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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

663–664

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Arndt, Johann

Titel/Untertitel:

Von wahrem Christenthumb. Die Urausgabe des ersten Buches (1605). Kritisch hrsg. u. m. Bemerkungen versehen v. J. A. Steiger.

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 2005. 414 S. m. Abb. 8° = Philipp Jakob Spener Schriften. Sonderreihe: Texte – Hilfsmittel – Untersuchungen, 4; Johann Arndt-Archiv, 1. Geb. EUR 98,00. ISBN 3-487-12939-6.

Rezensent:

Markus Matthias

Ein eigenartiges Leseerlebnis: Wer Johann Arndts Klassiker bislang nur in einer populär-erbaulichen Ausgabe des späten 19. Jh.s las, konnte sich nicht wirklich sicher sein, einen historisch verlässlichen Text vor sich zu haben. Nun haben wir – neben dem Reprint der Vier Bücher von 1610 – endlich einen Text der ersten Fassung des ersten Buches, also den authentischen, von keiner Zensur beeinflussten und von keiner erbaulichen Rezeption verdeckten Text vor uns. Steigers Edition druckt die Erstausgabe des ersten Buches des Wahren Chris­tentums (Frankfurt a. M. 1605) ab, von dem weltweit nur zwei Exemplare bekannt sind, und verbessert die Satzfehler. Dafür zieht er, gleichsam als Beleg, den zweiten Druck (Braunschweig 1606) heran, wobei von 166 Emendationen nur 19 (mit zwei Errata) nach diesem emendiert werden können. Das ist insofern unerheblich, als die meis­ten Druckfehler wirkliche Satz- und Druckfehler (beschädigte Buchstaben, Fliegenköpfe) sind (was leider bei den benutzten Schrifttypen nicht immer deutlich wird). Wirklich sinnentstellende Druckfehler sind die Ausnahme. Die Ligaturen dz und wz werden nicht aufgelöst. (Auf S. 165 müsste statt der öffnenden Klammer eine Virgel stehen.) Steigers Edition bietet also einen korrigierten Neusatz, keine historisch-kritische Edition.
Der Neudruck im Format 19 x 12 cm bietet die 478 Seiten der Vorlage auf 334 Seiten (7–340) und vermittelt so zugleich einen Eindruck von dem Format der ersten Auflage. Als Zugaben des Herausgebers schließen sich an den Text eine Liste der Emendationen (341–347) und eine Verzeichnung der beiden dem Nachdruck zu Grunde gelegten Drucke an. Es folgen die Bemerkungen des Herausgebers zu den Editionsprinzipien (351), zur Druck- und Entstehungsgeschichte des Werkes bis zu seinem Abschluss mit dem vierten Buch im Jahre 1610 (351–374) sowie allgemeine Angaben zum Stand der Arndtforschung (375–385) und zur Wirkungsgeschichte (385–401). Den Band schließen einige Abbildungen der benutzten Drucke ab. Insgesamt gesehen bietet das Nachwort keine neuen Erkenntnisse, aber eine ausführliche und nützliche Einleitung mit ausführlichem Abdruck wichtiger Quellen.
Jedes der 40 Kapitel ist emblemhaft dreigliedrig gestaltet. Auf die Kapitelangabe folgen nämlich zunächst das Thema, dann ein Bibelvers und schließlich der Beweisgang, der eine von dem Bibelvers unabhängige Betrachtung, keine schulmäßige Auslegung oder Predigt bietet.
A. sieht das Christentum in den christlichen Tugenden verwirklicht, die alle in der Abkehr von dem Hängen an der kreatürlichen Welt oder in der (nachfolgenden) Buße übereinkommen. Das Üben dieser Tugenden lässt sich individuell »probieren« in dem doppelten Sinne des Prüfens und des Nachweisens (s. den Begriff der »proba«, z.B. 135 u. 136 [hier offenbar im Original nicht in Antiqua gesetzt], 145.198.208.234.263.327.335). Entsprechend ist die Erfahrung und Empfindung des eigenen christlichen Lebens ein Hauptthema A.s. Charakteristisch ist die eigentümliche Zeitlosigkeit in dem Werk. A. schreibt angesichts der nahen Endzeit. Das kreatürliche Leben einschließlich persönlicher Bindungen (Tod) spielt keine Rolle, konkrete Zeitumstände verschwinden, die Geschichte ist nur der Spiegel dessen, was im Menschen spiritualistisch vor sich gehen muss.
Unwillkürlich fragt man sich, wen dieses (am weitesten verbreitete) Erbauungsbuch angesprochen haben könnte? Wer hat sich den scharfen Aufruf zu Buße und Weltabkehr gefallen lassen? Wer ist ihm gefolgt? Wer waren die Rezipienten dieses Buches, und vor allem wie haben sie es rezipiert: als Lebensanweisung, Kirchenkritik oder als Entlastung? Wie veränderte sich die Rezeption im Laufe der Jahrhunderte? Es wäre zu hoffen, dass mit der Neuedition die Interpretation der A.schen Texte neu in das Blickfeld der Arndtforschung träte.