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Ausgabe: | Juni/2008 |
Spalte: | 672–673 |
Kategorie: | Dogmen- und Theologiegeschichte |
Autor/Hrsg.: | Löhe, Wilhelm |
Titel/Untertitel: | Drei Bücher von der Kirche 1845. Hrsg. v. D. Blaufuß. |
Verlag: | Neuendettelsau: Freimund-Verlag 2006. 270 S. 8° = Wilhelm Löhe-Studienausgabe, 1. Kart. EUR 14,80. ISBN 978-3-86540-016-1. |
Rezensent: | Rudolf Keller |
Der Dorfpfarrer von Neuendettelsau, der an diesem damals erst bekannt werdenden Ort von 1837 bis zu seinem Tod 1872 gewirkt hat und von da aus Impulse für Mission, Diakonie und Gemeinde in die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern gegeben hat, wird gewöhnlich nur nach ein paar Kernzitaten von Hand zu Hand gereicht. Er hat immer schon Bewunderer und Kritiker gefunden. Das ist bis heute nicht wesentlich anders geworden. Die aus seinem Wirken hervorgegangenen Werke berufen sich auf ihn, aber was würde der einsame Mann sagen, wenn er im Jahr seines 200. Geburtstages noch einmal einen Blick aus seinem Amtszimmer auf die kirchlichen Einrichtungen am Ort nehmen könnte?
Er hat zwar die Ehre gefunden, dass seine Schriften und Briefe in einer zwölf Bände umfassenden Ausgabe der »Gesammelten Werke« vorliegen, aber eine handliche und für Studierende wie für solche, die sich leicht einlesen möchten, geeignete Ausgabe hat es schon lange nicht mehr gegeben. Alle seine Texte sind in seine Zeit hinein formuliert. An manchen Stellen bedürfen sie der erklärenden Anmerkung, die das Verständnis erleichtert. Das gab es bisher noch nie. Diesem Mangel will die neue Studienausgabe abhelfen. »Hier wird eine Studienausgabe vorgelegt. Das ist im wörtlichen Sinn gemeint. Das Textstudium soll nicht durch vielerlei auch mögliche Beigaben, Paratexte etc. in den Hintergrund gedrängt werden. Ein zuverlässiger Text, in der Gestaltung möglichst den gängigen Standards folgend, sowie dokumentierende, erklärende, ergänzende und unterstützende Erläuterungen sind die essentiellen Voraussetzungen eines ertragreichen Textstudiums. Der Verlockung des Interpretierens ist bei der Erarbeitung einer Studienausgabe tunlichst zu widerstehen: alles Bemühen hat dem Interesse des Autors seiner Leserschaft gegenüber zu dienen« (5). Der Text wurde nicht zufällig aus dem Gesamtwerk herausgegriffen. Dieser im deutschen Luthertum und in den ausländischen Partnerkirchen der von Neuendettelsau ausgegangenen Arbeit hoch geschätzte Text stammt aus der frühen Zeit L.s. Hier ist es ihm gelungen, in aller Ruhe und Sachlichkeit ein Werk über die Kirche vorzulegen, das bis heute von großem Wert ist und gerade deshalb verdient, wieder neu gelesen zu werden. Der Text, den man bisher in alten Frakturlettern las, ist nun mit modernen Buchstaben sauber dargeboten und bearbeitet.
Immer hat man von L.s Luthertum gemeint, es stelle die einigende Mitte der Konfessionen dar. Er hat die Ökumeniker auch fasziniert. Sein Verständnis von Ökumene hat jedoch gegenüber einem heute oft propagierten Ökumene-Verständnis deutlichere Konturen. Dem modernen Pluralismus huldigte L. ganz und gar nicht. Oft wird er als Konfessionalist verschrien, aber dagegen hat er sich selbst schon mit guten Argumenten verteidigt. Seine aus der Frömmigkeit der Erweckungsbewegung herkommende Beschäftigung mit der Bibel gab ihm den Zugang zum lutherischen Bekenntnis, das er hochgeschätzt, aber nie an die Stelle des Wortes Gottes gesetzt hat. Zu diesen Themen finden sich in diesem Text zentrale Aussagen, die er später unter kritischen Rückfragen zwar noch präzisiert, aber nicht revidiert hat. Der Text ist auch deshalb wichtig, weil er einen »Gesamtwurf« zu L.s Anliegen darstellt. Spekulationen, was L. noch alles gewollt hat und wie er deshalb richtig verstanden werden müsse, können sich hier vor die Nagelprobe stellen lassen, ob sie einen richtigen Weg beschreiten oder nicht. Das gilt aber ebenso für die rasch erhobenen Kritiken, die von Hand zu Hand weitergereicht werden. An vielen Stellen werden Hinweise auf Löhetexte in Briefen und anderen Schriften gegeben, die erläutern, was L. hier sagen wollte. Oft ist es auch gut, dass dem Leser verdeutlicht wird, dass L. wieder einmal in Anspielung auf eine Stelle der Bibel spricht. Er konnte damals eine andere Vertrautheit mit Bibeltexten voraussetzen als wir heute. Deshalb ist es hilfreich, darauf in Anmerkungen hingelenkt zu werden. Alle diese Hilfen dienen der Aufgabe, dass man L. nicht in eine falsche Richtung deutet und versteht.
Diese Ausgabe ist nicht nur auf Handlichkeit bedacht. Sie genügt auch dem Interesse des Forschers, der anhand der Ausgabe schnell erkennen kann, worauf sich ältere Interpreten beziehen, die in dem Text auf Grund von verschiedenen älteren Ausgaben geforscht haben. Man kann diese Zitate leicht verifizieren. So ist diese längst fällige Bearbeitung eine wichtige Hilfe zum Löhestudium in unserer heutigen Zeit, die zwar ganz andere Fragen stellt, die aber beim Studium der Antworten, wie L. sie gab, noch immer wichtige zu verhandelnde Themen wiedererkennen lässt.
Möge die Ausgabe das werden, was sie sein will: eine Hilfe zum Verständnis und zur Auseinandersetzung mit einem besonderen Vertreter der Geschichte der bayerischen Kirche und des deutschen Luthertums überhaupt. Die Wahl dieses Textes als Band 1 der neu begonnenen Studienausgabe hat den wichtigsten und ergiebigsten Text gefunden. Das wird die Nummer 1 in vieler Hinsicht bleiben.