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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

638–640

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Labahn, Michael, u. Manfred Lang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Lebendige Hoffnung – ewiger Tod?! Jenseitsvorstellungen im Hellenismus, Judentum und Christentum.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2007. IV, 444 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 24. Geb. EUR 88,00. ISBN 978-3-374-02426-1.

Rezensent:

Tobias Nicklas

Das ewige Menschheitsthema »Tod«, »Jenseits«, »Leben nach dem Tod« wird derzeit in einer Vielzahl von Publikationen thematisiert. Dieser Sammelband mit insgesamt 16 Beiträgen ist die Frucht eines Forschungsseminars der European Association of Biblical Studies, das im Jahr 2005 in Dresden stattfand.
Bereits der einleitende Beitrag von Daria Pezzoli-Olgiati ist von großem Gewicht, stellt sie hier doch die Frage nach der Angemessenheit der ja aus westlicher Sicht formulierten, religionsgeschichtlich geladenen Kategorie »Jenseits« bzw. »Jenseitsvorstellung«, um dem im Band vorgestellten Spektrum an Ideen davon, was nach dem Tode mit dem Menschen geschehen wird, gerecht zu werden. Anhand verschiedener Beispiele zeigt P.-O. die Breite antiker Konzepte des »Jenseits« auf. Auf Grund der großen Variabilität in der Semantik von »Jenseitsdarstellungen« erweise sich ein Vergleich auf semantischer Ebene als nicht durchführbar. Demgegenüber plädiert sie für einen Zugang anhand der »Gegensätze, die durch die expliziten oder impliziten Oppositionen zwischen dem ›Diesseits‹, der vertrauten Welt, dem menschlichen Leben, und dem ›Jenseits‹, der Gegenwelt unbekannter, schwer zugänglicher Di­men­sionen entstehen« (18). Dies konkretisiert sie am Beispiel räum­licher und zeitlicher Dimensionen. Hochinteressant ist ein weiterer Gedanke: Die Variationen in der Vorstellung jenseitiger Welten (sowie in deren jeweiliger Funktion) zeigen sich nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen, sie sind auch innerhalb desselben religiösen Symbolsystems zu beobachten – P.-O. verweist hier etwa auf die Differenz zwischen theologischer bzw. mythologischer Spekulation und Alltagserleben des Individuums.
Der erste Hauptteil des Bandes stellt alttestamentliche und frühjüdische Texte in den Mittelpunkt: Einen allgemeinen Überblick über alttestamentliche Ideen postmortaler Existenz bietet Joseph Blenkinsopp, während Antje Labahn sich mit der Jesajaapokalypse (vor allem Jes 25,8 und 26,19) beschäftigt. Dabei zeigt sie, dass das Jesajabuch der Ausbildung individueller Erwartungen eines Lebens nach dem Tode keine Ausschmückung der Zukunft nach dem Tode an die Seite stellt: Dies hänge damit zusammen, dass Jes nicht an der »Ausgestaltung einer utopischen Wirklichkeit« (84), die ein Gegenbild zur erfahrenen Wirklichkeit bilde, interessiert sei, sondern mit Hilfe der Idee von der Überwindung des Todes Motivation für das Leben in der Gegenwart bieten wolle. Dabei legt L. besonderen Wert auf die Offenheit der in Jesaja angekündigten Zukunftshoffnung, die ihre Funktion als Sinnperspektive im gegenwärtigen Leben gerade dadurch erfülle, dass sie jedem Menschen – jenseits sozialer oder politischer Unterschiede – angeboten werde. In Auseinandersetzung mit H. V. V. Cavallin untersucht Arie van der Kooij verschiedene Texte der Septuaginta, in deren Interpretation ihrer wahrscheinlichen hebräischen Vorlage sich womöglich eine Weiterentwicklung jüdischen Glaubens an ein Leben nach dem Tode zeige (z. B. Ps 1,5; 15[16],9–10; 21[22],30; 72 [73],4; Ijob 14,14; 19,25–6a; 42,17a; Jes 26,19; Dan 12,2): Dabei kommt v. d. K. auf Grund seiner detailgenauen Analyse der Texte zu dem überzeugenden Schluss, dass keiner der untersuchten Texte – vielleicht mit der Ausnahme von Ijob 42,17a – von allgemeinen alttes­tamentlichen Vorstellungen klar abweichende Ideen bezeuge. Er verweist mit Recht aber auch darauf, dass dies nicht bedeute, dass manche der genannten Texte (wie vor allem Jes 26,19 oder Dan 12,2) im frühen Judentum nicht doch als Zeugnis für eine Auferstehung der Toten gelesen wurden.
Nach einem souveränen Überblick von John J. Collins über Konzeptionen eines Lebens nach dem Tode in den Schriften von Qumran widmet sich der zweite Hauptteil des Bandes neutestamentlichen Texten. Stefan Schreiber beschäftigt sich mit Zusammenhängen zwischen der Basileia-Verkündigung des historischen Je­sus und Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode. Dabei er­scheinen mir Sch.s Bemerkungen über frühjüdische Wurzeln der Idee einer Königsherrschaft Gottes besonders fruchtbar. Mit ihrer Durchsetzung werde letztlich der Gegensatz zwischen Himmel und Erde überwunden, eine Idee, die sich wiederum mit verschiedenen Vorstellungsmustern verbinden konnte. Mary L. Coloe untersucht Vorstellungen eines »Lebens nach dem Tode« im Johannesevangelium. Dabei hat sie sicherlich Recht, dass für Joh das Ende im Grunde als eine Art von Rückkehr zur anfänglichen dynamischen Communio mit Gott verstanden werden kann. Trotzdem würde ich nicht so weit gehen, »protos« und »eschatos« als zwei Seiten derselben Münze (177) zu betrachten: Der Sohn, der zum Vater zurückkehrt, trägt ja weiterhin an sich die Zeichen seiner Fleisch­werdung, wie vor allem Joh 20,24–29 deutlich macht. Gerade dies aber eröffnet auch im johanneischen Denken erst die Möglichkeit menschlicher Teilhabe an der göttlichen Gemeinschaft ewiger Liebe und ewigen Lebens. C. verankert die Eschatologie des Johannesevangeliums in frühjüdisch-weisheitlichem Denken; wichtig erscheinen mir auch ihre abschließenden Gedanken zum Zueinander präsentischer und futurischer Eschatologie im vierten Evangelium.
Mit Konzepten eines Lebens nach dem Tode in weiteren neutes­tamentlichen Texten beschäftigen sich Outi Lehtipuu (Mt), Preston Sprinkle (Röm), Walter Übelacker (Hebr) und Martin Hasitschka (Offb) – leider fehlen Beiträge zu Texten wie 1 und 2Kor; auch so interessante apokryphe Texte wie etwa die Offenbarung des Petrus oder der Hirt des Hermas sind leider nicht bearbeitet.
Besonders wertvoll erscheint mir der Band vor allem aber auch, weil er den Blick über antikes Judentum und frühes Christentum hinaus wagt und in einem dritten Hauptteil Vorstellungen verschie­dener religiöser Gruppen der Welt des antiken Hellenismus darstellt: Miguel Herrero de Jáuregui zeigt, wie in orphischer Eschatologie traditionelle griechische Ideen von Unsterblichkeit weiterentwickelt wurden, Wilfried Eisele stellt Jenseitsmythen bei Plato und Plutarch vor, während sich Manfred Lang epikuräischen und stoischen Vorstellungen vor allem römischen Gepräges (Lu­krez, Seneca) widmet. M. E. nur am Rande mit der eigentlichen Thematik zu tun hat der gleichwohl spannende Beitrag von Chris­tian Mileta über die Herrscherkulte, die in der Zeit zwischen 89/88 v. Chr. und 86/85 v.Chr. in den Poleis Kleinasiens und Griechenlands für Mithridates IV. Eupator eingerichtet wurden. Dabei zeigt M., wie wichtig diese Kulte als Medium religiös-politischer Kommunikation zwischen Mithridates und den eroberten Städten waren und wie sehr der spätere Entzug der Ehrungen mit der sich nach dem Eingreifen der Römer rasch wandelnden politischen und militärischen Situation zusammenhing.
Die Herausgeber haben also einen Band mit einem breiten Spektrum überzeugender Arbeiten zu einem wichtigen Thema vorgelegt. Viele der hier zusammengestellten Beiträge fassen entweder die derzeitige Diskussion gut zusammen oder führen sie um wichtige Impulse weiter. Dass dabei natürlich nicht die gesamte Breite der The­matik abgehandelt werden konnte, sollte weniger als Kritikpunkt, sondern als Ansporn für weitere Untersuchungen be­trachtet werden.