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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

642–643

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Becker, Eve-Marie [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2005. XIII, 308 S. gr.8° = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, 129. Lw. EUR 88,00. ISBN 3-11-018208-4.

Rezensent:

David du Toit

Der Band umfasst die Erträge eines Kolloquiums, das im Januar 2004 in Erlangen stattfand. Er enthält eine Einführung der Herausgeberin in die Thematik (1–17), einen Überblick über die Geschichte der Frage nach den Anfängen der Geschichtsschreibung von M. Mulsow (19–28) sowie je vier Aufsätze zu den Anfängen der Historiographie im griechisch-römischen, israelitisch-frühjüdischen und christlichen Kontext. Abgerundet wird er mit den üblichen Re­gistern. Der Band zielt auf eine »strukturelle Hermeneutik der Historiographie« (3), d. h. auf die Frage, ob sich in den genannten Kontexten gemeinsame Anfangsstrukturen der Geschichtsschreibung erkennen lassen (3 f.).
Zwei Aufsätze sind den Anfängen der griechischen Historiographie gewidmet. H.-J. Gehrke (29–51) untersucht in einem facettenreichen Aufsatz das Verhältnis von kollektivem Geschichtsbewusstsein (»intentionaler Geschichte«) und Historiographie. Er zeigt u. a., dass im griechischen Geschichtsbewusstsein Vergangenheit und Gegenwart nicht als different, sondern als gleichsam distanzlos wahrgenommen wurden: Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden sich zeitlich, aber nicht qualitativ. Die Nähe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewirkt, dass Neues be­wältigt wird, indem es in einen vertrauten Kontext gestellt wird. B. Meissner (83–109) be­schreibt die Anfänge der Historiographie in Griechenland als Institutionalisierung des Bewusstseins eines ge­schichtlichen Zusammenhangs in der Zeit von Hekataios bis Xenophon. Auch der römischen Geschichtsschreibung sind zwei Aufsätze gewidmet: A. Mehl (111–136) beschreibt die Entstehungsphase römischer Historiographie, indem er die Bedingungen für die Entstehung historiographischer Werke untersucht, während F. Römer (137–155) den Weg hin zu Suetons biographischer Ge­schichts­schreibung nachzeichnet, indem er zeigt, wie als Folge politischer Veränderungen biographische Interessen in der Historiographie Raum gewannen.
Vier Aufsätze sind der Historiographie im israelitisch-jüdischen Bereich gewidmet: M. Witte (53–81) bietet einen Überblick über die jüngere Forschung zur Entstehung alttestamentlicher Geschichtswerke, O. Wischmeyer (157–169) gibt einen kurzen Überblick über die frühjüdischen Geschichtswerke, während H. Lichtenberger (197–212) in einer interessanten Studie den literarischen Charakter und die theologischen Konzeptionen des 1. und 2. Makkabäerbuches miteinander vergleicht. B. Ego (171–195) illustriert anhand der Tiervision des Henochbuches Charakteristika apokalyptischer Ge­schichtskonzeptionen.
Vier Aufsätze sind den Anfängen frühchristlicher Geschichtsschreibung gewidmet: E.-M. Becker (213–237) bietet eine Zusam­menfassung von Aspekten der These ihrer Habilitationsschrift, während J. Schröter (237–262) das lukanische Doppelwerk und im Besonderen die Apg als historiographisches Werk (»Epochengeschichte«) und das Problem ihrer Historizität untersucht. W. Wisch­meyer (262–276) untersucht die chronographische Form früh­christlicher Bischofslisten, während J. Ulrich (277–287) zeigt, dass Eusebs Kirchengeschichte nur als integraler Teil seines Ge­samt­werkes zu verstehen sei, das wesentlich als apologetische Logos-Theologie konzipiert ist.
Es ist bedauerlich, dass dem Danielbuch bzw. dem dort vertretenen Vier-Reiche-Schema, das für die christliche Geschichtsschreibung konstitutive Bedeutung hatte, kein eigener Beitrag ge­widmet wurde. Ebenso wäre ein Beitrag zur frühchristlichen Chronikliteratur und zu ihren Vorformen eine Bereicherung für diesen sehr nützlichen und informativen Band gewesen.