Zentrum« (323) der gegenwartsbezogenen Deutung der Jesusgeschichte im Joh entfaltet B. die Tempelmetaphorik, mit der der Evangelist (?) die alttestamentliche Vorstellung vom heiligen Ort auf die Person Jesu übertragen und somit »dessen Reputation auf eine neue, über die Synoptiker hinausgehende Weise verstehbar gemacht hat« (366).

Die Lektüre führt bei B. letztlich zur Bestätigung der literarischen und konzeptionellen Einheitlichkeit des joh Textes. Dieser basiere auf dem Rückbezug auf die Schrift und ihre Metaphern, die christologisch, soteriologisch und ekklesiologisch genutzt werden, um die Jesusgeschichte (deren Bekanntheit nach synoptischer Version vorausgesetzt ist) aus nachösterlicher Retrospektive und im Interesse an gegenwärtiger Identitätssicherung neu zu inszenieren. Dabei würden die Erfahrungen mehrerer Christentumsgenerationen »im Rück-bezug auf Jesus – pneumatisch individualisiert – aus dem Zeugnis der Glaubensgeschichte versteh- und so bewältigbar« gemacht (5).

d) Mehr noch als Brown und Busse repräsentiert Hartwig Thyen die methodologische Wende in der Johannesinterpretation der letzten 20 Jahre. Sein Kommentar im »Handbuch zum Neuen Tes­tament«, ergänzt durch einen Band »Studien zum Corpus Iohanneum«, der ältere, vorbereitende Studien (8–369) und zusätzliche Exkurse und Seitenstücke zum Kommentar (372–700) vereint, do­kumentiert diesen Weg. Dieser führte T. von der Schülerschaft im Seminar Rudolf Bultmanns im Sommer 1948 über die Entwick­lung einer eigenen Grundschrifthypothese in den 70er Jahren hin zum Verständnis des Joh als »kohärentes literarisches Werk« (Studien, 2) und »Palimpsest über synoptischen Texten« (Studien, 182ff.) im nun vorliegenden Kommentar. 53

T.s Kommentar ist eine Herausforderung für die weitere Johannesforschung! Umfangreich im – bisweilen ausufernden – Gespräch mit der Sekundärliteratur, konsequent bis einseitig in dem gewählten Ansatz. Signifikanterweise kommt T. mit nur fünf Seiten Einleitung aus. Er geht davon aus, dass das Joh (abgesehen von den textkritisch sekundären Stücken 5,3b–4 und 7,53–8,11) »öffentlich nie anders als in seiner überlieferten kanonischen Gestalt existiert« hat (Komm., 1). T. verzichtet daher auf die Erörterung aller Fragen zur »vermeintlichen Genese«, nach »mutmaßlichen Quellen oder gar nach einem bereits literarisch verfassten Vorläufer« sowie nach »seiner vermeintlich sekundären Bearbeitung durch eine ›kirchliche Redaktion‹« (Komm., 1). All diesen »unbegründbaren« und für die Interpretation s. E. »wenig hilfreichen« Theorien gegenüber bekundet T. seine Skepsis (Komm., 3), die er in seinen Studien begründet (zum Prolog s. 374–410; zur Semeiaquelle s. 443–452; zu Fragen der Redaktion s. 539–547 und 644–650): Der joh Autor kenne neben dem Alten Testament alle drei synoptischen Evangelien (auch Mt!) und spiele mit diesen ›Prätexten‹, die dadurch nicht ersetzt, sondern in neuer Deutung in Kraft gesetzt werden (Komm., 4). Die Frage, wer dieser Autor ist und wohin er gehört, will T. nicht stellen. 54 Dahinter steht nicht primär die Resignation vor der Schwierigkeit oder sogar Unlösbarkeit der ›johanneischen Frage‹, sondern eine texttheoretische Entscheidung: Nicht hinter dem Text, sondern in der Welt des Textes sei die Sache desselben zu finden. Der reale Autor ist für T. insofern »tot«, als er sich völlig in den fiktiven Autor, den Lieblingsjünger »entäußert« und diesen Jünger zum »Autor im Text und Erzähler der Geschichte Jesu« gemacht habe (Komm., 2). Als dieser fiktionale Autor und Erzähler solle der Zebedaide Johannes erkannt werden (Komm., 2), daher sei das Joh ein pseud­-epigraphisches Werk. Joh 21 wird von T. als ein (wie der Prolog) notwendiger Epilog verstanden, auf den alle narrativen Linien des Joh zielgerichtet zulaufen und in dem sie ihren Abschluss finden. Und wenn das Werk bis zum letzten Vers einheitlich ist, dann ist natürlich auch Joh 21,24 f. nicht eine Aussage der Herausgeber über einen von ihnen zu unterscheidenden Autor, sondern eine rein fiktionale Bemerkung im »auktorialen Plural« (Komm., 796).

Der Kommentar T.s ist als Lebenswerk, das Zug um Zug früheren eigenen Überzeugungen und der lange herrschenden Forschungsmeinung abgerungen werden musste, höchst beachtlich. Auch wenn sich T. oft an der Sekundärliteratur »abarbeitet« und dabei nicht immer am Text bleibt, führt seine Lektüre zur Wahrnehmung innertextlicher Bezüge, für die eine theologiegeschichtlich interessierte Schichtenanalyse und noch viel mehr eine besserwisserische Konjekturalkritik blind bleiben müssen. Hinter die scharfsichtigen intratextuellen und intertextuellen Beobachtungen darf eine künftige Auslegung des Joh nicht zurückfallen. Dennoch fordert dieses Werk auch zu einer kritischen Diskussion von Grundfragen der Interpretation heraus, die ich im Folgenden in Auseinandersetzung mit ihm, zugleich aber auch darüber hinausführend, skizzieren möchte.

4. Wesentliche Einsichten und bleibende historische Aporien


Der Wert der bei Thyen (wie auch bei Busse) praktizierten synchronen Textlektüre ist unbestritten. Die sachintensive Nachzeichnung der Textwelt erschließt die theologischen und metaphorischen Bezüge innerhalb des Textes und das intertextuelle Spiel des Joh mit weiteren Texten in viel umfassenderer Weise, als dies im Rahmen anderer Lektüremodelle geschieht. Dennoch stellt sich die Frage, ob die historischen Fragen nach der Textentstehung und – noch mehr – nach dem ursprünglichen kommunikativen Kontext wirklich so weit zurückgestellt werden können, wie das hier mit programmatischem Anspruch geschieht. Die Aufgabe, die unterschiedlichen Lektüremodelle – das literaturwissenschaftliche und das historische – miteinander in Beziehung zu setzen, ist bei Thyen weithin umgangen und auch im Werk Busses letztlich nicht gelöst. Mir scheint daher, dass die wesentlich textimmanente Perspektive durch weitere ›intertextuelle‹ Bezüge, d. h. hier durch historische Kontextualisierung zu ergänzen und – partiell – zu korrigieren ist. 55

Letztlich ist T.s Vorgehen dem seines ersten Lehrers Bultmann nicht so unähnlich, der ebenfalls die ›Einleitungsfragen‹ für theologisch irrelevant erklärt und in seinem Kommentar nicht eigens behandelt hatte, wenngleich dieselben in den Fußnoten stets vorausgesetzt waren und die Sicht des Evangelisten und seiner Quellenbehandlung entscheidend bestimmten.56 Auch T.s Interpretation ist nicht nur von einer hermeneutischen Entscheidung, sondern auch von konkreten historischen Vorannahmen abhängig, deren Plausibilität zu prüfen ist.

Dass T. historische Fragen nicht generell für irrelevant oder unbeantwortbar hält, zeigt die Tatsache, dass er zwar über den realen Autor des Joh und seine Intention nichts sagen will, wohl aber eine Aussage über den Ort bzw. Raum seiner Entstehung wagt: Im Gegensatz zur kirchlichen Tradition – und mit Verweis auf eine ältere Äußerung von W. Schmithals57 (!) – rechnet er mit einer Entstehung nicht in Kleinasien, sondern »wohl im syrisch-palästinensischen Raum« (Komm., 1). Die Begründung durch »Sprache und topographische Eigenheiten« (ebd.) würde durchaus interessieren, doch präzisiert T. seinen Hinweis nicht. Im heutigen Forschungskontext wäre ein solcher Rück­schluss weder aus der Erwähnung von Sychar, Kana und Bethanien oder den jerusalemischen Ortskenntnissen plausibel noch aus dem Verweis auf die – früher gerne in Syrien verortete – Sprache des ›johanneischen Dualismus‹. Vermutlich liegt hier noch ein Relikt aus T.s früheren Auffassungen vor, das aber seinen Sinn verloren hat, wenn man – wie T. jetzt – nicht einmal mehr mit einer konkreten Adressatengemeinde rechnen will. 58

Diese kleine ›Inkonsequenz‹ zeigt aber: Die komplexen Fragen nach der Einheitlichkeit, dem Autor, der Abfassungssituation bzw. dem historischen Kontext oder auch dem literarischen Verhältnis zwischen Evangelium und Briefen lassen sich nicht ganz verdrängen. Die Auskunft, die historische Erklärung sei für die Lektüre des Textes und das Verständnis seiner Textwelt nicht von Belang, ist unbefriedigend, solange unsere Beschäftigung mit biblischen Texten im Rahmen eines historischen Denkparadigmas erfolgt, wie es für den europäischen Kontext zumindest nach wie vor bestimmend ist. Ob die gestellten Fragen mit hinreichender Plausibilität beantwortet werden können, sei dahingestellt – und die Skepsis gegenüber allen Rekonstruktionen von Quellen und Schichten ist sehr berechtigt –, aber man wird in einem großen wissenschaftlichen Kommentar m. E. auf den Versuch einer Erhellung der Entstehung des Werks nicht verzichten können.

So sehr ich interpretatorisch einen synchron-integrativen An­satz für den aussichtsreichsten halte, kann ich doch weder auf die Frage nach dem Autor und seinen Adressaten oder ersten Lesern, d. h. auf den (natürlich nie völlig ›objektiv‹ zu erhebenden) historischen Textsinn verzichten, noch auf die Frage nach dem Text zu Grunde liegenden synoptischen oder anderen Traditionen. Ich kann im Folgenden nur thesenhaft skizzieren, wie ich selbst diese Fragen im Kontext der gegenwärtigen Forschung und auf dem Weg zu meiner eigenen Kommentierung im Evangelisch-Katholischen Kommentar bedenken möchte:

a) Nachdrückliche Zustimmung verdient T.s Plädoyer für den Primat der Synchronie vor der Diachronie.59 Die von Literarkritikern wie Becker (aber auch von T. selbst in einer früheren Phase) angenommenen, dem Joh zu Grunde liegenden Quellen haben in der neueren Forschung sämtlich an Plausibilität eingebüßt, und ihre Rekonstruktionen unterliegen gravierenden Zweifeln. Dies gilt für jede Art von ›Grundschrift‹, ›Zeichenevangelium‹ oder auch die von manchen noch ›mitgeschleppte‹ ›Semeiaquelle‹60, aber ebenso für die Annahme eines eigenständigen joh Passionsberichts.61 Selbst die Rekonstruktion eines ›vorjohanneischen‹ Logoshymnus hinter dem Prolog ist in Anbetracht der zahlreichen Rekonstruktionsversuche mit größten Unsicherheiten be­lastet, und es ist sehr fraglich, ob man noch mit der Existenz eines solchen, dem Evangelisten vorgegebenen Hymnus rechnen darf. Die einzig sichere Form der Lektüre des Johannesprologs ist, ihn als eine Lektüreanweisung zum ganzen Evangelium zu betrachten: In einer historischen Lektüre bedeutet dies, dass der Prolog eher zur Spätphase der Komposition des Evangeliums gehört. ›Vorjohanneische‹ Stufen bleiben spekulativ und bieten keine Stütze zur Rekonstruktion einer joh ›Theologiegeschichte‹.

Die bei T. immer wieder dezisionistisch formulierte Entscheidung gegen eine Nachfrage »hinter den Text« kann allerdings nicht überall befriedigen. In einzelnen Passagen ist an den textlichen Parallelen (z. B. zu Joh 4,46–54 oder auch 12,27–28 u. ö.) klar erkennbar, dass der Evangelist Quellen verarbeitet, auch wenn dies in einer aus den synoptischen Texten unbekannten Eigenständigkeit und Freiheit geschieht. Deshalb kann sich die Johannesforschung nicht von der Aufgabe dispensieren, diese Quellen nach Möglichkeit zu erfragen. Sie wird dabei m. E. mit Ausnahme der Synoptiker nur noch einzelne Erzähl- oder Worttraditionen identifizieren können. 62 Die Verwendung der synoptischen Evangelien lässt sich zumindest an einzelnen Überlieferungsbeständen nachweisen (so besonders klar an der Umdeutung der Gethsemane-Szene, aber auch in der Täuferdarstellung)63. Dabei erscheint mir die Verwendung des Mk sicher, die des Lk ebenfalls sehr wahrscheinlich; hingegen hat mich die Behauptung einer Benutzung auch des Mt bislang an keiner Stelle überzeugt.

b) Zustimmung verdient auch T.s Kritik an der Zuschreibung wesentlicher Texte an eine ›kirchliche‹ oder joh Redaktion. Die Forschungsgeschichte zeigt hinreichend, dass für die Bestimmung einzelner Texte als ›deuterojohanneisch‹ meist sachliche Vorentscheidungen bzw. Werturteile entscheidend waren.64 Sprachlich-stilistische Gründe lassen sich für redaktionelle Ausscheidungen nicht anführen, was insbesondere bei umfangreicheren Texten wie Joh 15–17 gegen eine solche Zuschreibung spricht. Die auf Wellhausen zurückgehende Literarkritik am Joh halte ich daher nicht nur wegen der Diversität ihrer Hypothesen, sondern auf Grund der Eigenart des joh Textes historisch wie sachlich für eine Sackgasse.

Freilich ist auch die gegenteilige Annahme einer absoluten literarischen Einheitlichkeit des Joh problematisch. Auch T. dürfte kaum voraussetzen, dass Joh 1,1–21,25 in einem Zug niedergeschrieben wurde. Das Werk ist nicht dem Schreibtisch eines Professors oder eines Literaten entsprungen, sondern nimmt Tra­ditionen, Verkündigungsformen und Diskurse eines christlichen Gemeindekreises auf. Dies darf man nicht ausblenden, wenn man nicht zu einem sterilen und letztlich wirklichkeitsfremden Bild kommen will. T. wendet sich zwar mit Recht gegen den unangemessenen Rück­schluss von der joh Sprache auf einen ›sektenhaft‹ abgeschlossenen Entstehungskontext, doch lässt sich seine Bestreitung der Existenz einer joh Schule oder eines mit dem Autor verbundenen Trägerkreises nur halten, wenn man die mit dem Evangelium sprachlich und sachlich engstens verbundenen Briefe aus der Betrachtung ausklammert. Doch ist mit der Aufnahme vorgeprägter Formulierungen aus der joh Verkündigungssprache oder den Diskussionen der Schule sowie mit einem sich zeitlich erstreckenden Prozess der Komposition des Werks einschließlich der Überarbeitung von Teilstücken durch den Autor selbst zu rechnen. Die Beobachtung, dass nicht alle Passagen des Joh gleich ›durchstrukturiert‹ erscheinen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Obwohl abrupte Ortswechsel wie zwischen Joh 5 und 6 durchaus denkbar sind und nicht zur Annahme berechtigen, dass die Kapitelfolge ›ursprünglich‹ eine andere sein musste, bleibt eine ›Aporie‹ wie Joh 14,31 erklärungsbedürftig, und die Auskunft, dass hier lediglich eine geistige ›Bewegung‹ der Leser intendiert wäre (wie T. im Anschluss an C. H. Dodd erwägt), befriedigt nicht völlig. Auch wenn die Textfolge von Joh 13–17 in ihrem vorliegenden Bestand sinnvoll zu lesen ist, lässt sich nicht ausschließen, dass Herausgeber hier behutsam Textstücke zusammengesetzt bzw. eingefügt haben, ohne die Nahtstelle völlig zu verdecken. Gewiss, wenn die Zuschreibung an eine spätere Redaktion sprachlich nicht zu begründen ist und der Text nicht nur als ›relecture‹ durch einen anderen Bearbeiter, sondern ebenso in einem ›réécriture-Modell‹ als variierende Wiederaufnahme durch denselben Autor zu erklären ist, 65 dann wird man den Text in seinem überlieferten Zusammenhang zu interpretieren haben. Dass jedoch Nahtstellen vorliegen, ist nicht völlig in Abrede zu stellen.66 Ein texttheoretischer Dezisionismus verdrängt die offenen Fragen, beantwortet sie aber nicht.

c) Das Problem spitzt sich in Joh 21 zu. T. setzt voraus, dass alle narrativen Linien konsequent auf Joh 21 zulaufen und dort ihre Auflösung erfahren. Die Annahme der völligen literarischen Einheitlichkeit von Joh 1,1–21,25 nötigt ihn letztlich dazu, auch die Aussagen über den Lieblingsjünger als Autor als bloße Fiktion zu verstehen. Beides lässt sich m. E. nicht halten.

Gewiss ist der früher postulierte Graben zwischen dem Evangelisten und Joh 21 längst nicht mehr so tief, wenn man mit einer ›johanneischen‹ Redaktion rechnet, die in einem Schulzusammenhang mit dem Evangelisten steht und nicht nur irgendeinen als Torso vorgefundenen Text zusammengestückelt und herausgegeben hat. Dass die Annahme einer Diastase zwischen dem Evangelisten als einem genialen Außenseiter und einem ›kirchlichen‹ Redaktor problematisch ist, wird heute weitgehend gesehen. Insofern ist auch die Art und Weise, in der z. B. bei Bultmann die vermeintlichen Anliegen der Redaktion (realistische Eschatologie, Eucharistie, Harmonisierung mit den Synoptikern und ›großkirchliche‹ Autorisierung des Evangeliums 67) aus Joh 21 entnommen und dem Werk des Evangelisten gegenübergestellt wurden, viel zu sehr an konstruierten Gegensätzen orientiert. Wenn bereits Joh 1–20 synoptische Stoffe voraussetzt, fällt die Verarbeitung synoptischen Materials als Kriterium für redaktionelle Zuschreibung dahin. Die Parusieerwartung ist in Joh 21,22 f. ganz unbetont vorausgesetzt und in Joh 1–20 wie auch im 1Joh nicht völlig preisgegeben.68 Eine Unkenntnis oder gar Ablehnung der Taufe wie auch der Mahlfeier lässt sich in Joh 1–20 nur auf der Basis unbegründeter literarkritischer Operationen postulieren. Schließlich nimmt auch die Autorisierung des Joh, die in Joh 21 betrieben wird, das schon in Joh 1–20 in ähnlicher Weise geschilderte Verhältnis von Petrus und dem Lieblingsjünger auf (sofern man nicht sämtliche Lieblingsjünger-Texte als redaktionell ausscheiden will).

In vieler Hinsicht rückt Joh 21 sachlich näher an Joh 1–20 heran, wenn man die thematischen Bezüge wahrnimmt: Das Kapitel knüpft an Joh 6 (Speisung am See), Joh 10 (Hirten-Thematik), Joh 12,32 (Universalismus) oder Joh 13,36–38 (Todesnachfolge des Petrus) an. Das Kohlenfeuer in 21,9 nimmt 18,18 auf, und Jesu Wort an Petrus bringt 12,24–26 zur Erfüllung.69 Insofern ist Joh 21 sicher ein gelungener Abschluss des Werks.

Die Frage bleibt dennoch, ob diese Verbindungen von Joh 1–20 aus gesehen einen notwendigen Abschluss bieten, ob also Joh 1–20 ohne Joh 21 unvollständig oder nicht völlig verständlich wären. Diese Frage ist zu verneinen. Joh 20 bietet einen durchaus plausiblen Schluss, und Joh 21 setzt demgegenüber narrativ neu ein, nicht nur an einem anderen (nur aus Mk 16,7 zu erschließenden) Ort, sondern auch mit einer Erscheinung, die nach dem sorgfältig komponierten Kapitel 20 und der abschließenden Thomas-Episode nicht mehr passt und die Geistmitteilung und Sendung von Joh 20,21 f. vergessen lässt. Dies spricht dafür, dass Joh 20,30 f. zunächst als Abschluss gedacht war – ganz gleich, ob der Text in dieser Form jemals verbreitet wurde. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass Teile aus Joh 21 noch vom Evangelisten gestaltet und hinterlassen wurden, bevor sie dann von den Herausgebern in die vorliegende Form ge­bracht wurden.

Dass in Joh 21 eine andere Hand am Werk war, ergibt sich m. E. am deutlichsten aus dem Schluss in 21,24 f. sowie aus der Passage über das ›Bleiben‹ des Lieblingsjüngers. So sehr diese Gestalt im ganzen Evangelium (auch schon in Joh 1–20) ideale und symbolische Züge trägt, so wenig vermag ein Verständnis des Abschlusses als einer reinen Fiktion zu überzeugen. Die Tatsache, dass es – soweit wir wissen – im Rahmen des johanneischen Christentums kein Konzept legitimer Fiktionalität gegeben hat, 70 setzt der Annahme einer rein fiktionalen Komposition von Joh 21,22–25 enge Grenzen.

Ganz auf historische Referenzen kann auch T. nicht verzichten: Auch er schließt aus Joh 21,22 f. auf den Tod des geliebten Jüngers, nur habe dieser für die ›Gemeinde‹ oder ›Trägerkreise‹ hinter dem Joh keinerlei Bedeutung gehabt. Warum wird dann jedoch von ihm und von der durch seinen Tod erforderlichen ›Korrektur‹ berichtet? Wenn sich dies alles schlicht auf den Zebedaiden beziehen würde, der lange vor der Entstehung des Joh verstorben sein dürfte, wie ist es dann zu erklären, dass »der wirkliche Evangelist noch um die Trauer um dessen gar nicht erwarteten Tod gewusst und dieses Wissen hier eingebracht haben« soll (Komm., 792)? Wurde dieser erzählerische Aufwand nur deshalb betrieben, weil der reale Autor diesen als fiktiven Autor stilisieren wollte? Dies zeigt, dass der Rückzug in die rein innertextliche Welt, in die pure Fiktionalität, auch bei T. nicht völlig gelingt. Vermutungen über das, was sich der reale Autor bei seinem Unterfangen gedacht hat, sind unvermeidlich. Diese müssen allerdings auf ihre Plausibilität hin geprüft werden – und führen m. E. in unauflösliche Aporien.

Nimmt man ernst, dass Joh 21,22 f. nicht rein fiktional sein kann und dass in Joh 21,24 f. tatsächlich ein bzw. mehrere Herausgeber nicht nur fiktional über den, »der dies geschrieben hat«, schreiben, dann ist die Unterscheidung mehrerer ›Hände‹ unumgänglich, ganz gleich, ob man dieser Herausgeber-Redaktion nur die Schluss­verse oder doch das ganze Kapitel zuschreibt. Da aber eine Abtrennung der Schlussverse nicht gelingen will, empfiehlt es sich m. E. doch eher, das ganze Kapitel als einen Nachtrag zu erfassen.

d) T.s wiederholter Hinweis auf den überlieferten Text als den einzig zur Wirkung gelangten bleibt aber nach wie vor beachtenswert. Dass das Joh öffentlich nicht anders gewirkt haben dürfte als in seiner überlieferten Gestalt, also einschließlich des Schlusskapitels, ist m. E. weder durch die bei Tertullian bezeugte Rede von Joh 20,30 f. als clausula evangelii71 widerlegt noch durch die (beachtliche) Entdeckung eines koptischen Papyrusblattes aus dem 4. Jh., das mit Joh 20,31 endet und bis zum Seitenende nicht weiter beschrieben ist, aber auch keine subscriptio trägt, so dass un­sicher bleibt, ob der Text das ganze Joh oder nur einen Auszug davon enthielt.72

Mit Recht geht T. auch davon aus, dass das Joh in seiner überlieferten Gestalt »früh und breit bezeugt« ist (Komm., 1). Da­mit betritt er selbst ein Terrain jenseits der Textwelt und rührt an die Fragen der altkirchlichen Überlieferung, die unbedingt zu klären sind, wenn der historische Ort des Joh zu bestimmen ist:

Die Zahl der Evangelienpapyri mit Text aus dem Joh hat sich zuletzt deutlich vermehrt73: mit ∏109 ist auch ein Textstück aus Joh 21 auf einem Papyrus des 3.Jh.s bezeugt. Neben der handschriftlichen Bezeugung ist die in den letzten Jahren zunehmend erforschte Rezeption des Joh in Texten und bei Autoren des 2. und 3. Jh.s zu beachten. Nimmt man diese Daten ernst, dann ergibt sich daraus, dass das Joh schon sehr früh in allen kirchlichen Regionen verbreitet war, und zwar nicht nur als evangelium haereticorum74. Seine massive Inanspruchnahme durch Irenäus75 und schon zuvor durch Tatian setzt eine längere Rezeptionsgeschichte voraus, die sich bereits im sekundären Markusschluss76 und bei Papias77, d. h. in der ersten Hälfte des 2. Jh.s zeigt. Zugleich verweist dieser Befund auch auf einen kleinasiatischen Kontext der frühen Verbreitung des Joh und seiner Inanspruchnahme als Autorität. Demgegenüber sind die (meist aus religionsgeschichtlichen Konstruktionen deduzierten) Argumente für einen palästinisch-syrischen oder einen alexandrinischen Kontext alles andere als zwingend.

Erörtert man den Kontext der Verbreitung des vierten Evangeliums, so kann man die drei unter demselben Namen verbreiteten Briefe nicht ignorieren. Sie bilden den historisch, sprachlich und sachlich nächstliegenden Kommentar zum Evangelium. Damit stellt sich nicht nur die Frage nach einer gemeinsamen oder zu differenzierenden Verfasserschaft und nach der in den Briefen (und evtl. auch im Joh) vorauszusetzenden Konfliktlage, sondern auch nach den Trägerkreisen der joh Theologie.

D. h. aber, dass auch die Frage nach einer joh Gemeinde oder Schule nicht so leicht ad acta zu legen ist, wie dies bei T. geschieht. Diesem ist insoweit Recht zu geben, als ein Evangelium, das mit einer ›überbietenden‹ Aufnahme von Gen 1,1 beginnt und als Werk des ›Jüngers, den Jesus liebte‹, gestaltet ist, einen übergemeindlichen Anspruch auf Anerkennung erhebt, ja im Grunde ›Bib­lizität‹ erstrebt und sicher nicht nur zur gruppeninternen Selbstverständigung eines weltabgewandten Zirkels dienen will. Wo man aus religionsgeschichtlichen Gründen oder in einem methodisch problematischen ›mirror-reading‹ aus der vermeintlich nur Insidern zugänglichen Sprache auf eine ›sektenhaft‹ abgeschlossene Gemeinde schloss, wird die Funktion der dualistischen Sprachelemente im Joh missverstanden. 78 Das Joh schafft sich seine Insider und seine ›informierten Leser‹, weil es im Verlauf der Lektüre die erforderlichen Deutekate-gorien vermittelt und so seine Rezipienten in seine Welt ›einführt‹. Daher ist es kein ›esoterisches‹ Werk, sondern tatsächlich ein »Evangelium für alle Christen«79. Ungeachtet dessen lässt sich die Frage nach dem gemeindlichen Kontext, in dem dieses Evangelium gründet und in dem die in ihm wie in den Briefen gepflegte theologische Sprache erwachsen ist, nicht abweisen.

e) In Verbindung mit den Briefen (und mit der unter dem Na­men des gleichen [!] Johannes überlieferten Apokalypse) sind auch die inscriptiones und subscriptiones über den fünf ›johanneischen‹ Schriften im neutestamentlichen Kanon zu berücksichtigen. Sie sind nicht einfach ›spät‹, wie oft behauptet wird. Auf Grund der einheitlichen Überlieferung der Überschrift εὐαγγέλιον κατὰ Ἱωάννην (die die Überschrift der älteren Evangelien aufnimmt und ihren Stil fortsetzt) hat das Joh seine inscriptio wohl schon mit der Verbreitung des Evangeliums, d. h. durch »den (oder die) Herausgeber letzter Hand« bekommen80 – nicht erst durch den Herausgeber unseres Vier-Evangelien-Kanons, wie T. meint,81 der die inscriptio in seinem Kommentar nicht weiter beachtet. Be­rück­sichtigt man, dass die drei Briefe mit ihrer inscriptio Ἱωάννην α᾽/ β᾽/ γ᾽ sowie die inscriptio der Apokalypse wohl auf denselben Johannes verweisen, dann ist die Auskunft, dass die inscriptio des Evangeliums von Anfang an auf den Zebedaiden verweise, den die Leser nach Joh 1,35 ff. als den ›Jünger, den Jesus liebte‹ und pseudepigraphischen Autor des Joh erkennen sollten, allzu schlicht. Sollen die Briefe gleichfalls diesem zugeschrieben sein? Und dass der Zebedaide auch in der Apk als (pseudonymer) Visionär und Autor gemeint sei, ist durch nichts nahegelegt. M. E. ist hier mit Verwechslungen bzw. Verschmelzungen im Prozess der Johannesüberlieferung des 2.Jh.s zu rechnen. Dass Papias von Hierapolis noch zwischen dem Apos­tel Johannes und dem kleinasiatischen presbyteros Johannes differenziert, während diese Differenzierung dann bei Irenäus verwischt ist, sollte zu denken geben. Mir scheint, dass sich in der Figur dieses ›Alten‹ Johannes in Ephesus – trotz aller Unsicherheiten – am ehesten ein Ansatzpunkt zur Lösung der Fragen nach der joh Verfasserschaft bietet. Gewiss trägt die Identifikation eines Autors für die Interpretation selbst noch wenig aus – andererseits lassen sich die historischen Fragen nicht ignorieren, und die mit ihnen verbundenen Probleme sind deutlich komplexer, als es in der bloßen Konzentration auf die Textwelt erscheinen mag.

f) In jedem Fall sind die Briefe bei der Interpretation des Evangeliums mit zu berücksichtigen. Sie sind sprachlich und sachlich der nächste Kommentar zu diesem, und selbst wenn sie geringfügig später und durch einen anderen Autor abgefasst sein sollten, lassen sie sich für die Erklärung der joh Sprache und Theologie nicht beiseiteschieben. Dies gilt umso mehr, wenn die von einer wachsenden Zahl von Interpreten geteilte Umkehrung der Reihenfolge zuträfe und die Briefe vor dem Evangelium abgefasst wären. Dafür spricht, dass die Briefe nirgendwo das Joh zitieren. Das von R. E. Brown vertretene Modell, dass in den Briefen eine missverstandene oder vereinseitigte Lektüre des Joh korrigiert würde, entbehrt somit der Grundlage. Wenn sich sprachlich keine hinreichenden Gründe finden lassen, zwischen dem Verfasser des Evangeliums und der Briefe zu differenzieren, dann ist zumindest mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Briefe von demselben Autor verfasst wurden wie das Evangelium, das dann postum mit Kapitel 21 herausgegeben wurde. Das wich-tigste Argument, dass bereits das Evangelium den in 1Joh 2,18 ff. thematisierten Konflikt voraussetzt, bietet die weithin analoge Argumentation in Joh 6,60–71. 82 Es ist nicht untypisch, dass dabei die Spaltung in der Adressatengemeinde, wie sie im Brief dokumentiert ist, auf den Kreis der Jünger Jesu projiziert wird. Ein weiteres Argument hat E. E. Popkes in seiner Dissertation zum Motivkreis der Liebe herausgearbeitet.83 Die Liebesthematik ist im großen Brief theologisch gefasst, im Evangelium christologisch. Die Annahme einer Christologisierung des Motivs ist hier m. E. plausibler als die umgekehrte Annahme einer Entchristologisierung. Wie auch immer man die in 1 (und 2) Joh dokumentierte Konfliktlage bestimmt, wird man sie für das Verständnis der hinter dem Joh liegenden Situation nicht ignorieren können.

g) Während im ersten Brief eine einheitliche Konfliktlage vorzuliegen scheint, dokumentiert das Joh mindestens zwei Konflikte, den mit ›den Juden‹ und einen anderen, innerchristlichen Konflikt. Brown hatte daraus eine Konfliktgeschichte rekonstruiert, in der erst die Trennung von der Synagoge und dann eine innergemeindliche Auseinandersetzung erfolgten. Thyen stellt auf Grund seiner Lektüre der Johannesbriefe als einer Auseinandersetzung um das monotheistische Bekenntnis und die Gefahr des drohenden ›Rück-­falls‹ von Gemeindegliedern ins Judentum 84 auch im Joh die Auseinandersetzung mit den Juden in den Vordergrund. Hingegen bestreitet er (inzwischen), dass im Joh eine Auseinandersetzung mit ›doketischen‹ Strömungen vorliege. Allerdings hat seine Lektüre der Johannesbriefe wenig Nachfolger gefunden. Ganz unabhängig von der gewählten Terminologie und der Frage, was unter ›Doketismus‹ tatsächlich zu verstehen ist, scheint es in den strittigen Bekenntnissen 1Joh 2,22 und 4,2 (sowie 2Joh 7) um die irdische Wirklichkeit des Christus zu gehen, einschließlich der ethischen und eschatologischen Konsequenzen – durchaus in Entsprechung zu den Joh 6,60 als »harte Rede« charakterisierten Aussagen 6,53–58. Dies würde jedoch implizieren, dass die Auseinandersetzung mit ›den Juden‹ die Situation der Gemeinde nicht mehr dominiert. Sie ist narrativ auch nur im Kontext des irdischen Wirkens Jesu präsent. Hingegen ist – wie im 1Joh – auch im Prolog und auffälligerweise in den Abschiedsreden der Gegensatz nicht durch die Ἱουδαῖοι, sondern allgemeiner durch den Begriff der ›Welt‹ mar­kiert. Dementsprechend dürfte auch das Umfeld der joh Ge­meindekreise nicht mehr synagogal dominiert, sondern wenigs-tens teilweise bereits pagan geprägt sein, wie ja auch unter den joh Adressaten ebenfalls Heidenchristen vorauszusetzen sind.85

h) Das Evangelium liefert insofern eine Zusammenschau von Konflikten und Situationen, die sich im Wirken Jesu, in der Ge­schichte der frühen Kirche und der joh Gemeindekreise bis zur Zeit der Abfassung des Werks ereignet haben. Es setzt nicht nur eine einzige Zeitebene und eine spezifische Situation voraus, die dann einfach aus dem Werk zu rekonstruieren wäre. In dieser Hinsicht bieten die Briefe einen weniger komplexen Zugang (auch wenn die Gegnerfrage hier ebenfalls vor große Probleme stellt). Das Joh ist vielmehr als eine bewusst und programmatisch nachösterlich ge­staltete, ›anamnetische‹ Darstellung des Weges des vorösterlichen Jesus zu charakterisieren, durch die es bei den Lesern des Evangeliums nicht nur zu einer vertieften christologisch-soteriologischen Erkenntnis kommen soll (Joh 20,31), sondern auch zu einer Klärung der eigenen Situation im Lichte des Geschickes des fleischgewordenen Gotteswortes. Diesem kommunikativen Zweck dienen die dua­listischen Sprachelemente ebenso wie die zahlreichen erläuternden und kommentierenden Bestandteile des Textes. In dieser Intention sind die joh Erzählperikopen programmatisch im Licht der nachösterlichen Erkenntnis ausgestaltet, wie auch die joh Re­den transparent sind für die temporale Perspektive, die sachlichen Probleme und die christologisch-soteriologischen Einsichten der nachösterlichen Zeit und des joh Zeugenkreises. Ein Einblick in die Situation der Adressaten zur Zeit der Abfassung des Werks lässt sich daher am ehesten aus der Interpretation der Abschiedsreden gewinnen, nicht – wie in der Forschung lange üb­lich 86 – durch den Rekurs auf die ἀποσυνάγωγος-Aussagen.

Auf diesem Hintergrund verlangt das Joh nach einer theologischen Interpretation, die die metaphorischen Tiefendimensionen des Textes ernst nimmt, auf seine historische Kontextualisierung und traditionsgeschichtliche Erhellung aber gerade um des Profils der Textaussage willen nicht verzichtet. Durch die historische und theologische Kontextualisierung werden auch die Akzente der Interpretation gesetzt. ›Einleitungsfragen‹ mögen theologisch un­wesentlich erscheinen, doch sind sie für die Sachinterpretation eines Textes von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dies zeigt sich gerade im Gespräch mit dem großen Kommentar Thyens. Insofern muss die Diskussion über ihn hinausgehen, ohne jedoch die von ihm gesetzten caveats zu ignorieren.

Summary

Reviewing a number of recent comprehensive approaches on the Gospel of John, the author develops aspects of his own view of its interpretation. Chiefly in dialogue with Hartwig Thyen’s commentary which is a exemplary for the the current tendency towards synchrony, the author demonstrates that issues of introduction and historical contextualization are by no means irrelevant for inter-preting the Johannine text. Decisions on such issues necessarily have an impact on the interpretation of the text and should, therefore explicity, be discussed. Thus, the synchronic reading of the text should be complemented by a consideration of the historical context(s), including the quest for the making of the text. Since for historical and philological reasons 1–3John cannot be left aside, the idea of a ›Johannine School‹ is not to be dismissed out of hand. Therefore, Thyen’s view of the radical unity of the text, including chapter 21, with the Beloved Disciple as a mere fictious ›author‹, is hard to be maintained.

Fussnoten:

1) S. den programmatischen Titel der Festschrift für Herbert Leroy: S. Schreiber/A. Stimpfle (Hrsg.), Johannes aenigmaticus. Studien zum Johannesevangelium für Herbert Leroy, BU 29, Regensburg 2000.
2) S. die beiden Bände von F. F. Segovia (Hrsg.), »What is John?« Readers and Readings of the Fourth Gospel, SBL Symposium Series 3, Atlanta 1996; ders. (Hrsg.), »What is John?« Literary and Social Readings of the Fourth Gospel, SBL Symposium Series 7, Atlanta 1998. S. zuletzt das Spektrum in: F. Lozada, Jr./T. Thatcher (Hrsg.), New Currents Through John. A Global Perspective, SBL.RBS 54, Atlanta 2006, dort insbesondere den abschließenden Beitrag von R. A. Culpepper, Looking Downstream: Where will the new currents take us?, 199–210, der überwiegend eine »eclectic methodology« konstatiert (206) und auf die Aufgabe der Methodenintegration und -evaluation hinweist. Konzentrierter wird die Aufgabe auf »history and theology« hin formuliert bei D. Moody Smith, Future Directions of Johannine Studies, in: J. R. Donahue (Hrsg.), Life in Abundance. Studies of John’s Gospel in Tribute to Raymond E. Brown, Collegeville (MN) 2005, 52–62 (53).
3) So etwa der in einer ›social science‹-Perspektive verfasste, aber im Detail oft zu knappe Band von Jerome H. Neyrey, The Gospel of John, New Cambridge Bible Commentary, Cambridge u. a. 2006. Ausführlicher, aber sehr konservativ ist A. Köstenberger, John, Baker Exegetical Commentary, Grand Rapids 2004.
4) Keener, Craig S.: The Gospel of John. A Commentary. 2 Vols. Peabody: Hendrickson 2003. XLVIII, 1636 S. gr.8°. Geb. £ 57,95. ISBN 1-56563-378-4.
5) S. o., Anm. 3.
6) A. T. Lincoln, The Gospel according to Saint John, Black’s NT Comment-aries, Peabody (Mass.) 2006. Der Kommentar von Lincoln ist Gegenstand einer Diskussion zwischen Adele Reinhartz, Wendy E. S. North und dem Autor in Heft3 des Journal for the Study of the New Testament 29 (2007), 333–372.
7) H. Kjaer Nielsen, Johannesevangeliet, DKNT 4, Aarhus 2007.
8) J. Zumstein, L’Évangile selon Saint Jean, t. 2: Jean 13–21, CNT 4b, Genève 2007.
9) Thyen, Hartwig: Das Johannesevangelium. Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 796 S. gr.8° = Handbuch zum Neuen Testament, 6. Kart. EUR 49,00. ISBN 3-16-148485–1. Die im Kommentar aus Kürzungsgründen gestrichenen 34 Exkurse finden sich jetzt als ›Parerga und Paralipomena‹ in dem Aufsatzband: Thyen, Hartwig: Studien zum Corpus Iohanneum. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. VIII, 734 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 214. Lw. EUR 149,00. ISBN 978-3-16-149115-3, dort 372–700.
10) Brown, Raymond E.: An Introduction to the Gospel of John. Edited, updated, introduced, and concluded by F. J. Moloney. New York-London-Toronto-Sydney-Auckland: Doubleday 2003. XXVIII, 356 S. gr.8° = The Anchor Bible Reference Library. Lw. US$ 30,00. ISBN 0-385-50722-4.
11) Becker, Jürgen: Johanneisches Christentum. Seine Geschichte und Theologie im Überblick. Tübingen: Mohr Siebeck 2004. VIII, 260 S. 8°. Kart. EUR 29,00. ISBN 3-16-148264-6.
12) Busse, Ulrich: Das Johannesevangelium. Bildlichkeit, Diskurs und Ritual. M. e. Bibliographie über den Zeitraum 1986–1998. Leuven: University Press; Leuven-Paris-Sterling: Peeters 2002. XIV, 572 S. gr.8° = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 162. Kart. EUR 70,00. ISBN 90-5867-244-1 (University Press); 90-429-1100-X (Peeters).
13) R. Kysar, Voyages with John: Charting the Fourth Gospel, Waco (Tx.) 2005.
14) R. Nordsieck, Johannes. Zur Frage nach Verfasser und Entstehung des vierten Evangeliums. Ein neuer Versuch, Neukirchen-Vluyn 1998.
15) F. Siegert, Der Erstentwurf des Johannes. Das ursprüngliche, judenchristliche Johannesevangelium in deutscher Übersetzung vorgestellt nebst Nachrichten über den Verfasser und zwei Briefen von ihm (2.3Joh.), Münsteraner judaistische Studien 16, Münster 2004.
16) C. L. Blomberg, The Historical Reliability of St. John’s Gospel. Issues and Commentary, Downers Grove 2001. Ein konservativer Zugang verbindet auch die meisten der Beiträge in dem Sammelband von J. Lierman (Hrsg.), Challeng-ing Perspectives on the Gospel of John, WUNT II/219, Tübingen 2006. S. weiter R. Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony, Grand Rapids 2006.
17) P. N. Anderson, The Fourth Gospel and the Quest for Jesus. Modern Foundations Reconsidered, LNTS 321, London 2006.
18) J. Ratzinger – Benedikt XVI, Jesus von Nazareth I, Freiburg i. Br. 2007.
19) S. dazu kritisch J. Frey, Historisch – kanonisch – kirchlich. Zum Jesusbild Joseph Ratzingers, in: T. Söding (Hrsg.), Das Jesus-Buch des Papstes. Die Antwort der Neutestamentler, Freiburg i. Br. 2007, 43–53. Die Verfasserschaft des Zebeda-iden wird jetzt auch – ohne neue und stichhaltige Gründe – postuliert bei W. Fenske, Der Lieblingsjünger. Das Geheimnis um Johannes, Biblische Gestalten 16, Leipzig 2007. Es ist erhellend, dass sich die Herausgeber der verdienstvollen Reihe in einem Vorwort von den Vermutungen des Autors vorsichtig distanzieren.
20) S. neben U. Busse, Das Johannesevangelium (s. Anm. 12) noch J. G. van der Watt, The Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Gospel according to John, BIS 47, Leiden 2000; C. R. Koester, Symbolism in the Fourth Gospel. Mean-ing, Mystery, Community, Minneapolis 2003; R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004; J. Frey/J. van der Watt/R. Zimmermann (Hrsg., in collaboration with G. Kern), Imagery in the Gospel of John. Terms, Forms, Themes and Theology of Johan-nine Figurative Language, WUNT 200, Tübingen 2006.
21) Meyer, Annegret: Kommt und seht. Mystagogie im Johannesevangelium ausgehend von Joh 1, 35–51. Würzburg: Echter 2005. VIII, 395 S. gr. 8° = Forschung zur Bibel, 103. Kart. EUR 35,00. ISBN 3-429-02657-1; A. Leinhäupl-Wilke, Rettendes Wissen im Johannesevangelium, NTA.NF 45, Münster 2003.
22) W. H. Salier, The Rhetorical Impact of the Semeia in the Gospel of John, WUNT II 186, Tübingen 2004; J.-A. A. Brant, Dialogue and Drama. Elements of Greek Tragedy in the Fourth Gospel, Peabody (Mass.) 2004; G. L. Parsenios, Departure and consolation: the Johannine Farewell Discourses in Light of Greco-Roman Literature, NT.S 117, Leiden etc. 2005.
23) D. R. Sadananda, The Johannine Exegesis of God: An Exploration into the Johannine Understanding of God, BZNW 121, Berlin-New York 2004; E. Zingg, Die Rede von Gott als Vater im Johannesevangelium, HBS 48, Freiburg etc. 2006.
24) R. Hakola, Identity Matters. John, the Jews and Jewishness, NT.S 118, Leiden etc. 2005; L. Kierspel, The Jews and the World in the Fourth Gospel, WUNT II 220, Tübingen 2006.
25) U. Heckel, Hirtenamt und Herrschaftskritik. Die urchristlichen Ämter aus johanneischer Sicht, BThS 65, Neukirchen-Vluyn 2004; E. E. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften. Zur Semantik der Liebe und zum Motivkreis des Dualismus, WUNT II 197, Tübingen 2005.
26) J. Frey/U. Schnelle (Hrsg., unter Mitarbeit von J. Schlegel), Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT 175, Tübingen 2004. Zum Verhältnis vom Thomasevangelium zum Joh s. I. Dunderberg, The Beloved Disciple in Conflict? Revis­iting the Gospels of John and Thomas, Oxford 2006.
27) I. D. MacKay, John’s Relationship with Mark, WUNT II 182, Tübingen 2004.
28) Fuglseth, Kåre Sigvald: Johannine Sectarianism in Perspective. A Sociological, Historical, and Comparative Analysis of Temple and Social Relationships in the Gospel of John, Philo and Qumran. Leiden-Boston: Brill 2005. XIV, 450 S. gr.8° = Supplements to Novum Testamentum, 119. Geb. EUR 97,00. ISBN 90-04-14411-028. Einen spezifischen Bezug auf eine ›community‹ bestreitet hingegen E. W. Klink III, The Sheep of the Fold. The Audience and Origin of the Gospel of John, MSSNTS 141, Cambridge 2007.
29) T. Nagel, Die Rezeption des Johannesevangeliums im 2. Jahrhundert, ABG 2, Leipzig 2000; Ch. Hill, The Johannine Corpus in the Early Church, Oxford 2004; B. Mutschler, Das Corpus Johanneum bei Irenäus von Lyon, WUNT 189, Tübingen 2006 (s. auch ders., Was weiß Irenäus vom Johannesevangelium? Der historische Kontext des Johannesevangeliums aus der Perspektive seiner Rezeption bei Irenäus von Lyon, in: Frey/Schnelle [Hrsg.], Kontexte [s. Anm. 26], 695–742).
30) So J. R. Donahue (Hrsg.), Life in Abundance (s. Anm. 2); G. van Belle (Hrsg.), Theology and Christology in the Gospel of John, EThL 184, Leuven 2005; J. Lierman (Hrsg.), Challenging Perspectives (s. Anm. 16).
31) So etwa W. Feneberg, Mystik und Politik Jesu. Ein Kommentar zu Johannes 1–12 im Gespräch der Religionen, Stuttgart 2004; S. van Tilborg, Das Johannesevangelium. Ein Kommentar für die Praxis, Stuttgart 2005.
32) Drewermann, Eugen: Das Johannes-Evangelium. Bilder einer neuen Welt. 2 Bde. Düsseldorf: Patmos 2003. Erster Teil: Joh 1–10. 496 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 38,00. ISBN 3-491-50102-4. Zweiter Teil: Joh 11–21. 439 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 38,00. ISBN 3-491-50103-2. Zur Exegese Drewermanns s. meine kritische Analyse in J. Frey, Eugen Drewermann und die biblische Exegese, WUNT II/71, Tübingen 1995, zu joh Texten: 135–171.
33) G. Keil, Das Johannes-Evangelium. Ein philosophischer und theologischer Kommentar, Göttingen 1995.
34) T. Veerkamp, Das Johannesevangelium in kolometrischer Übersetzung, Texte und Kontexte 106/107, Berlin 2005.
35) W. Schmidt, Der brennende Dornbusch. Eine Darlegung des Evangeliums nach Johannes, Theologie, Religionswissenschaft 3, Berlin 2006, 1367 S.
36) Dazu s. J. Frey, Auf der Suche nach dem Kontext des vierten Evangeliums, in: Kontexte des Johannesevangeliums (s. Anm. 26), 3–45 (24 ff.).
37) So z. B. bei G. Parsenios, Departure and Consolation (s. Anm. 22); vgl. auch die Fülle des herangezogenen Materials im Kommentar von C. Keener (s. Anm. 4).
38) S. das Spektrum in: Kontexte des Johannesevangeliums (s. Anm. 26).
39) Vgl. zur Forschungsgeschichte J. Frey, Die johanneische Eschatologie I: Ihre Probleme im Spiegel der Forschung seit Reimarus, WUNT 96, Tübingen 1997, 53–71.
40) Zu nennen ist nur J. Ernst, Johannes. Ein theologisches Porträt, Düsseldorf 1991; vgl. englisch D. Moody Smith, The Theology of the Gospel of John, New York 1995.
41) Vgl. exemplarisch Frey, Eschatologie I (s. Anm. 39), 273–287.
42) F. Siegert, Das Evangelium des Johannes in seiner ursprünglichen Ge­stalt. Wiederherstellung und Kommentar, Schriften des Institutum Judaicum Delitzschianum 6, Göttingen 2008 (im Druck).
43) So habe z. B. Joh 3,23 ursprünglich nach 1,27 gestanden; 2,1–12 und 4,46b–54 ursprünglich nach 4,3; 7,14–18 und 8,1–11 (!) nach 2,14–21; 21,1–14* nach 4,46b–54; 4,4–42 nach 11,55–57; 8,12 ff. nach 9,39; 15,11–18 nach 13,35 etc. Zusätze der Schule sind Kommentare wie 2,22; Konfliktpassagen wie 5,31–47; 6,26–30; 6,51–57.59; 8,37–50; 10,19–39; inkonsistente Bildreden wie 10,1–10; 15,1–10; die Rede vom Hass der Welt 15,19–16,4a und der Rangstreit zwischen Petrus und dem Lieblingsjünger 21,15–23.
44) Die Diskussion, ob dieser Text eine moderne Fälschung sei, ist jüngst wieder heftig entbrannt durch S. C. Carlsson, The Gospel Hoax: Morton Smith’s Invention of Secret Mark, Waco (Tx.) 2005. Zu einer neueren Interpretation und Kontextualisierung des ›Geheimen Markusevangeliums‹ s. E. Rau, Das geheime Markusevangelium, Neukirchen-Vluyn 2003.
45) W. Schmithals, Johannesevangelium und Johannesbriefe, BZNW 64, Berlin-New York 1992.
46) So grundlegend E. Ruckstuhl/P. Dschulnigg, Stilkritik und Verfasserfrage im Johannesevangelium, NTOA 17, Freiburg (Schweiz), Göttingen 1991; vgl. auch M. Hengel, Die johanneische Frage, 239–242; Frey, Eschatologie I (s. Anm. 39), 432–445.
47) R. A. Culpepper, Anatomy of the Fourth Gospel, Philadelphia 1983.
48) S. vor allem den narratologisch inspirierten Kommentar: F. J. Moloney, Belief in the Word. Reading John 1–4, Minneapolis 1993; ders., Signs and Sha-d­ows. Reading John 5–12, Minneapolis 1996; ders., Glory not Dishonor. Reading John 13–20 (21), Minneapolis 1998. Zu Browns Werk s. auch F. J. Moloney, The Gospel of John. The Legacy of Raymond E. Brown and Beyond, in: J. R. Donahue (Hrsg.), Life in Abundance (s. Anm. 2), 19–39.
49) R. E. Brown, An Introduction to the Gospel of John. Edited, updated, introduced and concluded by F. J. Moloney, New York etc. 2003.
50) R. E. Brown, The Gospel according to John (I–XII), AncB 29, New York 1966, XXXIV–XXXIX.
51) Vgl. die Detailstudien in J. Zumstein, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, 2. Aufl., AThANT 84, Zürich 2004.
52) Der Zeitrahmen ist gewählt im Anschluss an G. van Belle, Johannine Bibliography 1966–1985, BEThL 82, Leuven 1988.
53) Vgl. die knappe autobiographische Einführung in: Studien, 1–6.
54) Immerhin vermutet Thyen, das Joh sei »im syrisch-palästinischen Raum entstanden« (Komm., 1).
55) S. auch Frey, Eschatologie I (s. Anm. 39), 308–315.
56) Vgl. Frey, Eschatologie I (s. Anm. 39), 119–140.
57) W. Schmithals, Introduction, in: R. Bultmann, The Gospel of John (transl. G. R. Beasley-Murray), Oxford 1971, 1–18 (12).
58) Vgl. Thyen, Studien, 478, wo auf R. Bauckham (Hrsg.), The Gospels for All Christians, Grand Rapids-Cambridge 1998, verwiesen wird.
59) Vgl. den Titel eines programmatischen Aufsatzes von M. Theobald von 1978: M. Theobald, Der Primat der Synchronie vor der Diachronie als Grundaxiom der Literarkritik, BZ.NF 22 (1978), 161–178. Es ist bemerkenswert, dass Theobald inzwischen in der Johannesauslegung ein dezidiert redaktionsgeschichtliches Entstehungsmodell vertritt.
60) Vgl. die besonders gründliche Kritik bei G. van Belle, The Semeia Source in the Fourth Gospel. Historical Survey and Critical Evaluation of the Semeia Hypothesis, BETL 116, Leuven 1994.
61) Dass der joh Bericht vollständig auf dem Hintergrund von Mk (und Lk) erklärlich ist, hat M. Lang, Johannes und die Synoptiker, FRLANT 182, Göttingen 1999, gezeigt.
62) S. zu den Worttraditionen M. Theobald, Herrenworte im Johannesevangelium, HBS 34, Freiburg i. Br. 2002; zu den Erzähltraditionen etwa M. Labahn, Jesus als Lebensspender, BZNW 98, Berlin-New York 1999, der noch recht zuversichtlich Quellenstücke isoliert, aber eine zusammenhängende »Wunderquelle« mit Recht aufgegeben hat.
63) S. dazu J. Frey, Das Johannesevangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition, in: Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Ka­nons? Neue Standortbestimmungen, hrsg. v. Thomas Söding, QD 203, Freiburg i. Br. etc. 2003, 60–118.
64) S. dazu Frey, Eschatologie I (s. Anm. 39), 69–71.294–297.429–432 u. ö.
65) S. dazu K. Scholtissek, In ihm sein und bleiben. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften, HBS 21, Freiburg i. Br. 2000, 137–139; ders., Relecture und réécriture. Neue Paradigmen zu Methode und Inhalt der Johannesauslegung, ThPh 75 (2000), 1–29. Zur Sache s. auch Th. Popp, Grammatik des Geistes. Literarische Kunst und theologische Konzeption in Johannes 3 und 6, ABG 3, Leipzig 2001.
66) Vgl. die Formulierung bei R. A. Culpepper, Designs for the Church in the Imagery of John 21:1–14, in: J. Frey/J. van der Watt/R. Zimmermann, Imagery (s. Anm. 20), 369–402 (369): »John 1–21 forms a literary unity, regardless of what its composition history may have been.«
67) R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, KEK 2, Göttingen 211986, 543.555.
68) S. dazu J. Frey, Die johanneische Eschatologie III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 116, Tübingen 2000, 19–22.148–153.464–467.
69) Vgl. auch Busse, Johannesevangelium, 260–271.
70) So J. Kügler, Der Jünger, den Jesus liebte, 60 f.
71) So M. Lattke, Johannes 20,30–31 als Buchschluß, ZNW 78 (1987), 288–292; erneut in: Ders., Zwanzig nicht so rätselhafte Limericks zum Johannesevangelium mit einem unmissverständlichen Nachtrag, in: Johannes aenigmaticus (s. Anm. 1), 224–230 (227 ff.).
72) S. dazu Gesa Schenke, Das Erscheinen Jesu vor den Jüngern und der ungläubige Thomas. Johannes 20,19–31, in: L. Painchaud/P.-H. Poirier (Hrsg.), Coptica – Gnostica – Manichaica, FS Wolf-Peter Funk, BCNH.E 7, Québec etc. 2006, 893–904.
73) S. dazu P. M. Head, Some recently published NT Papyri from Oxyrhynchos. An overview and preliminary assessment, TynBull 51 (2000), 1–16.
74) S. dazu M. Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit e. Beitr. zur Apokalypse von J. Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 9–95 (bes. 28 ff.); Ch. E. Hill, The Fourth Gospel in the Second Century: The Myth of Orthodox Johannophobia, in: J. Lierman (Hrsg.), Challenging Perspectives (s. Anm. 16), 135–169.
75) S. dazu jetzt die umfangreichen Arbeiten von B. Mutschler, Irenäus als johanneischer Theologe. Studien zur Schriftauslegung bei Irenäus von Lyon, STAC 21, Tübingen 2004; ders., Das Corpus Johannneum bei Irenäus von Lyon (s. o. Anm. 29).
76) Dazu J. A. Kelhoffer, Miracle and Mission, WUNT II 112, Tübingen 1999.
77) Vgl. M. Hengel, Die johanneische Frage, WUNT 67, Tübingen 1993, 75 ff.
78) S. dazu J. Frey, Zu Hintergrund und Funktion des johanneischen Dualismus, in: D. Sänger/U. Mell (Hrsg.), Paulus und Johannes, WUNT 198, Tübingen 2006, 3–73.
79) So Thyen, Studien, 5, im Anschluss an R. Bauckham (Hrsg.), Gospels (s. Anm. 58).
80) So M. Hengel, Die Evangelienüberschriften, in: Ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, WUNT 211, Tübingen 2007, 526–567 (567).
81) Thyen, Studien, 5.
82) In diesem Sinne auch M. Hengel, Die johanneische Frage (s. Anm. 77), 162f. 201–203; U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 5. Aufl., Göttingen 2005, 484; vgl. Frey, Eschatologie III (s. Anm. 68), 58 f.
83) E. E. Popkes, Die Theologie der Liebe Gottes (s. Anm. 25), 296–305.
84) Vgl. H. Thyen, Art. Johannesbriefe, TRE 17, 186–200.
85) S. dazu ausführlich J. Frey, Heiden – Griechen – Gotteskinder, in: R. Feldmeier/U. Heckel. (Hrsg.), Die Heiden, WUNT 70, Tübingen 1994, 228–268.
86) Dazu grundlegend J. L. Martyn, History and Theology in the Fourth Gospel, New York-Evanston 1968 (3. Aufl. Louisville 2003); im deutschen Sprachraum K. Wengst, Be­drängte Gemeinde und verherrlichter Christus, BThS 5, Neukirchen-Vluyn 1981 (4. Aufl., München 1992).