Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

646–648

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schurig, Sebastian

Titel/Untertitel:

Die Theologie des Kreuzes beim frühen Cyrill von Alexandria. Dargestellt an seiner Schrift »De adoratione et cultu in spiritu et veritate«.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. VIII, 361 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Chris­tentum, 29. Kart. EUR 64,00. ISBN 3-16-148659-5.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Das hier anzuzeigende Buch geht auf eine Dissertation zurück, die im Sommersemester 2001 von der Jenaer theologischen Fakultät angenommen wurde (Betreuer Ch. Markschies). Der Vf., jetzt Pfarrer der thüringischen Landeskirche, lernte nach eigenem Bekunden ein »Privileg für einen angehenden Pfarrer« darin erkennen, »über einen Theologen wie Cyrill von Alexandrien arbeiten zu können, an dem man etwas über Christologie ebenso wie über Schriftauslegung« in Erfahrung bringen kann (so das »Vorwort«, V). Und selbst nach einigen Jahren »Praxis« fühle er sich durch seine Be­schäftigung mit der Kreuzestheologie beim frühen Cyrill noch im­mer »im eigenen theologischen Denken und in der eigenen Frömmigkeit ungemein« bereichert (ebd.).
Dergleichen liest man heutzutage ausgesprochen selten. Umso mehr möchte man gern erfahren: Was hat der Vf. über seinen historischen Studien gelernt: über »Christologie«, »Schriftauslegung« oder was auch immer? Doch ehe ich darauf zu sprechen kommen kann, gilt es zunächst zu skizzieren, was er sich vorgenommen hat, wie er vorging und seine Ergebnisse gewann.
Primäre, wenn auch nicht alleinige Grundlage seiner Untersuchung bildet die cyrillische Frühschrift De adoratione et cultu in spiritu et veritate (»Was heißt: Anbetung [des Vaters] im Geist und in der Wahrheit« [Joh 4,23 f.]?), die möglicherweise noch der Zeit vor Cyrills Erhebung auf den alexandrinischen Bischofsstuhl (412) entstammt. Da es von diesem umfangreichen Text keine Übersetzung ins Deutsche gibt, werden zur Erleichterung der Lektüre ungewöhnlich zahlreiche und lange Passagen im Wortlaut mitgeteilt, jeweils vor Beginn der Interpretation in Übersetzung und, zur Kontrolle derselben, im griechischen Original (nach Migne, PG 68.69), meist im Anhang, bei kürzeren Zitaten in einer Fußnote.
Den Anfang der Arbeit macht, außer einer kurzen Einleitung (1–6), ein Kapitel zur Biographie Cyrills vor und nach seiner Bischofsweihe (7–28), wobei dem nicht eben günstigen Porträt durch den Kirchenhistoriker Sokrates be­sondere – kritische – Aufmerksamkeit ge­schenkt wird. Es folgt eine Vorstellung der – dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend, weil Platos Vorbild folgend, dialogisch strukturierten – Schrift (ador.), nach zeitlicher wie formaler Einordnung und Methode (29–62). Das folgende 3. Kapitel (63–92) er­forscht den Ort des Todes Christi in der Heilsgeschichte, nach dem Verständnis Cyrills. Kapitel 4 (93–114) untersucht Cyrills christologische Terminologie und die Weise, wie er vom Kreuz Christi spricht, als schattenhaft vorabgebildet im Pentateuch und offenbart im Neuen Testament. Die beiden folgenden, bei weitem umfangreichsten Kapitel bilden auch sachlich das Herzstück der Studie: Sie behandeln – im engen Anschluss an Phil 2,6–8 und Joh 1,14 – die »Entäußerung des Gottessohnes am Kreuz« (114–178) in Cyrills Deutung sowie seine Sicht der Relation von Kreuz Christi und der Versöhnung zwischen Gott und Mensch (179–235). Ein sonst durchaus kompetenter Rezensent (s. Journal of Theological Studies, Okt. 2006, 751–753; hier: 752) fand in diesem Zusam­menhang, der Vf. habe Cyrill eine κένωσις-Lehre à la Thomasius oder Charles Gore unterstellt; das aber sei ein »entirely wrong reading«. Ich habe in dem Buch mehrfach das Gegenteil gelesen (so z. B. 173, Anm. 147) und nach den Namen »Thomasius« und »Gore« in Text, Anmerkungen und Bibliographie vergeblich Ausschau gehalten. Die abschließenden beiden Kapitel besprechen das johanneische Thema des »Kreuzes als Erhöhung« (236–258) und »Das christliche Leben in der Nachfolge des Kreuzes«, als »Auszug aus der Welt« und als »Gleichgestaltung mit Christus« (259–291). Folgen noch ein 17 Seiten umfassendes Literaturverzeichnis (293–309), die bereits erwähnte nützliche Zusammenstellung der griechischen Originale der im Verlauf der Untersuchung interpretierten (längeren) Texte (311–339) und endlich Register von Bibel- und Kirchenväterstellen sowie von Personen, Begriffen und Sachen.
Eine Zusammenfassung des Ganzen habe ich nicht etwa zu erwähnen vergessen; es gibt sie nicht (wohl aber ganz kurze Zu­sam­menfassungen einzelner Kapitel, nicht aller). Das ist insofern typisch für diese Untersuchung, weil sie lieber »mikroskopisch« als »makroskopisch« arbeitet, lieber Cyrills Interpretationen geduldig nachzeichnet, als einmal Abstand zu gewinnen und sich einen (eigenen) Reim auf das Nachgezeichnete zu machen. Die Anwort auf die Frage, was der Vf. aus der intensiven Beschäftigung mit der Kreuzestheologie des frühen Cyrill über Christologie, Schriftauslegung oder was auch immer gelernt habe, muss sich somit der Leser selbst beantworten. Der Vf. sagt es – ausdrücklich – nirgends.
Allenfalls, dass er sich durch den bischöflichen Schriftsteller und Schriftausleger Cyrill bestätigt fühle in der Überzeugung, dass »noch immer Jesus Christus und die Auslegung der Bibel« in der pfarramtlichen Praxis »den zentralen Platz« in Anspruch zu nehmen hätten, lässt er bereits in seinem Vorwort (ebd.) anklingen. Aber ob es gerade Cyrill und seine Christologie sein müssten, bleibt im Vorwort wie im Buch selbst offen. Auch unterstreicht der Vf. immer wieder einmal, dass die von Cyrill gewählte exegetische Methode in dessen Situation und Zeit unproblematisch gewesen sei; keiner besonderen Begründung bedürftig; dass seine Schriftauslegung an der seiner Zeitgenossen und Vorgänger gemessen werden wolle, nicht aber an den »Ergebnissen moderner Exegese«, denen infolgedessen im Verlauf seiner Untersuchung »kein Raum gegeben« werde (6). Doch was hat der Vf. als normal ausgebildeter evangelischer Theologe zu Beginn des 21. Jh.s von Cyrill als Schriftausleger gelernt? Was kann man heute von ihm lernen? Mit anderen Worten: Wie lässt sich nach Auffassung des Vf.s »historisch-kritische« und »geistliche Schriftauslegung« (so wie sie Cyrill in dem hauptsächlich untersuchten Frühwerk wie allenthalben geübt hat) miteinander verbinden? Darüber wie über die Frage, wie sich die – von Cyrill ganz selbstverständlich praktizierte – konsequent christologische Interpretation des Alten Testaments aufnehmen lasse, ohne den darin involvierten, schauderhaften Antijudaismus Cy­rills mit aufzunehmen, hätte ich jedenfalls gern etwas gelesen.
Worin man aber durch die Lektüre des Buches profitiert: Es macht mit seiner Textnähe und den vielen (meist, aber nicht immer gelungenen) Übersetzungen bekannt mit einem in der Forschung bislang zu wenig beachteten Bereich des literarischen Œuvres Cyrills, seinem Kommentarwerk zum Alten Testament; es lässt erkennen, dass Cyrill mehr gewesen ist als ein machtbesessener, skrupelloser Hierarch; endlich bringt es mit einem der prägen­ds­ten Lehrer der Ostkirche(n) in Berührung, dem es mit zu verdanken ist, dass sich dort, z. B. in der Liturgie der orthodoxen Karwoche, eine Kreuzestheologie entfaltet hat, voller Kraft der Versenkung und Aneignung, wie sie einen oft genug an spezifisch lu­therische Passionsfrömmigkeit erinnert. – Es war offensichtlich nicht zuletzt das, was den Vf. an seinem Untersuchungsgegenstand faszinierte.