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Ausgabe:

Juni/2008

Spalte:

631–632

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barlet, Louis, et Chantal Guillermain

Titel/Untertitel:

Le beau Christ de Luc. Préface de R. Bouchex.

Verlag:

Paris: Cerf 2006. 230 S. 8° = Lire la Bible, 145. Kart. EUR 22,00. ISBN 978-2-204-08050-7.

Rezensent:

Gottfried Nebe

Dieses französisch geschriebene Buch ist ein Gemeinschaftswerk (»zwei Zeugen«) der beiden römisch-katholischen Exegeten Louis Barlet und Chantal Guillermain aus Frankreich. Es befasst sich mit der Christologie des Lukas, speziell des Lukasevangeliums. Es ist ein exegetisches und zugleich allgemeinverständlich und spirituell orientiertes Werk. Auf den ersten Blick verwundert der Titel, insofern sich die Frage stellt: Was ist denn der lk Christus als ein »beau« – »schöner«? Man fühlt sich auf den Hintergrund des griechischen kalos-Sprachgebrauchs verwiesen, insbesondere auf das berühmte kalos k(ai)agathos (»schön und gut«), was zugleich bis hin zu Lukas (z. B. Lk 6,38.43–45; 8,15) oder bis zu Jesus als dem »guten Hirten« im Joh (ho poimen ho kalos 10,11 ff.) reicht. Allerdings findet sich in Lk und Apg kein expliziter Bezug von kalos auf Jesus (vgl. auch Lk 18,18 f.). Wenn sich die beiden Autoren selbst in dieser Richtung des »beau« äußern (vgl. auch Raymond Bouchex, 9–11), so sprechen sie – das traditionelle Bild von Lukas als Maler aufnehmend – vom lk Porträt Jesu von Nazareth, das Lukas durch sein Werk hindurch gemalt hat: »C’est ce beau visage du Christ …« (14). So geht es ihnen darum, in einer Detailuntersuchung der lk Erzählung (récit) deren Sinn hervortreten zu lassen, in der Art einer narrativen Analyse und zugleich kontemplativ ausgerichtet, »ce faisant, nous avons essayé d’emprunter le regard de Luc, ›d’admirer le Seigneur dans sa beauté‹ [d. h. Zitat Ps 26 (27),4], d’admirer la beauté de son œuvre, la beauté du Christ à cette œuvre« (227). Kommt so in Verbindung mit dem Kontemplativen (vgl. hier auch J. Ratzinger/Benedikt XVI: Jesus von Nazareth. I, 2007, 22, mit Verweis auf Ps 27,8) eine »ästhetische« und vor allem doxologische Perspektive ins Spiel? Man beachte auch die Abbildung der Skulptur Le Beau Dieu vom Portal der Kathedrale von Amiens auf dem Einband.
Nach dem »Préface« von Raymond Bouchex umreißen die Autoren im »Avant-propos« (13–14) erst einmal die Grundlinien der Darstellung. Das Inhaltsverzeichnis findet sich am Ende (229–230). Davor steht eine Art bündelndes Nachwort (227–228). Die Autoren folgen drei »Eintrittstoren«, drei »Routen«, dem Gewebe von drei »Fäden«. Das bedeutet drei Hauptteile und drei große Themen: »Eingangsschwellen« (seuils, »Momente des Anfang«, 15): der »Gute [!] Samariter«, nahe(kommend) bei allen Menschen; das »Wort«: Jesus als der, der im Wort (en parole) kommt; das »Gebet«: der »Sohn«, der die Menschen zu ihrem Vater (zurück)bringen will (bzw. diesen Auftrag hat). Dem folgen Aufriss und Ausführungen (15–226), im ersten Teil (15–103) mit: Noël (2,1–20); Jésus à 12 ans. La première Pâque à Jérusalem (2,39–52); Le baptême de Jésus (3,21–38); Jésus tenté par le diable (4,1–13); La parabole du bon Samaritain (10,25–37); Jésus au Calvaire (23,33–48); im zweiten Teil (105–172) mit: L’Annonciation ou l’Évangile à Nazareth (1,26–38); La Visitation (1,39–56); Le centurion de Carphanaüm (7,1–10); Jésus chez Marthe et Marie (10,38–42); Le jour de Pâques. Emmaüs (24,1–53); im dritten Teil (173–226) mit: Au retour des soixante-douze disciples (10,17–24); La prière du Fils (11,1–13); Les paraboles de la miséricorde (15,1–32); Le combat sur le mont des Oliviers (22,39–53). Abschließend (227 f.) wird betont, dass es in der lk Jesusdarstellung zentral um das »Heil« (salut) geht. Das Heil ist nicht etwas Abstraktes, es ist zuerst jemand, das ist Jesus. So lässt Lukas das Heil in Person sehen, in Jesus, dem »Retter« (Lk 2,11; Apg 5,31). Das sollte die Betrachtung der drei »Fäden« zeigen. Man mag über diese Schwerpunkte streiten. Für mich ist bemerkenswert, dass im ersten Teil auf seine Weise die alte Frage nach der sog. Jesusheilszeit bei Lukas ins Spiel kommen kann. Die Konzentration auf das »Wort« im zweiten Teil lässt mich als Protestanten aufhorchen. Freilich frage ich mich (trotz etwa 105 f.119 ff.) nach dem bleibenden Gewicht von »Wort und (Wunder-)Tat« in der lk Jesusdarstellung (Lk 24,19). Der dritte Teil bezieht sich auf Auftrag und Amt Jesu. Sollte man das für Lk so mit dem Gebet Jesu verbinden?
Geht man weiter zum Detail der Ausführungen, so wäre hier vieles anzuführen. Allerdings kann man sich bei einem Buch, das so geistlich-spirituell und allgemeinverständlich ausgerichtet ist, nicht auf ein rein exegetisches Fachurteil beschränken. Die Autoren erweisen sich auf jeden Fall als Fachexegeten. Sie verarbeiten auf ihre Weise traditionelle und neuere exegetische Methoden, im Blick auf das Neue Testament und darüber hinaus. In einer Zeit des Methodenpluralismus und der Themenvielfalt in der Lukasforschung ergeben sich für mich drei besondere Fragerichtungen. Erstens: Die Autoren haben ein Interesse am irdischen Jesus (bei aller Verbindung mit der traditionellen kirchlichen Dogmatik, vgl. Cover 4: Offenbarung des lebendigen Gottes im Menschen Jesus von Nazareth). Dabei ist für sie einmal das »Titulare« belangreich (vgl. die »Hoheitstitel«). Allerdings wird das »Christ« des Buchtitels nicht besonders gewürdigt. Zum andern sind sie an christologischen Strukturen in der lk »Erzählung« und ihren Episoden interessiert. Vielleicht liegt gerade an diesem Punkt das, was das Buch auch für die zukünftige Lukasexegese interessant werden lassen kann. Nicht von ungefähr – und das führt zugleich zum Zweiten – spielen die beiden lk Jesusgleichnisse vom »Guten Samariter« und vom »Verlorenen Sohn« eine wichtige Rolle. Gerade bei ihnen ist die exegetisch, spirituell und immer wieder komplex »figurativ« ausgerichtete (mitunter konservativ erscheinende) Auslegung der Auto­ren bemerkenswert. Freilich bleibt die Frage nach der Christologie, Soteriologie und (Heils-)Geschichte bei Lukas weiterhin ge­stellt. An solchen Punkten kommt drittens dann auch wieder das Problem des »Beau« ins Spiel. Sicherlich ist das lk Jesusbild von der Kindheits- bis zur Himmelfahrtsüberlieferung nicht einfach das vom »Guten Hirten« im Sinn der altkirchlichen Bild-Plastik oder das Bild der »Nazarener«-Malerei des 19. Jh.s oder das der sog. Liberalen Theologie der Wende vom 19. zum 20. Jh. (trotz des bleibenden Gewichts der traditionellen Beobachtung zum lk Jesus als dem »Freund der Zöllner und Sünder« usw.).
Schlussbemerkung: Leider werden bei dem Hinweis auf Exegeten und Theologen keine genauen Literaturbelege angegeben.