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Ausgabe:

März/1997

Spalte:

265–267

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Gummelt, Volker

Titel/Untertitel:

Lex et Evangelium. Untersuchungen zur Jesajavorlesung von Johannes Bugenhagen.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1994. XI, 209 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 62. Lw. DM 158,­. ISBN 3-11-014204-X.

Rezensent:

Jørgen Ertner

Diese Monographie zur Jesajavorlesung Bugenhagens, eine von der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald angenommene Dissertation, nun für den Druck leicht überarbeitet, ist ein interessanter Beitrag zur Erforschung des Exegeten Bugenhagen. Dieses Thema war bis zu H. H. Holfelders grundlegender Arbeit zum Psalmenkommentar und zu Bugenhagens Paulusexegese vernachlässigt worden, obwohl es von großer Bedeutung ist, da Bugenhagens Arbeit als Schrifttheologe die Grundlage sowohl für sein reformatorisches Wirken als auch für sein kirchenpraktisches Handeln war. Schon in seinen ersten Wittenberger Jahren (1521-1524) hielt Bugenhagen als noch unbesoldeter Universitätslehrer eine beachtliche Reihe von exegetischen Vorlesungen ­ z. B. eben die Jesajavorlesung 1522-1524. G. gibt in seinem Buch einen umfassenden Überblick über diese Vorlesungstätigkeit Bugenhagens in den Jahren 1521-1524. Bemerkenswert dabei ist, daß es G. gelungen ist, bis jetzt noch nicht beachtete Handschriften einzubeziehen. Die genannten Jahre waren für Bugenhagen auf exegetischem Gebiet die produktivsten ­ gleichzeitig waren sie für ihn die Zeit der intensivsten Aneignung reformatorischer Theologie im Vollzug der Schriftauslegung. Die Vorlesungen zum Psalter und zu Jesaja erweisen sich als die großen dieser Zeit und sind nach G. nur noch mit der Vorlesung zum 1. Korintherbrief in den 30er Jahren und mit dem 1546 gedruckten großen Jeremiakommentar (Vorlesungen dazu in den 30er Jahren?) vergleichbar.

Die Jesajavorlesung wurde nie gedruckt, obwohl Bugenhagen daran dachte, dann aber verzichtete. Die Vorlesung ist in drei voneinander unabhängigen Handschriften überliefert, die von G. eingehend beschrieben werden: 1. die Greifswalder Kollegmitschrift ­ die einzige direkte studentische Vorlesungsmitschrift, die mit der Exegese von Jes 9,12 endet; 2. die Reinschrift der Auslegung von Stephan Roth ­ die einzige vollständig überlieferte Nachschrift, und 3. die Reinschrift Bugenhagens selbst, eine Bearbeitung des eigenen Vorlesungsmanu-skriptes für die geplante Drucklegung, die bei Jes 40,4 endet.

Die Untersuchungen G.s umfassen die gesamte Vorlesung. Ihre Schwerpunkte sind die Auslegungsmethode Bugenhagens, Überlegungen zu den von ihm benutzten Autoren und Hilfsmitteln, Bugenhagens hebraistische Forschung und seine theologischen Grundgedanken.

Bugenhagen sieht den zentralen Inhalt des Prophetenbuches in der Verkündigung von Lex et Evangelium. Er kann Jesaja als "Meister des Gesetzes und des Evangeliums" bezeichnen. Inhaltlich steht die christologische Auslegung im Vordergrund, methodisch überwiegt die historische Auslegung, obwohl Bugenhagen auch die allegorische Methode anwendet ­ offenbar beherrscht von den reformatorischen Prinzipien "solus Christus" und "sola scriptura". Bugenhagens Ausgangspunkt ist der Vulgatatext, ab Jes 11,2 ist jedoch eine relativ durchgängige Bezugnahme auf den Urtext belegbar.

Auffällig ist, daß Luther in dieser Vorlesung nicht erwähnt wird. Allerdings stellt G. bei der intensiven Untersuchung des Textes fest, daß Bugenhagen in der Auslegung von Jes 40,2 Luthers berühmten Begriff von der "Freiheit eines Christenmenschen" zitiert: "foelix vicissitudo" ("fröhlich wechssel"). Melanchthon hingegen wird erwähnt und G. konstatiert einen Einfluß seiner "Loci communes" auf die Begriffsbestimmung von Gesetz und Evangelium. Dennoch ist Bugenhagen in seiner Exegese einigermaßen selbständig. Er geht ­ wie G. sagt­ "eigene Wege und gelangt gelegentlich zu eigenständig wirkender Ausprägung theologischer Gedanken, dies aber immer in wesentlicher Übereinstimmung mit Grundpositionen der Wittenberger Theologie".

G. vertritt die Auffassung, daß es nicht möglich ist, aus der Jesajavorlesung eine betimmte Theologie Bugenhagens herauszuarbeiten. Das Herausziehen der theologischen Hauptlinien dieser Vorlesung dient ihm als Vorarbeit zur Erforschung der Theologie Bugenhagens insgesamt. Bugenhagens Schlüssel zum Verstehen der Propheten sind s. E. dabei Gesetz und Evangelium, wobei er dieses Thema in Verbindung mit der reformatorischen Rechtfertigungslehre bringt. Die theologisch-systematischen Grundgedanken Bugenhagens stellt G. daher von vier Hauptbegriffen aus dar: Gesetz, fides, spiritus sanctus, Evangelium. Besonders bemerkenswert ist, daß sowohl fides als auch spiritus sanctus von Bugenhagen als donationes Dei verstanden werden. Der Heilige Geist gilt als Grundlage der Rechtfertigung und sowohl fides als auch spiritus sanctus werden von Bugenhagen als Verdienst Christi angesehen. Christus wird bezeichnet als "doctor" ("docuit suam ecclesiam lex et verbum domini") und als "rex, sacerdos et mediator noster". Die Gläubigen werden durch den Heiligen Geist belehrt als "teodidaktoi", ein Wort, das sich aus 1Thess 4,9 herleitet, Bugenhagen aber wahrscheinlich aus Melanchthons "Loci" übernommen hat. In der zur Debatte stehenden Vorlesung werden die Begriffe "rex" und "sacerdos" betont, beide erscheinen als Interpretamente für Christus als Mittler zwischen Gott und Mensch im Rechtfertigungsgeschehen und seiner Dialektik von Gesetz und Evangelium.

G.s Abhandlung muß als wertvoller Beitrag zur neueren Bugenhagenforschung bezeichnet werden. Er verwertet umfassendes Material, das teilweise bisher ungenutzt geblieben war. Die Primärquellen sind handschriftlich überliefert und nicht in Textausgaben zugänglich und werden von G. ausgezeichnet analysiert. Man wünschte sich allenfalls noch nähere Aufklärung darüber, ob Bugenhagen den oben erwähnten wichtigen Begriff "foelix vicissitudo" von Luther übernahm und welche Rolle er in Bugenhagens eigener Interpretation der Rechtfertigungslehre spielt. Gibt der Text der bearbeiteten Vorlesung darüber Auskunft? Alles in allem erweitert die vorliegende Abhandlung die Kenntnis von Bugenhagen als Exegeten und reformatorischen Theologen und wird zweifellos zu weiteren Studien der theologischen und schriftstellerischen Tätigkeit Bugenhagens anregen.