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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

657–659

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Sudmann, Stefan

Titel/Untertitel:

Das Basler Konzil. Synodale Praxis zwischen Routine und Revolution.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2005. 508 S. gr.8° = Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters, 8. Kart. EUR 79,50. ISBN 978-3-631-54266-8.

Rezensent:

Josef Wohlmuth

Die Erforschung des Konzils von Basel (1431–1449) hat in den vergangenen Jahrzehnten einen ungeahnten Aufschwung erfahren. Die an der Universität Münster eingereichte historische Dissertation stellt einen weiteren Meilenstein dar. Schon der Einblick in das Quellen- und Literaturverzeichnis (426–499) zeigt, mit welcher Akribie die Vielfalt der Aspekte dieses Konzils bearbeitet wurde.
Nach einem gedrängten, aber informativen Einblick in die Forschungslage unterbreitet der Vf. die Leitlinien seiner eigenen Forschung. Über der Arbeit steht ein Zitat des papstfreundlichen Libellus von 1436, wonach Basel alles unternehme, was eigentlich dem kirchlichen Souverän zustehe. Dies aber bedeute eine »Selbstüberschätzung« (18) des Konzils. Der Vf. entscheidet sich für eine Methode des Vorgehens, in der die einzelnen »Aktionen des Konzils« (20) in den Fragen von pax, fides und reformatio analysiert werden. Dabei sei die sprachliche Analyse von Bedeutung (vgl. 21). Er legt Wert auf die konziliaren Verfahren und Abstimmungsmethoden, während ich selbst die theologische Bedeutung der Synodalbriefe in ihrem Eigengewicht stärker betonte.
Zunächst erhalten die Leser Einblick in den institutionellen und organisatorischen Rahmen des Konzils mit der beachtlichen Basler Geschäftsordnung (23–34). Darüber hinaus wird gezeigt, dass sich das Konzil mit der zügigen Einrichtung von Kanzleibüros auf Dauer zu etablieren versucht und so etwas wie einen päpstlichen Hof nachbildet (35–44). Das Konzil schließe hier pragmatisch an römische Verwaltungsmodelle an (vgl. 43 f.). In der Überschrift (35) (wie auch sonst bisweilen) finde ich den Ausdruck »Ideologie« störend, da sonst die Vorurteile der bisherigen Forschung zu Guns­ten der Konzilspragmatik doch gerade korrigiert werden.
Das Herz der Arbeit bildet das umfangreiche dritte Kapitel (»Negocia concilii – Das konziliare Tagesgeschäft«; 45–324). Unter dem Stichwort pax werden Fälle dargestellt, in denen das Konzil als »Richter und Schlichter« zu wirken hatte (vgl. die Analysen der kirchlichen Streitsachen in 20 Punkten). Friedliche Verständigung (via pacis) unterscheide sich von den förmlichen Gerichtsverfahren (iusticia). Der Fall Trier ist einer der bekanntesten, weil er auch von der Cusanusforschung aufgegriffen wurde. Hinzu kommen Be­schwerdeverfahren (vexaciones) (45–138). Viele Probleme hängen mit der kirchlichen Wahlpraxis des späten Mittelalters zusammen. Weniger umfangreich sind die Causae profanae (138–169). Der pres­tigeträchtigste Fall ist der Friede von Arras (163–169), der freilich den 100-jährigen Krieg zwischen Frankreich und England nicht beenden konnte. Hat sich das Konzil hier an einem politischen Schwergewicht überhoben (vgl. das Zitat, 169)?
Von besonderem theologischen Interesse sind die Causae fidei, die der Vf. ausführlich darstellt (170–248). Unter der Überschrift »Ad conservandam fidei catholicae veritatem« – angesichts der behandelten Fälle mit »Ketzerprozesse« wohl zu negativ umschrieben – werden so verschiedene Fälle behandelt wie die Verurteilung des extremen Konziliaristen Guillaume Josseaume, die Beurteilung der Offenbarungen der heiligen Birgitta von Schweden und das Todesurteil des Nikolaus von Buldesdorf. Für den Vf. ist vor allem wichtig, dass keiner dieser Prozesse »zur Steigerung des konziliaren Pres­tiges mißbraucht worden« sei (199). Vielfach sei fortgesetzt worden, was in Rom bereits begonnen hatte. »In jenen Fällen, die eine vorherige päpstliche Untersuchung vorweisen können, weicht das Konzil nicht von diesen Vorgaben ab.« (199) Zwei positive Beispiele einer Causa fidei betreffen die Kanonisation des Peter von Luxemburg (199–204) und vor allem das Konzilsdekret über die Immaculata Conceptio. Der Vf. geht hier auf die theologiegeschichtlichen Hintergründe und die intensive Diskussion auf dem Konzil ausführlich ein. Franziskaner- und Dominikanerschule stehen gegeneinander. Der Dominikaner Juan de Torquemada schreibt: »Nemo renascitur in Christi corpore, nisi prius nascatur in peccati corpore.« (Zit. 237) Mit der sog. »Restlehre« steht das Verhältnis von Ekklesiologie und Mariologie zur Debatte. Maria sei unter dem Kreuz die einzige Glaubende geblieben und stelle so die gesamte Kirche dar. Johannes von Segovia, der Chronist und überzeugte Konziliarist in Basel, der für die Lehre der Immaculata Conceptio eintrat, folgte dennoch dem Theorem der »Restlehre« nicht (vgl. 242–248). (Er war der Auffassung, dass der Glaube prinzipiell eine kommunikative Größe sei.) Der Schluss, den der Vf. zieht, dass die Restlehre nicht geeignet war, das Interesse der Konziliaristen an der Lehre von der Immaculata zu vertreten, ist zutreffend (248). Zutreffend ist auch, dass die Verkündigung dieser Lehre durch das Konzil so sehr aus den theologiegeschichtlichen Prämissen er­wachsen ist, dass man auch hier keine antipapalistische Tendenz des Konzils erkennen kann.
Schließlich behandelt der Vf. das Basler Reformprojekt (249–324). Einleitend bemerkt er, dass dieses vielfach behandelt worden sei, wenngleich es nur eines von vielen der Basler Aktionsfelder ist (249). »Reform« sei in jener Zeit kein Spezifikum dieses Konzils gewesen. Flügelkämpfe um die Reform habe es vor allem zwischen den Prälaten und dem niederen Klerus gegeben (252). Detailliert behandelt werden dann das Annatendekret von 1435, das Verbot des Konkubinats und die Kalenderreform. Letztere ist hermeneutisch besonders aufschlussreich, weil man annahm, das Konzil von Nizäa habe diesbezüglich ein Verbot ausgesprochen. Verabschiedet wird die Kalenderreform nicht, weil man die Auswirkungen auf die Obödienzen fürchtete, in denen unter Umständen verschiedene Ka­lender gegolten hätten (vgl. 271 f.). Unter der Überschrift »Die Laien« wird eher eine Fehlanzeige angemeldet. Dies erweise sich am Liturgiedekret von 1435, wo es mehr um den Klerus als um die Laien gehe (273). Das Dekret der 19. Sitzung über die Juden, das leider ebenfalls unter der Überschrift »Laien« behandelt wird, wird zutreffend interpretiert (274–278). Dass der Judenhass im Anschluss an das Basler Dekret vor allem den Klerus betraf, berechtigt m. E. noch nicht, diesen Abschnitt unter die obige Überschrift zu stellen. Als beachtlich schätzt der Vf. die Versuche des Konzils bzw. einzelner Konzilsteilnehmer zur Ordensreform ein. Doch insgesamt sei der große Schlag gegen Rom nicht auf dem Gebiet der Kirchen-reform gelungen (291). Schließlich stellt der Vf. die Frage, ob das Konzil durch die Ausschreibung eines Ablasses gegen die eigenen Prinzipien der Kirchenreform verstoßen habe. Hier finden sich wiederum Elemente von großem theologischen Gewicht, zumal der Ablasstraktat des Kölner Theologen Heimerich de Campo, der zur Zeit der Abfassung noch Konziliarist war, eine Reihe brisanter ekklesiologischer Gesichtspunkte enthält (vgl. die Priorität des Epitheton catholica vor apostolica und das zentrale Argument des Traktats, 324, sowie zuvor besonders 309–323).
Das vierte Kapitel (325–420) bringt unter verschiedenen Stichpunkten eine Art Zusammenfassung der vorausgehenden detaillierten Analysen. Es wäre m. E. besser gewesen, dieses umfangreiche Stück in die allzu kurz geratene »Bilanz« (421–424) einzuarbeiten und eine historische Gesamteinschätzung des Konzils zu ver­suchen. Die Höhepunkte der Arbeit liegen eindeutig im zweiten und vor allem im dritten Kapitel.
So sehr mich die These des Vf.s überzeugt, dass aus dem Verlauf des Basler Konzils keine antipäpstliche Grundtendenz zu eruieren ist und dieses Konzil in Kontinuität zur kirchlichen Lehrentwick­lung steht (vgl. besonders 343), so wenig überzeugt mich, dass der eigentliche Konflikt im Umkreis der 25. Sitzung und die gravierenden Folgen völlig ausgeblendet wurden. Man kann das Basler Konzil eine Klerusversammlung nennen. Doch es hat weit mehr Beteiligung und Stimmrecht zugelassen als alle folgenden Konzilien.
Trotz dieser Bemerkungen sehe ich in dieser Arbeit einen weiteren Meilenstein in der Erforschung des Basler Konzils.