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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

711–713

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Sautter, Jens Martin

Titel/Untertitel:

Spiritualität lernen. Glaubenskurse als Einführung in die Gestalt christlichen Glaubens.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. 348 S. 8° = Beiträge zu Evangelisation und Gemeindeentwicklung, 2. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2130-5.

Rezensent:

Alfred Seiferlein

Spiritualität und Glaubenskurse besitzen aktuell ihre je eigene Konjunktur. In der Gesellschaft und speziell in den Kirchen gibt es offensichtlich eine Wiederentdeckung der Spiritualität: Einerseits münden die Fragen nach der persönlichen Frömmigkeit bei er­staunlich vielen Zeitgenossen in der Sehnsucht nach einer Einheit von Aktion und Kontemplation, von Beten und Arbeiten. Andererseits ist zu beobachten, dass das religiöse Grundwissen in breiten Bevölkerungsschichten deutlich abnimmt. Die Wissenslücken reichen­ bis in die sogenannte christliche Kerngemeinde hinein. Beiden Phänomenen will eine Vielzahl von Glaubenskursen begegnen. Während bereits vorliegende Untersuchungen verschiedene Glaubenskurse unter kybernetischen Aspekten analysierten, konzentriert sich S. in seiner bei Michael Herbst in Greifswald gearbeiteten Dissertation auf die Perspektive von Glaubenskursen »als Orte[n] spiritueller Lernprozesse« (16). Ziel der Arbeit ist es, die Einladung zum Glauben in einem Glaubenskurs als eine Einführung in christliche Spiritualität zu verstehen. Spiritualität definiert S. durchgehend als Gestaltwerden des christlichen Glaubens im Leben und in Lebensvollzügen.
Im ersten Teil der Untersuchung wird das Verhältnis von Glaube und Lernen thematisiert. In der Spannung zwischen dem Glauben als unverfügbarem Geschenk Gottes und der Intention von Glaubenskursen, pädagogisch gesteuerte Lernprozesse zu ermöglichen, wird beschrieben, wie Glaube entstehen und wachsen kann. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den wahrnehmbaren Erscheinungsformen als Ausdruck christlicher Spiritualität. Der Blick fällt neben humanwissenschaftlichen Erkenntnissen insbesondere auf religionspädagogische Einsichten. Die putative Spannung ist für S. relativ leicht lösbar: Glaube und Lernen sind für ihn in einer »indirekten Weise miteinander verbunden« (35), einerseits besteht eine pädagogische Verantwortung, den Raum für eine Glaubensentwicklung zu bereiten, andererseits sind die Beteiligten dadurch entlastet, dass der Glaube unverfügbar bleibt. Das Phänomen der Spiritualität will S. in vier Lernfeldern untersuchen: Lehre, Gemeinde, Alltag und Liturgie. In diesen Bereichen soll analysiert werden, wie der christliche Glaube konkret Gestalt gewinnt. Seine eigene Kategorisierung von Religiosität bzw. christlicher Frömmigkeit vergleicht S. mit den Entwürfen von F. Wintzer, G. R. Schmidt und U. Boos-Nünning und kommt jeweils zu dem Ergebnis, dass weitgehende Übereinstimmungen in den Grundannahmen festzustellen sind.
Der zweite Teil der Arbeit bereitet zunächst die Analyse der Glaubenskurse methodisch und inhaltlich vor. Entlang der vier be­reits genannten Lernfelder zeigt S. die Problemhorizonte. Konkret werden vor allem die Fragen formuliert, die an die einzelnen ge­meindepädagogischen Arbeitsformen gestellt werden, ohne dass immer die Relevanz der einzelnen Frage und der Zusammenhang erkennbar sind. Der umfangreiche Fragenkatalog soll in den vier Lernfeldern in jeweils drei Schritten erfolgen: 1. Die Bedeutung des jeweiligen Feldes, 2. Die äußere Gestaltung und 3. Die inhaltliche Füllung. In diesem Teil der Arbeit werden die Kriterien für die Auswahl von Glaubenskursen, die aus der großen Zahl der Angebote anschließend analysiert werden sollen, nur sehr flüchtig erörtert.
Im Zentrum der Untersuchung steht die Analyse von fünf ausgewählten Glaubenskursen. Das Gemeindeaufbauprojekt des Ge­meindekollegs der VELKD in Celle »Spiritualität im Alltag – Gottesdienst leben« kommt als erstes Beispiel ausführlich in den Blick. Detailliert und kenntnisreich werden die Grundstruktur und der Ablauf referiert (S. hat dafür eigens an einem Einführungstraining in Celle teilgenommen). Fraglich aber bleibt, warum nur die innere Gestaltung dargestellt wird – ohne den verbindlichen kirchengemeindlichen Rahmen eines Gemeindeaufbauprojekts. Mit der Berücksichtigung dieser wichtigen Dimension wären auch die ge­stellten offenen Fragen zum Gemeindebezug zu klären gewesen. Spannend wäre es gewesen, zu erfahren, wie sich die Einführung in die christliche Spiritualität zwischen einem Glaubenskurs und einem Gemeindeaufbauprojekt unterscheidet. Wie verändert der Prozesscharakter eines Projekts die Erfahrungen mit der Spiritualität sowohl beim einzelnen Teilnehmer als auch in der Wahrnehmung in einer Kirchengemeinde?
Durch die Beschreibung des Projekts »Spiritualität im Alltag – Gottesdienst leben« zieht sich eine mehrfach wiederkehrende grundsätzliche Kritik an einer soteriologischen Grundentscheidung der Verantwortlichen für die theologische Konzeption: Warum bei einer gemeindepädagogischen Arbeitsform, die der Einführung in die christliche Spiritualität dient, ausgerechnet beim Sündenverständnis der »Ton der Anklage« (137) herausgestellt werden soll, bleibt unergründlich. Handelt es sich doch bei dem Projekt eben nicht um einen klassischen Glaubenskurs, der in dogmatische Loci umfassend einführen, sondern um ein Modell, das exemplarisch zu einem gelebten Glauben anleiten will.
Nach der Darstellung des Projekts aus dem Gemeindekolleg der VELKD beschreibt S. in den anschließenden vier Kapiteln des zweiten Teils der Untersuchung ausschließlich Glaubenskurse, die von der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) unterstützt bzw. vertrieben werden: zuerst den in Deutschland weit verbrei­teten Glaubenskurs »Christ werden – Christ bleiben« von Burkhard Krause; sodann den aus der anglikanischen Kirche stammenden »Alpha-Kurs«, der zwischenzeitlich weltweit durchgeführt wird; des Weiteren den ebenfalls aus England stammenden »Emmaus-Kurs«, der in Deutschland von Michael Herbst verantwortet wird; und schließlich den von der bereits verstorbenen Katechetin Waltraud Mäschle in der württembergischen Landeskirche entwickelten Kurs »Stufen des Lebens«, der sich selbst als Religionsunterricht für Erwachsene versteht. Jedes der vier Modelle wird präzise und gewissenhaft vorgestellt und gründlich analysiert. Allerdings verzichtet S. auf einen systematischen Vergleich der vorgestellten Glaubenskurse.
Der dritte Teil der Arbeit versucht zu zeigen, dass Glaubenskurse einen neuen Typ von Evangelisation vertreten. Christliches Leben wird als ganzheitliche Erfahrung von Glaubensinhalten und spi­rituellen Erfahrungen verstanden. Ganz selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass sich alle Glaubenskurse als ein Element der Evangelisation bzw. Mission der Kirche verstehen.
Vorbildlich an der gesamten Arbeit ist die Einführung und Be­gründung der jeweils beabsichtigten Schritte. Die vorgetragenen Analysen werden zusammengefasst, beurteilt und die Ergebnisse konsequent in die weitere Bearbeitung aufgenommen. Die Arbeit hätte noch größere Bedeutung, wenn S. nicht vier der fünf vorgestellten Modelle von einem Anbieter mit relativ ähnlichen Ansätzen gewählt hätte. S. wird seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, dass die ausgewählten Glaubenskurse jeweils für einen Typus stehen sollen. Die Vielfalt der entwickelten Glaubenskurse über die fünf untersuchten hinaus und die hohen Teilnehmerzahlen stellen ein erstaunliches Phänomen in den letzten drei Jahrzehnten dar, das der weiteren Bearbeitung bedarf.
Zusammenfassend ist S. für einen fundierten Diskussionsbeitrag zu einer relativ neuen elementaren Arbeitsform der christlichen Kirchen zu danken. Die Einheit von Glaube und Glaubensvollzügen wird eindrücklich nachgewiesen. Die Arbeit trägt zu einem Verständnis von christlicher Spiritualität bei, die eine Korrelation von der Wirklichkeit Gottes und der Wirklichkeit unserer Welt versucht. S. ist es gelungen, die praktisch-theologische Debatte um einen wichtigen Beitrag zu einer biblisch orientieren Spiritualität zu bereichern.