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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

659–661

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Thümmel, Hans Georg

Titel/Untertitel:

Die Konzilien zur Bilderfrage im 8. und 9. Jahrhundert. Das 7. Ökumenische Konzil in Nikaia 787.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2005. XXIV, 319 S. gr.8° = Konziliengeschichte. Reihe A: Darstellungen. Lw. EUR 62,00. ISBN 3-506-71374-4.

Rezensent:

Johannes Bernhard Uphus

Ausgelöst durch das 1200-jährige Konzilsjubiläum 1987 hat sich in den vergangenen 20 Jahren durch eine Fülle von Literatur ein neues Interesse am byzantinischen Bilderstreit und insbesondere am Zweiten Konzil von Nikaia (787) dokumentiert. Nun hat Hans Georg Thümmel, Greifswalder Emeritus für Christliche Archäologie und Geschichte der kirchlichen Kunst, in der von Walter Brandmüller herausgegebenen Konziliengeschichte einen lange Desiderat gebliebenen Überblick über diese besonders für die orthodoxen Kirchen prägende Epoche vorgelegt.
Nach einer sehr erhellenden Einleitung (I.) zur unterschiedlichen Bedeutung des christlichen Bildes in Ost und West, die einen knappen Problemaufriss und sehr hilfreiche Begriffsklärungen bie­tet, beginnt Th. die eigentliche Darstellung mit einem Kapitel über »Die Entwicklung der Bilderfrage bis zum 8. Jahrhundert« (II.), um dann in zwölf weiteren Kapiteln die beiden Phasen des Bilderstreites zu behandeln. Von dessen Beginn im Jahr 726 über das Konzil der Bildergegner in Hiereia 754 bis zur ersten Rehabilitierung der Bilder in Nikaia 787 und der darauf bezogenen Reaktion der Franken handeln Kapitel III–IX, von der Erneuerung der bilderfeindlichen Beschlüsse 815 bis zur endgültigen Wiedereinführung der Bilder 843 Kapitel X–XIII. Die verbleibenden vier Kapitel befassen sich mit der erneuten Stellungnahme der Franken zur Bilderfrage im 9. Jh. (XIV.), den Konzilien während der Auseinandersetzung zwischen Ignatios und Photios (XV.), beschreiben »Fortleben und liturgische Würdigung« der Ergebnisse des Bilderstreits (XVI.) und geben einen zusammenfassenden »Rückblick und Ausblick« (XVII.). Ein Personen- und Schriftenregister schließt den Band ab.
Auf historisch-faktischer Ebene lässt Th. Vorsicht walten. Von einer übergroßen Nähe zum überlieferten Material, in dem die Verhältnisse im Licht der letztlich siegreichen bilderfreundlichen Seite erscheinen, grenzt er sich ebenso ab wie von weitreichenden Verdächtigungen, wie sie etwa Paul Speck vorgetragen hat (XXII f.). Fraglich ist, ob die von Th. oft betonte Vorentschiedenheit der Sachfrage und konsequente Regie des Ablaufs in Nikaia nicht bei näherem Hinsehen Differenzierungen erkennen lassen.
Aus philologischer Sicht wären verschiedene Punkte kritisch zu beleuchten. Vor allem die Frage nach der Echtheit bzw. dem Verfasser bestimmter in Nikaia vorgetragener Testimonien (vor allem des Neilosbriefs an Olympiodoros und des sog. Briefes Papst Gregors an Patriarch Germanos, vgl. 155–158.164–168) bedürfte gründlicher Aufarbeitung. Zum Hadrianbrief an Tarasios gibt Th. Erich Lamberz’ Position unzutreffend wieder; bei der lateinischen Fassung des Schreibens handelt es sich nach Letzterem nicht um eine Rück­übersetzung aus dem Griechischen, sondern wie beim Hadrianbrief an die Kaiser um den lateinischen Originaltext (143 mit Anm. 687). Th. hat ferner den syntaktisch komplizierten Kernteil des Ho­ros von 787 wie viele andere vor ihm missverstanden (176 f., vgl. COGD 314 f.,159–198).
Teils erhebliche Mängel sind zu konstatieren, wo es um theologische Zusammenhänge und Hintergründe geht. Im Gegensatz zu Th.s bereits früh (10) formulierter These einer nur äußerlichen Bemühung der Christologie als Argument für die Ikone besteht sehr wohl ein innerer Zusammenhang zwischen der in den Konzilien von Chalkedon und Konstantinopel (681) verteidigten Eigenständigkeit von Jesu Christi menschlicher Natur und seiner in Nikaia verfochtenen Darstellbarkeit. Dreh- und Angelpunkt dieser Verbindung bleibt Kanon 82 des Trullanum, den Th. nicht nur mit Hinweis auf seinen disziplinären Charakter (27.159 f.) marginalisiert, sondern auch inhaltlich fehlerhaft wiedergibt (28.160, möglicherweise weil er sich an der nicht sicher authentischen Überschrift orientiert): Es handelt sich dem Wortlaut des Kanons zu­folge gerade nicht um ein Verbot, das Lamm darzustellen, sondern um die Anordnung, statt des Lammes Jesus Christus in menschlicher Gestalt abzubilden. Vor allem bleibt bei Th. die soteriologische Begründung dieser Bestimmung unerwähnt: Durch die Darstellung Jesu nach seinem menschlichen Aussehen soll der Betrachter die »Hoheit der Erniedrigung« (τὸ τῆς ταπεινώσεως ὕψος, COGD 281,2315 f.) des Logos erfassen und zum Gedenken seines Lebenswandels im Fleisch, seines Leidens, seines heilbringenden Todes und der daraus der Welt erwachsenen Erlösung geführt werden. Wenn dabei gerade Leiden und Tod in den Blick treten und die Erhöhung keine Erwähnung findet, lässt dies erkennen, dass die menschliche Natur des Logos ganz ernst genommen werden soll, wie es der Stoßrichtung von Chalkedon und Konstantinopel III entspricht und später im Horos von Nikaia ebenfalls betont wird. Leider versäumt es Th., den betreffenden Passus zu zitieren, der dem Kernteil des Horos von 787 unmittelbar vorausgeht (vgl. COGD 313 f.,149–158), und stützt sich lediglich auf die eigentliche Ent­scheidung (176 f.), die zur Beurteilung der Ikonentheologie Nikaias allein nicht ausreicht.
Selbst die Darstellung der chalkedonischen Christologie lässt zu wünschen übrig. So wird die Inkarnation durch die Erhöhung aus chalkedonischer Sicht nicht zurückgenommen oder auch nur relativiert (vgl. COGD 130 f.,140–152; 136 f.,360–392 [präsentische Ausdrucksweise!], gegen Th., 42 f.). Auch dass Hiereias Berufung auf die früheren Konzile nicht die tatsächliche Übereinstimmung mit deren Lehre garantiert, entgeht Th. (43). Vielmehr lässt der Horos von 754 mit der Verflüchtigung der soteriologischen Bedeutung von Jesu menschlicher Natur deutlich monophysitische Tendenzen erkennen, verursacht wohl dadurch, dass die Hypostase des Logos mit Eigenschaften des göttlichen Wesens verbunden wird (so im neunten Anathematismus von Hiereia: τὴν ἀπερίγραφον τοῦ Θεοῦ λόγου οὐσίαν καὶ ὑπόστασιν, Mansi 337C).
Th. missversteht ferner Hiereias Berufung auf die Eucharistie als wahre Christusikone offenbar im entscheidenden Punkt (71 f. mit Anm. 286): Sie empfängt für die Bildergegner gerade deswegen die der Gottheit geschuldete Verehrung zu Recht, weil sie unfigürlich und von Christus selbst eingesetzt ist, ja diesen selbst gegenwärtig sein lässt und darum über jeden Verdacht der Idolisierung erhaben ist.
Ob schließlich, wie Th. meint, »der Unterschied zwischen Verehrung und Anbetung zunächst nur ein verbaler ist« (182, ähnlich schon 26), darf man angesichts der breiten Ausführungen dazu im Brief des Tarasius und der Synode an die Kaiser (Mansi 13, 404E–408A) bezweifeln. Dort wird die Polysemie von προσκύνησις, das beides bedeuten kann, thematisiert und der jeweils vorliegende Sinn mit der inneren Haltung der die Proskynese Übenden verbunden. Anbetung bedeutet demnach die glaubende Hingabe an Gott (vgl. τὴν κατὰ πίστιν ἡμῶν ἀληθινὴν λατρείαν, »die unserm Glauben entsprechende wahre Anbetung« im Horos, COGD 315,186 f.), Verehrung die wertschätzende Geste einer Person oder einem Gegenstand gegenüber, die mit Gott in Verbindung stehen.
Die hier vorgetragene Kritik tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch, dass Th. die im Vorwort formulierte Zielsetzung einer knappen Darstellung des Bilderstreits, »um ein geschlossenes Bild der Entwicklung zu vermitteln« (XXI), mit diesem Band erreicht. Besondere Hervorhebung verdient die klarsichtige Unterscheidung zwischen frühbyzantinischem und modernem Ikonenverständnis. Zur Orientierung im komplexen historischen Zusam­menhang des Bilderstreits bietet das Werk weiterführende Inform­ationen, die allerdings zumal in theologischer Hinsicht der Vertiefung bedürfen.