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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

643–644

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hill, Charles E.

Titel/Untertitel:

From the Lost Teaching of Polycarp. Identifying Irenaeus’ Apostolic Presbyter and the Author of Ad Diognetum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2006. IX, 207 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 186. Lw. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-148699-9.

Rezensent:

Johannes Bauer

Im ersten Teil seines Buches »Polycarp Contra Marcionem« sucht H. den umstrittenen Presbyter von Irenäus adv.haer. (AH) 4,27–32 mit Polycarp von Smyrna († 156) zu identifizieren; ihn hat Irenäus noch persönlich gekannt, freilich als ganz junger Mensch, als »pais« (d. h. 14-jährig, Philo, op. 105), was man nicht von 18–30 Jahren rechnen darf, um die Glaubwürdigkeit des Irenaeus zu erhöhen. Dieser Presbyter liefert Irenäus kritische Analysen des Markionitismus; Polykarp hat ja Markion, den »Erzhäretiker« selbst getroffen und viele von seiner Häresie bekehrt (AH 3,3,4). Markion nahm zwei »Grundwesen« an. Nun nennt Euseb (5,20,1) ein Werk Polykarps mit dem Titel »Über die Monarchie oder dass Gott nicht der Urheber des Bösen sei«, wie Florinus meinte. Polykarps Brief an Florinus hatte also mit den zwei Hauptthesen Markions zu tun und damit genau mit dem Problem des Presbyters von AH 4,27–32.
H. beobachtet sodann Verbindungen dessen, was der Presbyter AH 4,27–32 sagt, mit AH 1,23–27, wo sich Polykarps Einfluss ebenfalls greifen lässt: Der Häresienkatalog 1,23–27 und die Worte des Presbyters 4,32,1 enden beide mit der Lehre Markions und lassen noch jede Erwähnung der Lehre Valentins vermissen. Der so identifizierte Stoff von AH 1 und 4 erweist Polykarp als echten Häresiologen. Dass er Markion und dessen Lehre zurückgewiesen hat, be­zeugt Irenäus ausdrücklich (AH 3,3,4).
Im Hinblick auf Markion meint H. (88–94), im Gegensatz zu Harnack, der Markion nur zwischen einem guten und einem ge­rechten Gott unterscheiden lässt, dass Harnack die Gerechtigkeit als essentielles Attribut des zweiten Gottes überbetonte. Dieses sei nur eine Abbreviation für das Wesen des alttestamentlichen Gottes als eines strengen und grausamen Richters, eines kleinlichen und widersprüchlichen Gesetzgebers. Wahrscheinlich hat der Presbyter von AH 4,27–32 auch Markions Antithesen gekannt. Das hieße, dass diese schon vor Polykarps Tod in Kleinasien verfügbar waren (90). Bezeichnenderweise strotzen diese Seiten von Ausdrücken wie likely, probably, may be, this seems, apparently, it is possible, was die Überzeugungskraft von H.s Darlegungen erheblich einschränkt.
In Teil 2 »Polycarp ad Diognetum« bringt H. Polykarp von Smyrna ins Spiel (97–106). Es bedürfe ja der Erklärung, warum der angenommene Hintergrund von Diogn 1–10 so gut zur Situation Polykarps passe, warum die Information über den Autor von Diogn 11 und 12 sich so gut auf Polykarp zu beziehen scheine und wieso sich so viele Links dieser Kapitel zum MartPol finden. Nach H. ist Diogn weder ein Brief noch eine Apologie in Briefform, vielmehr the tran­script of an oral address. Die Rede will überzeugen und hat viel von einem Protrepticus, wie ihn Epiktet kennzeichnet (Diatr 3,23,34 f.). Sind die frühchristlichen Apologien in der Regel schriftlich an einen Kaiser gerichtet, so ist im Diogn mehrfach das »Reden« und »Hören« erwähnt (1; 2,1; 23,1; 11,1.8). Es handelt sich offenbar um eine Nachschrift, wie Arrian die Reden Epiktets nachgeschrieben hat.
Die moderne Ansicht, Kapitel 11 und 12 seien ein fremdes Stück, das der Ab­schreiber anderswoher genommen und angefügt habe, lehnt H. mit dem Hinweis auf eine zweite Lücke des Argentoratensis (7,6) ab. In beiden Fällen sollte die Bemerkung des Abschreibers den Verlust eines oder zweier Blätter ein und desselben Werks signalisieren. Jedenfalls gibt es (nach Aufzählung der verschiedenen Argumente pro und contra) keine Gründe, die ursprüngliche Einheit von Diogn zu leugnen (106–127). Berührungen mit dem MartPol findet H. schon Diogn 1,1 mit Martpol 10,1: Da und dort soll der Gegner das Christentum »kennenlernen«. Diogn könnte eine »Re­de« an die Menge sein. Als »Lehrer Asiens, Vater der Christen, Göttervernichter, Feind der Götzenverehrung« (MartPol 12,2) entspricht Polykarp genau dem Bild von Diogn 2,4–6. Ein kurioser Kontaktpunkt besteht noch darin, dass sich der Sprecher in den umstrittenen Kapiteln 11 und 12 selbst als Apostelschüler bezeichnet (11,1), was unter den frühchristlichen Schriftstellern singulär ist (128–136). Korrespondenzen mit Polykarps Philipperbrief sind der gemeinsame Paulinismus, die Himmelsbürgerschaft der Christen (Phil 3,20/Diogn 5,9) und die Anleihen von EpistPol aus 1Petr, vorab in der stellvertretenden Sühnetheologie, die im 2. Jh. keineswegs allgemein bekannt ist (136–140).
Engste Verbindungen sieht H. (141–147) zwischen MartPol 11,2 und Diogn 10,7; dem »ewigen« Feuer steht das »zeitliche« gegenüber. Jedoch wird es sich um einen Topos der Märtyrerakte handeln, wie später die Passio Philippi 7 und die Acta Tarachi 4 bezeugen. Auch der »filius unigenitus« verbindet nicht nur MartPol 20,2, und Diogn 10,2; vgl. Act.Joh.11; Dion.Alex. bei Euseb 7,6; Euseb.hist.eccl. 1,2,3 u. a. Eine stilistische Übereinstimmung findet H. zwischen MartPol 10,2 und Diogn 4,1: »(nicht) der Rede wert« kommt sonst bei den Apostolischen Vätern nicht vor and strikes me as represent­ing an individual (!) idiom (146), ist aber in Wirklichkeit eine Allerweltwendung seit Herod.1,133; Thuk.1,73,1; 4,28; 8,35.91; Xen.Cyr. 7,3,10; Jos.Ant.Jud. 8,131 u. Ä. Die verordnete Enge der Besprechung schließt ein Eingehen auf die lateinische, griechische, englische Widergabe der Fragmente mit Kommentar aus (31–71). Dass H.s Hypothesen wenig überzeugend sind, dürfte aus dem Gesagten hervorgehen. Schmerzliche Literatur-Lücken: F. Loofs, TU 46/2 (1930); M. Widmann, I. u. seine theologischen Väter, ZThK 54 (1957), 156–153; N. Brox, I.RAC 18 (1998), 820–854.